New York im Kaleidoskop

Inhalt

24 Oper und Konzert in New York

Wie in allen Auswanderungsgebieten hatten die Ankömmlinge in der Neuen Welt zunächst anderes zu tun, als sich der Musik zu widmen. Zwar fanden in Europa gebaute Musikinstrumente (auch Pianos und Flügel!) sogar ihren Weg bis in den Wilden Westen, aber es dauerte doch ca. 150 Jahre, bis sich ein eigenständiges Musikleben in Amerika entwickelte. Hier wirkende Dirigenten und Musiklehrer waren in der Regel zweitklassige Europäer, aber Konzerte weltberühmter Stars wurden durchaus schon veranstaltet. Da aber weder ein Opernhaus noch ein großer Konzertsaal existierte, mussten die Gastspiele in Theatern, Vergnügungs-Etablissements oder Kirchen stattfinden, was ihrem Charakter als Kulturveranstaltung abträglich war. Das im Battery Park an der Südspitze Manhattans gelegene Castle Clinton war der erste New Yorker Ort für Großveranstaltungen. 1824 hatte man das Festungsgebäude mit einem Dach versehen und unter dem Namen Castle Garden zum Theater umfunktioniert. Hier fanden die von dem Zirkusunternehmer P. T. Barnum veranstalteten Gastspiele der berühmten schwedischen Opernsängerin Jenny Lind statt, die von 1850 bis 1852 einen Starrummel von bis dahin unbekannten Ausmaßen auslösten; es existieren zeitgenössische Illustrationen, auf denen ein außer Rand und Band geratenes Publikum abgebildet ist.

Auch der Bau von hochwertigen Musikinstrumenten, die die Voraussetzung jedes ambitionierten Musiklebens sind, kam in Amerika relativ spät und nur langsam in Gang: Christian Friedrich Martin aus Markneukirchen baute 1833 in New York die erste amerikanische Gitarre und wurde Begründer der heute noch bestehenden Instrumentenfabrik C. F. Martin & Company. Der deutsche Geigenbauer Georg Gemünder aus Ingelfingen eröffnete 1852 in Astoria (heute Queens) eine Werkstatt für Violinenbau. Als Schüler von Jean-Baptiste Vuillaume in Paris war er der erste Amerikaner, dessen Instrumente auf Ausstellungen in Wien, Paris, London und Amsterdam Preise gewannen. 1853 gründete der deutsche Klavierbauer Heinrich Engelhard Steinweg aus Seesen eine Pianofabrik in Manhattan, die zur Keimzelle des Weltunternehmens Steinway & Sons werden sollte und heute eine ganze Neighborhood in Queens einnimmt.

Die Entwicklung des New Yorker Musiklebens, der ich mich in diesem Kapitel widmen will, geht auf Lorenzo Da Pontes Italienisches Opernhaus zurück (wie im Kapitel über Little Italy bereits erwähnt). Aber, 1833 errichtet, ging es bereits nach der zweiten Saison pleite, wurde verkauft und brannte obendrein wenig später total ab.

Das Ringen um ein Opernhaus

Die Klientel für ein solches Theater war zu Da Pontes Zeiten noch recht dünn gesät, ein Zustand, der sich mit wachsender Prosperität der Stadt sehr schnell wandelte. Schon 14 Jahre später unternahmen gut situierte Bürger einen erneuten Anlauf, New York zu einer eigenen Oper zu verhelfen. 1847 entstand mit ihrem Geld in feiner Gegend – wo ursprünglich die deutsch-amerikanische Millionärsfamilie Astor zu Hause war – ein neuer Musen-Tempel für die uppertens der New Yorker Gesellschaft, arrivierte Wohlhabende, welche danach hungerten, Europas berühmteste Künstler auch in der Neuen Welt auf der Bühne zu sehen. Der Architekt Isaiah Rogers entwarf das Astor Opera House im Stil des Klassizismus und erfüllte das Hauptbedürfnis seiner Auftraggeber, sich als neue Gesellschaftsschicht von den ungebildeten Schichten abzusetzen und sich in gepflegter Atmosphäre elitärem Kunstgenuss hinzugeben. So erhielt das Haus am Astor Place zwei Ränge mit einer überdimensionierten Anzahl von Privatlogen und reich ausgestattete Gesellschaftsräume, in denen die höhere Klasse unter sich bleiben konnte. Statt der in zeitgenössischen Theatern üblichen Sitzbänke gab es hier Polstersitze, die man nur im Abonnement buchen konnte. Die preiswerteren oberen Ränge mit 500 weiteren Plätzen besaßen einen separaten Zugang über ein enges Treppenhaus, wie auch grundsätzlich im Hause die unterschiedlichen Gesellschaftsschichten streng voneinander getrennt gehalten wurden. Dazu kam ein strikter Dresscode (Abendanzug mit Glacéhandschuhen) und Männer mussten frisch rasiert sein, um Einlass zu erlangen.

Nur mit Opernaufführungen allein war das Geschäftskonzept des Hauses noch nicht tragfähig, deshalb wurde hier auch Theater gespielt. Im Jahre 1849, in dem sich in New York sehr viel sozialer Sprengstoff angesammelt hatte, kam es im Astor Opera House zum Anlass des berüchtigten Astor Place Riot, einem Aufruhr, in dessen Verlauf 25 Menschen von der Polizei erschossen wurden. Ausgelöst durch Grenzstreitigkeiten mit dem britisch gebliebenen Kanada, durch Kritik an der englischen Regierung, weil sie nichts gegen die irische Hungersnot unternahm (was zu ständig wachsenden Scharen irischer Flüchtlinge nach New York führte) und durch das zunehmende Selbstbewusstsein der US-Amerikaner, sich als eigenständiges Volk und nicht mehr als Abkömmlinge emigrierter Engländer zu sehen, war es in Amerika zu einer gesellschaftlichen Spaltung gekommen in der sich „Amerikaner“ und „Briten“ auseinander dividierten. Aristokratie und Hochnäsigkeit, aber auch gesellschaftlichen Erfolg und Kunstsinnigkeit betrachtete man jetzt als typisch englisch, während Kleinbürgerlichkeit und Zugehörigkeit zu Migrantenkreisen, aber auch Erfolg im Arbeitsleben und Integration in die neue Vielvölkergesellschaft als typisch amerikanisch angesehen wurden. 1849 lief sowohl im Astor Opera House als auch im benachbarten Broadway Theater eine Inszenierung von Shakespeares Macbeth und die Hauptrolle war jeweils mit einem berühmten Schauspieler besetzt. Diese trugen bereits seit Jahren eine Privatfehde untereinander aus: Während der im Astor House im Rahmen eines Gastspiels auftretende William Macready Engländer war, präsentierte sich der im Broadway Theater in einer en suite Inszenierung tätige Edwin Forrest als glühender Amerikaner. Angeheizt von einem korrupten Tammany Hall Polizisten und dem berüchtigten Sensationsjournalisten Buntline demonstrierten mehrere Tausend „amerikanische“ Anhänger von Forrest vor dem „English Aristocratic Opera House“ und beschimpften das ankommende „englische“ Publikum. Am nächsten Tag kauften sie sämtliche Karten in den „proletarischen“ oberen Rängen des Theaters, warfen faule Eier, verdorbenes Obst und Flaschen mit stinkendem Inhalt auf die Bühne und verwüsteten das Theater, währenddessen der Hauptdarsteller in Verkleidung flüchtete. Diese Ereignisse bewogen den New Yorker Polizeichef, am nächsten Tag Militär zur Verstärkung anzufordern, welches die Demonstrationen beider Seiten unterbinden sollte. Das gelang aber überhaupt nicht und nach einigen Warnschüssen in die Luft feuerten die Truppen direkt in die weiter vorrückende Menge und töteten 25 Personen. Dieser schreckliche Vorfall ruinierte New Yorks zweites Opernhaus; sein nicht in Vergessenheit geratender Ruf als „Massacre Opera House“ am „DisAstor Place“ führte letztendlich zur Schließung 1854 und zum Verkauf an eine private Bibliothek, die das Gebäude 1890 abriss und die noch heute dort stehende Clinton Hall erbaute.

Schon während der Agonie des Astor Opera House hatte sich ein weiteres Konsortium gebildet, das 1000 $ Aktien für den Bau eines neuen Opernhauses ausgab. Am Union Square wurde ein Grundstück erworben, auf dem die Academy of Music entstand, das erste „echte“, für jeden zugängliche Opernhaus in den Vereinigten Staaten. 1854 eröffnet, war das von dem deutsch-amerikanischen Architekten Alexander Saeltzer (einem Absolventen der Berliner Bauakademie und Schüler Karl Friedrich Schinkels) errichtete Gebäude mit 4.000 Plätzen das damals größte Operntheater der Welt. Auf fünf Ebenen (Orchestergraben, Parkett, Empore und drei Rängen) erhob sich der Zuschauerraum bis auf eine Höhe von 24 Metern. Die New York Times lobte am Eröffnungsabend zwar die Akustik der neuen Academy of Music, klagte aber über die schlichte Architektur, die karge Innenausstattung und vor allem über die zu enge Bestuhlung. Denn obwohl im plüschigen Look gehalten und mit einigen Privatlogen versehen, wurde doch jede Erinnerung an die luxuriöse Einrichtung des Vorgängerbaus vermieden und die Preisgestaltung blieb ausgesprochen moderat. Ein staatlich subventioniertes Opernhaus lag amerikanischem Denken völlig fern und so barg das eigentlich vernünftige Konzept „Kunst für Alle“ auch bereits den Keim des Untergangs von New Yorks drittem Musiktheater: Für die Realisierung der teuren Kunstrichtung Oper (mit Orchester, Ballett und Sängern) benötigte man viel Geld und dieses allein über den Eintrittspreis aufzubringen hätte die mittleren Schichten vom Opernbesuch ausgeschlossen. Bei einer Finanzierung allein durch die Reichen musste man denen auch eine gewisse Exklusivität gewähren, die ihren hohen Beitrag für das Ganze rechtfertigte und gerade daran war ja das Astor Opera House gescheitert. 30 Jahre hielt man den Spagat zwischen Volkstheater und elitärem Musentempel aus (sogar ein Brand und der anschließende Wiederaufbau 1866 wurde verkraftet), weil die Betreibergesellschaft Einnahmen nicht nur aus dem Opernbetrieb zog, sondern das Gebäude auch für Theateraufführungen, Massenversammlungen, Ausstellungen und sogar Maskenbälle vermietete. Insbesondere bei letzteren, French Balls genannt, ging es recht freizügig zu, was der Reputation des Opernhauses abträglich war und eine Gruppe von nouveaux riches, unter ihnen Rockefeller, Vanderbilt und Carnegie bewog, 1883 eine Metropolitan Opera Company zu gründen. Ziel war die Errichtung eines würdigen Hauses, das mit den berühmten europäischen Vorbildern mithalten oder sie eines fernen Tages sogar übertreffen könnte. 1886 war Schluss mit den Opernvorführungen in der Academy, die zum Revuetheater, später sogar zum Kino herunterkam und 1926 für den Bau eines Wolkenkratzers abgerissen wurde (genauso wie die benachbarte Tammany Hall).

Das Metropolitan Opera House (im Volksmund „Old Met“) entstand in Midtown Manhattan am Broadway und erstreckte sich über den gesamten Block zwischen West 39th Street und West 40th Street. Wegen seines industriell anmutenden Äußeren wurde es spöttisch „The Yellow Brick Brewery“ genannt, aber es hatte eine hervorragende Akustik und ein elegantes Interieur; zwei der fünf Ränge enthielten Privatlogen, wie es sich die Geldgeber gewünscht hatten. Das Haus hatte 3.625 Sitz- und 224 Stehplätze und eigentlich alles darin übertraf die Academy of Music, bis auf die Backstage-Einrichtungen, die für ein großes Opernhaus völlig unzureichend waren. Oft genug standen die Kulissen draußen in der 39th Street, wo sie von den Bühnenarbeitern zwischen den Aufführungen ausgewechselt werden mussten. Es ist schon bezeichnend, dass ein solcher Mangel, der das Funktionieren des Opernbetriebs stark einschränkte, von den nur auf ihre Selbstinszenierung bedachten Sponsoren übersehen wurde. Im August 1892 vernichtete ein Feuer das erst neun Jahre alte Theater, aber man baute es wieder auf und verschönerte es 1906 noch durch das imposante goldene Auditorium mit dimmbarem Kronleuchter und dem geschwungenen Proszenium, auf dem die Namen der sechs Komponisten Gluck, Mozart, Beethoven, Wagner, Gounod und Verdi angebracht waren. Auch die ersten charakteristischen Met-Bühnenvorhänge aus goldenem Damast wurden installiert und vervollständigten das noble Aussehen, welches das Haus bis zu seiner Schließung beibehielt. In diese Zeit fällt die Glanzzeit der Oper mit Dirigenten wie Gustav Mahler, Arturo Toscanini, Bruno Walter, George Szell und Fritz Busch und der gesamten Weltelite der Sänger. In der Saison 1908 beging das im Umbruch befindliche Management allerdings den Fehler Mahler und Toscanini gleichzeitig zu verpflichten und ein Konflikt zwischen den beiden musikalischen Halbgöttern, in Geschmack und Prioritäten völlig kontrovers, erschien unvermeidlich. Geschickte Winkelzüge der Verantwortlichen hielten das Problem schließlich unter der Decke. Mahler dirigierte 1909 nur den Saisonbeginn der Met und wurde anschließend von der New York Philharmonic zum Musikdirektor berufen.

Der Ölmilliardär John D. Rockefeller II verfolgte inzwischen weiterhin das Ziel eines repräsentativen und funktionalen Neubaus der Met in seinem Ende der 20er Jahre entstehenden Rockefeller Center, wofür er eine großzügige Spende in Aussicht stellte. Doch der Börsenkrach von 1929 ließ die private Betreibergesellschaft von dem Projekt Abstand nehmen und 1940 löste eine gemeinnützige Metropolitan Opera Association endlich die Millionärsfamilien als Eigentümer ab. Der zweite Rang der privaten Logen wurde jetzt aufgegeben und in eine Standardsitzreihe umgewandelt, wodurch man die Kapazität des Hauses vergrößerte; nur im ersten Rang blieben noch Logen für die New Yorker snobiety erhalten. Weitere 25 Jahre hielt man es mit den bühnentechnischen Unzulänglichkeiten noch aus, bis ein Projekt von Robert Moses zur Stadterneuerung neue Perspektiven eröffnete.

In einem neu zu erbauenden Lincoln Center an der New Yorker Upper West Side sollten die wichtigsten Musikinstitutionen endlich eine Heimstätte nach modernsten Standards erhalten, die Met ein neues Opernhaus, die New York Philharmonic einen Konzertsaal und das Konservatorium (die Juillard School) ein Lehrgebäude sowie Proben- und Aufführungsräume. Mit einer Gala-Vorstellung, an der so gut wie alle aktuellen Spitzenkünstler der Met teilnahmen und einem Auftritt des Bolschoi-Balletts verabschiedete sich die Metropolitan Opera 1966 von ihrem alten Haus. Trotz einer Kampagne zu seiner Erhaltung wurde es 1967 abgerissen, zugunsten eines 40-stöckigen Büroturms, der der Met im Lincoln Center angeblich ein stabiles Einkommen garantieren sollte. Nachdem aber genügend Gras über den Abriss-Skandal gewachsen war, wurde der Turm von der Metropolitan Opera Association einfach weiterverkauft. Das Lincoln Center hinterlässt bei dem ebenfalls aus einer Musikstadt kommenden Beobachter einen zwiespältigen Eindruck: Allzusehr ist es dem Beton-Brutalismus der Erbauungszeit verhaftet, die akustischen Probleme des Konzertsaals waren lange Zeit nicht lösbar, ein Blick aufs Programm offenbart die Ausrichtung auf ein sehr breites Besucherspektrum (von Filmmusik über Symphonien bis zur Oper) und die Eintrittspreise lassen erkennen, dass auch die vermeintlich gemeinnützige Betreibergesellschaft rein betriebswirtschaftlich orientiert ist. Dazu kommt die Auseinandersetzung um die sexuellen Übergriffe des vorletzten Operndirektors und die meistbietende Versteigerung des Namens für den Konzertsaal. Die ursprüngliche Philharmonic Hall erhielt 1973, nach einer Schenkung von 10,5 Mio Dollar durch einen HiFi-Phono-Produzenten für ihre Renovierung, seinen Namen zum permanenten Gebrauch: Avery Fisher Hall. Doch 40 Jahre später, als weiteren Reparaturkosten in einer Höhe aufliefen, die Mr. Fishers Spende als Trinkgeld erscheinen ließen, liebäugelte das Lincoln Center mit einer erneuten Namensvergabe an einen großzügigen Donator. Auf den Protest der Avery Fisher Erben reagierte man salomonisch: Von den 100 Mio $, die der neue Sponsor David Geffen, ein schwerreicher Film- und Musikproduzent zu zahlen bereit war, gingen 15 Mio $ an die Fisher Erben als Schweigegeld und die New Yorker mussten sich an einen neuen Namen für ihre Philharmonie gewöhnen, die David Geffen Hall. Bevor ich mich nun dem Orchester der New York Philharmonic widme, noch ein kurzer Exkurs über einen weiteren weltberühmten europäischen Musiker, dessen Leben mit New York verbunden ist.

Dvořák in der Neuen Welt

Von 1892 bis 1895 wirkte Antonin Dvořák als Direktor des National Conservatory of Music in New York. Jeannette Thurber, der reichen Gründerin dieser fortschrittlichen Institution, an der sogar Frauen und Schwarze studieren durften, war es gelungen, den böhmischen Komponisten für ein Jahresgehalt von 15.000 $ nach Amerika zu locken – an ihrem Konservatorium sollte er Komposition lehren und musikalische Aufführungen leiten. Während dieser Tätigkeit komponierte er drei seiner berühmtesten Werke, darunter als Auftragswerk der New York Philharmonic die 9. Symphonie „Aus der Neuen Welt“. Ihre Uraufführung wurde ein Triumph und begründete Dvořáks Weltruhm. Dass er darin amerikanische Volksmusik, insbesondere das Spiritual Swing Low Sweet Chariot verarbeitet habe, ist eine Legende, wiewohl immer wieder gern kolportiert. Dvořák blieb in den wenigen New Yorker Jahren seinem europäischen Kompositionsstil treu, wie auch seinem Heimatlande, in das er endgültig zurückkehrte, als eine Wirtschaftsdepression seine Geldgeberin in finanzielle Schwierigkeiten gestürzt hatte und die Zahlung seines Gehalts ausblieb. Das Konservatorium in der East 117th Street ging 1911 pleite und wurde für den Bau einer High School abgerissen, Dvořáks Wohnhaus, in dem das Cellokonzert und die 9. Symphonie entstanden, musste trotz Protesten des tschechischen Präsidenten Václav Havel und anderer engagierter Bürger 1991 dem Bau eines Hospizes für AIDS-Kranke weichen.

New Yorks Philharmoniker auf dem Weg nach oben

Das erste philharmonische Orchester der Stadt (das dritte dieser Art in Amerika seit 1799) wurde als Philharmonic Society of New York 1842 gegründet. Sein Träger war ein Verein mit dem Zweck der „Förderung der Instrumentalmusik“ und die Musiker agierten als Kooperative, welche die Mitgliedschaft, das aufzuführende Programm und den Dirigenten durch Mehrheitsbeschluss bestimmte. Auf dem ersten Konzert mit 600 Zuhörern in den Apollo Rooms am Broadway spielte man Beethovens 5. Symphonie. Schon vier Jahre später kamen Pläne zur Errichtung eines eigenen Konzertsaals auf, wofür ein großes Benefizkonzert mit 400 Mitwirkenden im Castle Garden, dem damals größten Veranstaltungsort von New York, den Grundstein legen sollte – auf dem Programm stand Beethovens 9. Symphonie (die Ode an die Freude hatte man dafür extra ins Englische übersetzt). Wegen des teuren Eintritts von 2 $ und einer Kundgebung in der Innenstadt blieb das erhoffte Publikum jedoch aus und das neue Konzerthaus musste noch 50 Jahre lang auf seine Verwirklichung warten. Die Neunte wurde in Amerika schnell zum populärsten Werk für bedeutende Anlässe, obwohl viele Zuhörer es für ein merkwürdiges Stück hielten, weil die beeindruckend vielen Sänger so lange auf ihren Einsatz warten mussten. In den ersten sieben Jahren wechselten sich sieben Orchestermitglieder beim Dirigieren der Konzerte ab, bis 1849 Theodor Eisfeld zum ersten ständigen Musikdirektor ernannt wurde. 1816 in Wolfenbüttel geboren, hatte er in Braunschweig, Dresden und Bologna (bei Rossini!) studiert und war dann nach Amerika gegangen. Viel kritisiert, weil Virtuosität für ihn nur das besonders schnelle Abspielen der Stücke bedeutete, hatte er 1865 die Aufgabe, das Gedenkkonzert für den ermordeten Präsidenten Lincoln auszurichten. Er beschloss Beethovens Neunte aufzuführen, bis die New Yorker Presse darauf hinwies, dass diese doch mit einer für den tragischen Anlass höchst unpassenden Ode an die Freude endete, worauf er das Problem dahingehend löste, den Schlusschor einfach wegzulassen. Auf einer seiner vielen Reisen nach New York fing 1858 das Dampfschiff „Austria“ Feuer und sank vor Neufundland. Mit 456 Toten und nur 89 Überlebenden war das eines der schwersten Schiffsunglücke seiner Zeit. Eisfeld gehörte zu den wenigen Davongekommenen, litt aber anschließend an einem Nervenleiden, welches ihn an der weiteren Ausübung seiner Tätigkeit hinderte. Deshalb kehrte er 1866 nach Deutschland zurück, wo er 1882 im Alter von 66 Jahren verstarb.

Das Orchester arbeitete weiterhin mit zweitrangigen europäischen Dirigenten, darunter viele Deutsche wie Carl Bergmann, Leopold Damrosch und dessen Sohn Walter. Letzterer konnte den Stahlmagnaten Andrew Carnegie dazu bewegen, Geld für einen erstklassigen Konzertsaal zur Verfügung zu stellen, der in Manhattan an der 57th Street / 7th Avenue entstand und 2800 Zuhörer fasste. Zur Eröffnung im Mai 1891 dirigierte Peter Tschaikowsky fünf Abende lang eigene Werke in der neuen Carnegie Hall, wie sie nach wenigen Jahren zu Ehren ihres wichtigsten Wohltäters benannt wurde. Das auch noch mit einem Kammermusiksaal versehene Haus gilt als eines der besten Konzerthäuser der Welt, dient aber nicht ausschließlich der klassischen Musik sondern auch dem Jazz und der leichten Muse. Bis 1962 blieb es die Heimat des Orchesters und hier vollzog sich dessen Aufstieg an die Weltspitze.

Mahler bringt’s

Gustav Mahler, 1907 zunächst für die Met verpflichtet, ging der Ruf eines Autokraten voraus, der von den Musikern absolute Perfektion verlangte. Er galt als schwierige, ja neurotische Persönlichkeit, mehr daran interessiert, endlose Sinfonien zu komponieren, die niemand hören wollte, als an einem Opernhaus mit Sängern und Musikern zu arbeiten. Jedoch waren diese Vorurteile nur aus den giftigen Intrigen erwachsen, mit denen er in Wien konfrontiert war, die Skeptiker in New York lagen völlig daneben. Mahler erwies sich als charismatischer und äußerst gut organisierter Dirigent, der genau wusste, was er von einem Orchester wollte und wie man es für sich einnimmt. Als Arturo Toscanini gleichzeitig mit ihm zum Chefdirigenten der Met ernannt wurde, nahm Mahler 1909 lieber das Angebot der Philharmonic Society für das Amt des Musikdirektors an, eine Entscheidung, die ihm um so leichter fiel, weil seine Auffassung von einem reformierten Operntheater bei den konservativen Geldgebern der Met schwer durchzusetzen war. Stattdessen reorganisierte er das Symphonieorchester, steigerte die Zahl der Konzerte erheblich, stellte neue Musiker ein, arbeitete sie unermüdlich ein und ging mit ihnen auf erfolgreiche Tourneen. Damit legte er den Grundstein für die heutige Reputation der New York Philharmonic. Seine Konzerte in der Carnegie Hall waren legendär, Mahler lieferte fokussierte, aufgeladene Interpretationen, setzte ungewöhnliche Akzente und nahm sich rhythmische Freiheiten, ganz anders als sämtliche seiner Vorgänger.

Das oft kolportierte Porträt von Mahler als gequältem und einsamem Asketen, der in Amerika von der sensationsgierigen Musikszene buchstäblich zu Tode gehetzt wurde, gilt heute nur noch als Fiktion, popularisiert durch die selbstverliebten Memoiren seiner Frau, der schönen und koketten Alma (geb. Schindler, verh. Mahler, Gropius, Werfel). Aber seine wenigen New Yorker Jahre waren trotz aller Triumphe niemals frei von Sorgen. Kurz vor der Ankunft war seine vierjährige Tochter gestorben, bei ihm selbst diagnostizierten die Ärzte Endokarditis, damals eine tödliche Krankheit und als weiterer Schlag kam 1910 die Entdeckung der Affäre seiner geliebten Alma mit dem Architekten Walter Gropius hinzu. Trotz dieser Kräfte raubenden Rückschläge nahm sich Mahler jedes Jahr in der Sommerpause auch noch Zeit zum Komponieren, in seinem Feriendomizil in Südtirol baute man ihm eigens ein Komponierhäusl – eine kleine Holzhütte, in der er an den letzten beiden Symphonien und dem „Lied von der Erde“ arbeitete. 1911, kurz nach seiner Heimreise aus den USA nach Europa, die er bereits schwer erkrankt antrat, starb er in Wien an seinem Herzleiden.

Seit Mahler war es für die renommiertesten Orchesterleiter der Welt eine Ehre, die NY Philharmonic zu dirigieren und die Liste seiner Nachfolger mutet an wie ein Pantheon der Dirigenten: Willem Mengelberg, Arturo Toscanini, Sir John Barbirolli, Bruno Walter, Leopold Stokowski, Dimitri Mitropoulos, Leonard Bernstein, George Szell, Pierre Boulez, Zubin Mehta, Kurt Masur, Lorin Maazel, Alan Gilbert und aktuell, Jaap van Zweden.

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