New York im Kaleidoskop

Inhalt

8 New York begrüßen

Bryant Park

Trifft der Trans-Atlantik-Reisende am Nachmittag in New York ein, ist es zur Vermeidung des jetlag (der einem wegen Schlaflosigkeit die nächsten Tage vermiesen kann) ratsam, sich noch so lange wie möglich wach zu halten. Uns gelingt das immer gut, und gleich am nächsten Morgen machen wir uns mit der Subway auf zu unserem traditionellen Begrüßungsort, Bryant Park, einem ganz typischen Stück New York. Er ist ein kleiner, quadratischer Platz, ausgespart aus dem Raster der ihn umgebenden Wolkenkratzer, liebevoll gärtnerisch und architektonisch gestaltet mit Rabatten, Kiosken und Statuen. Das Wetter ist nicht so warm, wie wir es aufgrund der Jahreszeit (Mai) erwartet haben, aber es geht und in ein paar Tagen soll es sowieso heiß werden. Typisch für das hiesige Wetter sind ja die abrupten Wechsel der Temperaturen. Bryant Park sieht mit grünen Bäumen noch schöner aus als in den vergangenen Jahren, in denen wir im März hier waren und morgens ist es hier immer am besten: Mühelos findet man ein Tischchen mit Stühlen in einer schönen Ecke und das Self Service Café ist auch schon geöffnet. Wir genießen den Blick auf die schöne Art-Deco-Architektur des Bryant Park Hotels, das ursprünglich für die American Radiator and Standard Sanitary Company gebaut wurde. Deshalb wird es auch American Radiator Building genannt und manche schwören, es sähe aus wie ein Heizkörper. Hier machen wir die ersten Fotos zur Dokumentation unserer Ankunft, u. a. von Goethes Büste im Park. Mit Amerika und NY hatte der Dichterfürst zwar absolut nichts zu tun, aber das war für die hiesige Goethe-Gesellschaft, die das Denkmal stiftete, kaum von Interesse. Das ebenfalls hier stehende Nostalgie-Kinderkarussell hat überall Spiegel, mit deren Hilfe wir ein künstlerisches Selfie von uns machen können. Wir bestaunen weitere den Park umstehende Häuser, darunter dasjenige mit dem ehemaligen Atelier des französischen Künstlers Fernand Léger und einen interessanten Neubau im Stil des Kubismus an einer Platzecke. Der ebenfalls am Platz stehende Wolkenkratzer, der Bank of America Tower, ist aktuell der vierthöchste New Yorks und kostete eine Milliarde Dollar. Als es zu nieseln beginnt, verziehen wir uns – wie gewohnt bei schlechtem Wetter an diesem Ort – nebenan in die Public Library, deren Eingang in der 5th Avenue liegt.

New York Public Library

Der riesige, 1911 im Beaux-Arts-Stil errichtete Bau (übrigens eine sehr schmeichelhafte Bezeichnung für diese gründerzeitliche Prunk und Protz Architektur) nimmt die gesamte Breite des Karrées zwischen der 40. und 42. Straße ein. Die NYPL ist eine der größten Bibliotheken der Welt und besitzt unter vielem anderen eine Gutenberg-Bibel und ein Originalexemplar von Newton‘s Philosophiae Naturalis Principia Mathematica. Bei einer Erweiterung des Baus in den 1980ern hat man den Bryant Park quasi unterkellert, um die Büchermagazine dorthin zu verlegen; der Park musste dafür mehrere Jahre geschlossen werden. Im Obergeschoss befindet sich der Nutzerbereich mit prachtvollen Lesesälen, während im Erdgeschoss Sonderausstellungen, die wir bei jedem unserer New York Besuche ansehen, mit Schätzen des Hauses gezeigt werden. Heuer sind es zwei nette kleine Ausstellungen, eine über die 68er Jahre in Amerika (die den unsrigen so verteufelt ähnlich waren!) und eine über die Gemeinsamkeiten der drei Buch-Religionen Judentum, Christentum uns Islam. Wer hätte schon gewusst, dass Maria im Koran häufiger erwähnt wird, als im Neuen Testament und dass es den heiligen Georg auch bei den Muslimen gibt? Illustriert wird das ganze durch wunderbare mittelalterliche Buchausgaben aus den Beständen der NYPL. An der nordöstlichen Ecke der Bibliothek befindet sich die Kreuzung der 5th Avenue mit der 42nd Street. Hier kann man entscheiden, ob man in östlicher Richtung zur Grand Central Station gehen will, oder nach Westen zum Times Square. Da ich den Bahnhof im Zusammenhang mit dem Chrysler Building und dem UNO-Headquarter behandeln werde, wenden wir uns auf der 42nd Street in Richtung Westen.

Theater District

Die Straße hatte ihren Höhepunkt in den 20er Jahren, als sich hier der Theater District ausdehnte. In ihrem Umkreis lagen die berühmten Theaterbauten im Jugendstil und Art Deco, die zu den renommierten Broadwaybühnen gehörten. Doch die goldene Zeit des Broadway-Theaters erlebte mit dem Börsencrash 1929 und der darauffolgenden Depression einen rasanten Absturz. Viele Impresarios gingen in Konkurs, ihre Bühnenpaläste wurden in Flohzirkusse, Kabaretts und Kinos umgewandelt. Zwar erholte sich das Theaterviertel nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal, verbunden mit großen Namen wie Frank Sinatra, Dean Martin und Jerry Lewis, jedoch war in den 60er Jahren endgültig Schluss. Der Stadtteil verslumte, weil die New Yorker Mittelklasse ins Grüne wegzog und zwielichtige Geschäftsleute, Drogenhandel und Prostitution ihren Platz einnahmen. Bald war die Gegend so verrufen, dass Zeitungen und Reiseführer vor nächtlichen Besuchen warnten. Erst in der Amtszeit von Rudy Giuliani war wieder ein Aufschwung zu verzeichnen, die Stadt stellte Mittel für die Aufwertung des Theater District zur Verfügung und betrieb die Renovierung des New Victory Theaters, das jetzt kommunal betrieben wird und sich auf Kinder- und Familienveranstaltungen spezialisiert hat. Das New Amsterdam Theater ist in den Besitz des Disney Konzerns übergegangen, der hier Disney-eigene Musicalproduktionen aufführt. Die beiden Theater sind die ältesten noch betriebenen Bühnen von New York. Heute wird einzig anhand der Besucherzahlen zwischen Broadway und Off-Broadway Bühnen unterschieden, wobei beide übrigens nicht direkt am Broadway liegen müssen; aber typischer für das heutige New York sind doch die Off-Theater, weil sich nur hier noch – abseits ausgetretener Pfade – ein innovatives Theaterleben entfalten kann.

Times Square

An der Kreuzung der 42nd Street mit dem Broadway biegt man nördlich auf diesen ein und erreicht nach wenigen Metern den Times Square, der nach dem Sitz der renommiertesten New Yorker Zeitung benannt ist. Trotz seiner großen Bekanntheit und obwohl die Stadt zur Zeit viel unternimmt, ihn zu verbessern, bleibt er ein zwiespältiger Ort (insbesondere, um hier New York zu begrüßen). Eine richtige Platzanlage ist gar nicht zu erkennen, er ist vielmehr eine Straßenkreuzung von Broadway und 46th Street. Die kürzlich erfolgte Gestaltung des Broadway als Fußgängerzone im Bereich des Times Square half zwar ein wenig, überhaupt erst einmal eine Platz-Struktur zu schaffen, aber die mit einer Ausnahme wenig überzeugende Architektur der Hochhäuser und besonders sein Markenzeichen, die Leuchtreklamen, bringen keinesfalls das Gefühl hervor, hier im Herzen von New York zu stehen. Die Idee der leuchtenden Werbung stammt aus den 20er Jahren; mit tausenden von einzelnen Glühbirnen wurden die Lichteffekte erzeugt und einzelne Reklamen, wie der Rauch über den Platz blasende Camel-Cowboy und der riesige Pepsi-Cola-Wasserfall auf dem ehemaligen Bonds-Kaufhaus erlangten ikonischen Charakter. Es existierte damals eine ästhetische Richtlinie, dass nur weiße Lampen verwendet werden durften, was der Gegend den Namen „The Great White Way“ einbrachte, aber das ist alles lange vorbei. Mit dem Niedergang des Theaterviertels verschwand die Ästetik der Lichtgestaltung, die Häuser wurden den neuen Nutzungen entsprechend umgebaut (Sexshops, Fastfood-Läden und billige Hotels), wobei viele der schönen alten Art Déco Ornamente demoliert wurden. Seit der Erfindung der LED-Technik flackern an den Fassaden nur noch wenige farbige Neonröhren, stattdessen gibt es – wie überall – elektronische Anzeigenbänder und LED-Großbildschirme, allerdings in einer Konzentration wie sonst nirgendwo in der Stadt.

Durch das Verschönerungsprogramm der Stadt ist immerhin das Paramount-Building rekonstruiert worden, 1926 als Hauptsitz der gleichnamigen Filmgesellschaft erbaut, nebst einem der größten Kinos New Yorks mit über 3500 Plätzen. Berühmt war die Lobby des Kinos – der Pariser Garnier-Oper nachempfunden – mit Marmorsäulen, Balustraden und einer großen Freitreppe. Im Kino gab es einen Orchestergraben und eine der größten Wurlitzer-Orgeln der Welt. Mit der Schließung des Kinos und dem Umbau zu Büros und Läden wurde alles herausgerissen und der über mehrere Etagen reichende monumentale Eingang mit seinen Art Déco Ornamenten zugemauert. (Die Wurlitzer-Orgel konnte glücklicherweise gerettet werden und ging nach Wichita, wo sie heute noch noch erklingt). Das Portal ist inzwischen wieder hergestellt und führt in das Hard Rock Café in der ehemaligen Lobby, der Rest des Paramount-Interieurs ist verloren. Heute beherbergt das Gebäude nach wie vor Büros von Paramount Pictures, aber auch der benachbarten New York Times. Auf dem Dach erhebt sich wieder die vierseitige Uhr, die von einem nachts leuchtenden Globus gekrönt ist.

Die Ehrenrettung für den Times Square ist die Silvesterparty, die seit 1904 von der New York Times veranstaltet wird. Sie wird von den New Yorkern sehr gut angenommen und ist mittlerweile identitätsstiftend. Damals ging es um den Einzug der Zeitung in das neue Verlagsgebäude One Times Square. Beim anschließenden Feuerwerk kam es allerdings zu zahlreichen Verletzten durch Verbrennungen, weshalb der berühmte leuchtende Times Square Ball eingeführt wurde, den man an einem Fahnenmast auf das Gebäude absenkte. Eine Million Menschen versammelt sich seitdem jeden Silvester schon ab nachmittags, um gute Sicht auf den Ball Drop und die aufgebauten Videowände zu haben, auf denen im Laufe der Feier Auftritte von Rock- und Popgrößen präsentiert werden. Die Kugel wird 60 Sekunden vor dem Jahreswechsel mit einem Countdown herabgelassen und wie überall in der angelsächsischen Welt wird anschließend traditionell das Lied Auld Lang Syne angestimmt.

Gefällt Dir der Beitrag? Dann teile ihn!