New York im Kaleidoskop

Inhalt

7 Chinatown

Chinesen in New York

Chinatown in Manhattan liegt direkt südlich von Little Italy und beginnt, da die Mehrzahl der Italiener in andere Stadtteile abgewandert sind, auf es überzugreifen. Es ist deutlich größer als Little Italy und nach meinem Gefühl wesentlich authentischer. Zwar gibt es auch hier, wie in Little Italy, Läden und Restaurants, die sich ausschließlich an Touristen wenden, aber daneben auch viele, die von den Bewohnern des Viertels genutzt werden. Da hier 90 000 chinesische Bewohner leben, ist neben den vielen Plakaten und chinesischen Schriftzeichen auch genügend asiatische Bevölkerung auf den Straßen präsent um diese Authentizität zu erzeugen. Ich möchte gern all das, was hier im Karree zwischen Bowery, Mott Street, Canal Street und Chatham Square auf mich einströmt, genauer verstehen und einordnen, deshalb mache ich mir erst einmal die Hintergründe klar, die zur Entstehung dieses kleinen Stücks China in der Fremde führten.

Chinesen gibt es in New York erst ab der Mitte des 19. Jh. Davor hatten Bewohner des Reichs der Mitte wenig Veranlassung, sich ins weit entfernte Amerika zu begeben, denn ihr Land war von der westlichen Hemisphäre abgeschottet und bot seinen Bewohnern bis zu den Opiumkriegen (1840 – 1860) ein auskömmliches Leben. Diese von Großbritannien und Frankreich angezettelten Kriege erzwangen die Aufgabe des chinesischen Wirtschaftsprotektionismus und ruinierten zugleich seine Wirtschaft. Als die Kunde vom Goldrausch in Kalifornien China erreichte, machten sich viele Chinesen auf den Weg dorthin, meist über die britische Kolonie Hongkong, denn die Ausreise aus dem Kaiserreich der Qing-Dynastie war bei Todesstrafe verboten. Es brachen nur Männer auf, die auch die definitive Rückkehr mit eingeplant hatten, wenn genügend Geld verdient war; ihre Frauen mussten sich derweil um die Kinder und wenn nötig, um die Schwiegereltern kümmern. Von 1848 bis 1882 kamen ca. 300 000 Chinesen in die USA, bis ein amerikanisches Bundesgesetz die Zuwanderung beendete. Die Immigranten erreichten die Westküste meist mit Dampfschiffen einer amerikanischen Reederei, hatten sich das Geld für die Passage geliehen und mussten es als erstes abarbeiten, ehe sie in der Lage waren, Geldbeträge in die Heimat zu schicken. Um das zu erreichen, führten sie ein äußerst bescheidenes Leben, alle in beengten Wohnverhältnissen dicht aufeinander lebend. Aufgrund der fest eingeplanten Rückkehr nach Hause kam ein Wunsch auf Integration im neuen Lande gar nicht erst auf, man lernte kein Englisch und gestaltete sich das Wohnumfeld so chinesisch wie möglich. Das war die Geburtsstunde der amerikanischen Chinatowns, deren erste in San Francisco entstand.

Die Neuankömmlinge wirkten auf die Alteingesessenen wegen ihrer Rasse, Sprache, Schrift, Religion und Gewohnheiten äußerst fremd, so schnitten sie sich zum Beispiel den traditionellen Chinesenzopf nicht ab. Das war im reaktionären Qing-Regime bei Todesstrafe verboten – und sie wollten ja unbedingt zurückkehren. Das feindliche Umfeld bestärkte sie beim Zusammenschluss zu geheimbündlerischen Triaden (abgeleitet vom Himmel, Erde und Menschheit symbolisierenden Dreieck als Erkennungszeichen) und Tongs, die später das Markenzeichen der organisierten chinesischen Kriminalität werden sollten. Parallel zum Abflauen des Goldrausches projektierte die US-Regierung die erste transkontinentale Eisenbahnlinie, für deren Bau ein ungeheurer Bedarf an Arbeitskräften entstand. Nachdem sich erwiesen hatte, dass die zumeist schmächtig aussehenden chinesischen Arbeiter für die schwere körperliche Arbeit dennoch gut geeignet waren, ergoss sich ein starker Strom asiatischer Immigranten in Richtung Osten. So gelangten sie schließlich auch nach New York, wo sie sich im ärmsten Stadtviertel, nahe der Lower East Side, das zuvor schon die deutschen, jüdischen, irischen und italienischen Immigranten aufgenommen hatte, niederließen, und das sich allmählich zur heutigen Chinatown entwickelte und beständig wuchs.

Hier fanden viele ihr Auskommen in der Zigarren-, Schuh- und Textilherstellung, als Hausangestellte oder durch den Betrieb von Lebensmittelläden für den eigenen Bedarf, Restaurants, Wäschereien und Opiumhöhlen. Auch gehobene chinesische Betriebe wie Antiquitätenhandlungen, Juwelier- und Importwarengeschäfte entstanden. Während der Wirtschaftskrise in den 1870er Jahren hatten die amerikanischen Fabrikeigentümer zur Drückung der Löhne gern Migranten eingestellt und die Chinesen hatten die schlechte Bezahlung akzeptiert. Die Lebenshaltungskosten in China waren nämlich wesentlich niedriger und somit war auch das weniger gewordene Geld noch nützlich. Die amerikanischen Gewerkschaften unterstellten den chinesischen Industriearbeitern daraufhin Lohndumping und Streikbrechertum. Überall entstand ein starker, antichinesischer Rassismus, bei dem das Opiumrauchen als Begründung für die Gefährlichkeit der Ostasiaten herhalten musste. An mehreren Orten gab es rassistische antichinesische Ausschreitungen mit vielen Toten. Schließlich wurde 1882 der Chinese Exclusion Act erlassen, ein Gesetz, das nicht nur die chinesische Einwanderung unterband, sondern auch die Zahl der schon in den USA Ansässigen vermindern sollte.

Das Gesetz schränkte die Chinesen überall ein, es verdrängte sie aus vielen Berufen und machte New Yorks Chinatown zum bachelor town, einer reinen Junggesellen-Siedlung. Keiner der Bleibewilligen hatte ab jetzt die Möglichkeit, seine Familie nachzuholen, aber dennoch blieben die meisten. Kein Wunder, dass sich die organisierte chinesische Kriminalität gerade in dieser Epoche entwickelte. Dennoch fiel der Beginn der Assimilierung ebenfalls in diese Zeit. Die chinesische Revolution durch Dr. Sun Yat-sen und der Sturz des Kaisertums führte zwar dazu, dass sich die Immigranten die Zöpfe abschnitten, aber nicht, dass sie ins sich modernisierende China zurück strömten. Unter Theodore Roosevelt wurden die Bedingungen des Chinese Exclusion Act ein wenig gelockert, denn man ließ von den Reparationsgeldern, die die USA von China wegen des Boxeraufstandes erhalten hatten, tausende von Chinesen in Amerika studieren. Auch die Einstellung der Amerikaner zu diesen verbesserte sich, 1937 erschien erstmalig ein Hollywoodfilm, in dem die chinesischen Protagonisten positiv dargestellt wurden. Da China im Zweiten Weltkrieg Bündnispartner der USA war, gab es Bestrebungen, den Chinese Exclusion Act aufzuheben. Mit dem Magnuson Act wurden 1943 die Chinesen den anderen Immigranten gleichgestellt, erstmals seit 1882 war wieder ein Zuzug erlaubt, wenngleich in geringer Anzahl. Aber über Soldatenfrauen und nachziehende Familienmitglieder stabilisierte sich das Geschlechterverhältnis in der Chinese Community allmählich und gleichzeitig erfolgte ihre Angleichung an die gesellschaftlichen Normen des Westens.

Die Gründung der Volksrepublik China brachte nach dem Krieg wieder größere Zuwächse bei der Immigration, fast alle Studenten blieben in den USA und verbesserten den Anteil von Intellektuellen in der community erheblich. Trotz Rückschlägen in der McCarthy-Era, als die Chinesen als yellow peril (Gelbe Gefahr) galten, ist ihre Anzahl in New York ständig gestiegen und die Übernahme der britischen Kronkolonie Hongkong durch die Volksrepublik China und das Tian’anmen-Massaker sorgte für weiteren Zustrom. Die Bevölkerungsstruktur in Chinatown hat sich, analog zu anderen ethnical communities dahingehend verändert, dass sich die arrivierten Chinesen in andere Stadtteile abgesetzt haben, während die Armen weiterhin in Manhattan verbleiben.

Rundgang durch die Bowery und Chinatown

Ich beginne meinen Erkundungsgang bereits am Astor Square, der zwar etwas entfernt von Chinatown liegt, von dem aus man aber über die Bowery gehen muss, eine der berühmt-berüchtigten Straßen Manhattans, deren Entstehung noch auf die Niederländer zurückgeht und die mit der Geschichte der Immigranten in New York eng verwoben ist. Anfang des 19. Jh. war sie ein Elendsviertel mit schlichten, billigen Häusern, in denen sich die Neuankömmlinge bevorzugt niederließen. So sah sie nacheinander Iren, Deutsche, Juden, Italiener und zuletzt und bis heute Chinesen, die sich dort und in ihren Seitenstraßen niederließen. Heute lebt die Bowery nur noch von der Erinnerung an die Zeiten, als sie den Schmelztiegel New York am reinsten verkörperte. Aber noch viele der zwei-, drei- und vierstöckigen Ziegelbau-Blöcke aus dem Ende des 19. Jh. existieren, in denen die Immigranten eng zusammengepfercht lebten. Heute ist sie eine Straße im Umbruch, bis auf einige Chinesen sind alle Immigranten weggezogen, ein schickes Museum für zeitgenössische Kunst ist entstanden und überall sind Anzeichen kommender Gentrifizierung sichtbar. An der Ecke Bond Street ist beispielsweise aus dem Gebäude der Savings Bank von 1874, einem Bau mit einer kompletten Fassade aus Gusseisen, eine schicke Luxusimmobilie geworden. An ihrem Südende durchquert die Bowery Manhattan Bridge Plaza, eine reine Kulissenarchitektur zur Kaschierung der stadtzerstörenden Brückenauffahrt. Da die Brücken in solch enormer Höhe über den Fluss führen, dass auch die größten Schiffe unter ihnen hindurchfahren können, wurden lange Rampen in Manhattan und Brooklyn gebaut, die bis auf die Höhe der Brücke aufsteigen. Die Stadtviertel, in denen die Rampen liegen, sind dadurch zerschnitten und oftmals liegen mehrstöckige Häuser direkt unter der Auffahrt. Manhattan Bridge Plaza wurde als Monumentalanlage gebaut, um diese unerfreuliche städtebauliche Situation zu kaschieren. Trotz der riesigen Kolonnaden und dem Kuppelbau der Savingsbank von 1924 ist das gründlich misslungen. Der Platz ist nichts weiter als eine riesige Verkehrsfläche, auf der Fußgänger nichts verloren haben. Kurz vor dem Ende der Bowery hat sich an der Ecke Pell Street das Edward Mooney House aus der Zeit um 1780 erhalten. Dieses älteste townhouse der Stadt, im Georgian Style erbaut, gehörte einst einem wohlhabenden Fleischer, dessen Namen es heute noch trägt. Der Besitzer ging seinem Metier in dem unweit von hier befindlichen Viertel nach, in dem Viehställe, Gerbereien und der Collect Pond lagen und aus dem sich später die Five Points entwickelten, deren Geschichte ich im Kapitel Lost New York erzählen werde. Die Pell Street gehört bereits zu Chinatown, die Restaurants und Reklameschilder machen das unübersehbar deutlich.

Confucius Plaza

Auf der gegenüber liegenden Seite der Bowery liegt die Confucius Plaza, eine Grünanlage mit einem 40-stöckigen Wolkenkratzer aus hellroten Backsteinen in der Mitte. Er ist ein interessantes Bauprojekt: Genossenschaftliches Wohnen speziell für chinesische Immigranten. Ein entfernt an ein Tempeltor erinnerndes Portal führt ins Innere und vor dem Gebäude wurde eine Konfuzius-Statue aufgestellt mit Inschriften zuerst in Chinesisch und dann in Englisch, eine selbstbewusste Präsentation der New Yorker Chinesen! Die Confucius Plaza ist quasi das Eingangstor nach Chinatown, ich gehe aber lieber noch bis zum Ende der Bowery, die es hier in New Chinatown auf der östlichen und Old Chinatown auf der westlichen Seite teilt. Am Chatham Square, in der Grünanlage des Kimlau Square (benannt nach einem im Zweiten Weltkrieg gefallenen amerikanisch-chinesischen Bomberpiloten) befindet sich eine ähnliche Manifestation chinesischen Selbstwertgefühls. Hier stehen zwei bemerkenswerte Denkmäler, die Statue von Lin Zexu und das „Memorial of the Americans of Chinese Ancestry who lost their lives in defense of freedom and democracy“. Während der endlos lange Titel des wie ein Tempeltor gestalteten Monuments für sich selbst spricht, habe ich von Lin Zexu noch nie etwas gehört, jedoch wird mein Interesse durch die Inschrift auf dem Denkmal geweckt: Lin Zexu 1785 – 1850, Pioneer in the War Against Drugs.

Lin Zexu

Lin Zexu war ein hoher Beamter im kaiserlichen China zur Zeit der Quing-Dynastie. Ausgebildet als Gelehrter, wurde er Generalgouverneur in den Provinzen Hubei und Hunan und war dort u. a. mit der Bekämpfung des Drogenhandels befasst. Er hatte dazu eine klare Einstellung: Opiumraucher sollten erwürgt, die Händler und Produzenten der Droge enthauptet werden. 1838 wurde er vom Kaiser zur Bekämpfung des Opiumhandels nach Kanton geschickt, wo er in Aufklärungskampagnen zunächst auf die Gefährlichkeit der Droge hinwies und die Konsumenten zur Abgabe des Stoffes und der Utensilien aufforderte, bevor er gegen Händler und Verbraucher vorging. Das brachte ihn schnell in Konflikt mit den ausländischen Opiumhändlern, die unter dem Schutz des British Empire mit dem illegalen Handel große Gewinne machten. Sie verweigerten strikt die entschädigungslose Herausgabe aller Opiumbestände, worauf Lin Zexu jeglichen Handelsverkehr mit ihnen unterband, was die britische Handelsbilanz sofort deutlich verschlechterte. Aber die Maßnahmen gingen noch weiter: Einheimische durften nicht mehr für ausländische Firmen in deren chinesischen Faktoreien arbeiten und 350 Ausländer wurden sogar dortselbst interniert. Als Reaktion darauf sandten die Briten eine Kriegsflotte an die chinesische Küste und eröffneten damit den Ersten Opiumkrieg. Er endete 1842 mit einer vernichtenden Niederlage Chinas und dem Abschluss des demütigenden Vertrages von Nanking, der zum Vorteil der Engländer den Handel mit China völlig liberalisierte, den Absatz des Opiums weiterhin sicherstellte und China großen wirtschaftlichen Schaden zufügte. Lin Zexu wurde deshalb seiner Ämter enthoben und verbannt, angesichts seiner unbestreitbaren Leistungen jedoch 1845 rehabilitiert und nach Peking zurückgeholt. Dort hätte er noch einen weiteren verantwortungsvollen Auftrag erfüllen sollen; er starb aber 1850 auf dem Weg in die Hauptstadt.

Ich verstehe die Botschaft des Lin-Zexu-Denkmals eindeutig so: Das Opiumrauchen, das den Chinesen in den USA ein so schlechtes Image beschert hatte, wurde in Wirklichkeit von den westlichen Mächten befördert und in Gestalt von Lin Zexu hatte China aus eigener Kraft etwas gegen den Handel mit Rauschgift und gegen dessen Konsum unternommen. Und vor allem: Die Entfachung des Opiumkriegs stellt den imperialistischen Mächten, zu denen seit damals auch die USA gehören, kein schmeichelhaftes Zeugnis aus.

Mott Street

Gegenüber der Südwestecke des Chatham Square liegt der Beginn der Mott Street, die sich als Chinatowns inoffizielle Haupstraße von hier bis zur Canal Street durch das ganze Viertel zieht. Gleich am Anfang macht die von Süden nach Norden verlaufende Straße eine leichte östliche Biegung, die daran erinnert, dass hier in der Zeit von New Yorks Anfängen der Collect Pond gelegen war, dem die Straße, genauso wie die parallele Mulberry Street, ausweichen musste. Den an seiner statt angelegten Columbus Park werden wir am Ende des Rundgangs besuchen. Mott Street ist geradezu eine Chinatown-Bilderbuch-Stadt: Riesige chinesische Schriftzeichen auf den Reklamen, die die gesamten Hausfassaden bis zum Dach bedecken, Geschäfte, in denen nur ostasiatische Waren angeboten werden, Chinesen allerorten im Straßenbild und natürlich Restaurant an Restaurant. Das ganze Angebot richtet sich nicht nur an Touristen, sondern auch an die chinesische Klientel des Viertels. Der südliche Teil der Mott Street gehörte früher zu den berüchtigten Five Points und so ist es kein Wunder, dass sich auch die organisierte chinesische Kriminalität hier konzentrierte. Vergleichbar mit den italienischen Gangs nur wenige 100 m weiter nördlich, betätigten sich die Tongs als Türsteher der Spielhöllen, Schutzgelderpresser und Heroinhändler. Heutzutage hat die Stadt die organisierte Kriminalität im Griff und es ist nicht länger gefährlich, hier spazieren zu gehen. Unter der Hausnummer 32 entdecke ich die katholische Transfiguration Church mit angeschlossener Schule, die sich heutzutage an christianisierte chinesische Bewohner wendet, während sie früher für die irischen Slumbewohner der nahe gelegenen Five Points zuständig war. Gegenüber lag der 1891 von Lok Lee eröffnete Mott Street General Store, der sich über 100 Jahre an dieser Stelle mit seiner Originaleinrichtung incl. Ladenschild gehalten hat. Erst der Niedergang der Gegend nach 9/11, als viele Zufahrtstraßen jahrelang abgesperrt blieben, machte dem General Store den Garaus, heute befindet sich der Good Fortune Gifts, ein Souvenirladen (wie so viele andere in dem Viertel) an seiner Stelle, bewahrt aber wenigstens einige Reste der Innenausstattung. Das Geschäftsschild ging an das Museum of Chinese in America in der Centre Street 215, auf der westlichen Seite des Columbus Park. In der Mott Street 60 – 64 gibt es ein Chinese Community Center, das auf eine Einrichtung von 1883 zurückgeht, die zwar auf privater Basis, aber als quasi Kommunalbehörde für die Immigranten tätig war. Auch die New York Chinese School befindet sich in dem Gebäude, die 1909 gegründete größte chinesische Schule außerhalb Chinas. Ich gehe jetzt zur Bayard Street zurück, um abschließend den Columbus Park zu besuchen.

Columbus Park

Entstanden durch den Abriss der Five Points, hieß der Park ursprünglich Mulberry Bend Park, bis man ihn, nach 1911 in Columbus Park umbenannte. Er stellt heute den „Stadtpark“ von Chinatown dar, der fast ausschließlich von Chinesen genutzt wird, die hier den ganzen Tag lang – auch im Winter – outdoor pures chinesisches Leben entfalten. Da gibt es traditionelle Bands mit banjoartigen Zupf- und Streichinstrumenten und Sängern, die stets von Zuhörern umlagert sind, an den im Park aufgestellten Tischen wird Mahjong gespielt und die gesamte Anlage ist von Chinesen dicht bevölkert. Bei schlechtem Wetter zieht man sich in den Columbus Park Pavilion zurück, eine große, überdachte Parkarchitektur, neben der seit 2011 das Denkmal für Dr. Sun Yat-sen aufgestellt ist. Der Gründer der Republik China und erste Präsident steht für die Abkehr vom reaktionären Quing-Regime und die Modernisierung des Landes. In der Zeit seines Exils reiste er durch die Welt und sammelte Unterstützung für den Sturz der Monarchie, auf einer solchen Tour kam er auch nach New York und dürfte dann sicherlich in Chinatown gewohnt haben. Das Denkmal wurde zum 100. Jahrestag der Staatsgründung erst einmal temporär aufgestellt, soll aber auf Wunsch der Anwohner hier stehenbleiben. Es zeigt den Politiker in traditioneller Kleidung, den einen Arm in die Hüfte gestemmt und den anderen (mit dem Hut in der Hand) gegen das linke Bein drückend. In chinesischen Lettern steht Sun Yat-sens Motto auf dem Sockel: „All under Heaven are equal.“

Chinatown in Queens

Mittlerweile hat sich die chinesische Bevölkerung auf ganz New York verteilt, so dass es in jedem borough eine Chinatown gibt, in Queens sogar zwei. Im Ortsteil Elmhurst, am Broadway von Queens, nahe der 81st Street, hat sich eine Szene von chinesischen Restaurants und Geschäften entwickelt, zu denen zunehmend auch die anderer südostasiatischer Ethnien kommen, die aus Malaysia, Singapur, Indonesien, Thailand und Vietnam stammen. In Ortsteil Flushing gibt es die aktuell größte Chinatown New Yorks. Die hiesigen Einwohner gehören zu den assimilierten Chinesen, die es zu einem gewissen Lebensstandard gebracht haben, sie wohnen vielfach in Einfamilienhäusern. Auf die Erziehung ihrer Kinder legen sie größten Wert, drillen sie auf allergrößten Fleiß und versuchen, sie an den besten Schulen der Stadt unterzubringen. Anstelle der kleinen Geschäfte wie in Chinatown Manhattan gibt es hier riesige chinesische Supermärkte mit gigantischen Fischabteilungen von der Größe eines städtischen Aquariums. In den unzähligen Lebend-Becken treiben – bäuchlings oben – jede Menge Karpfenleichen, einfach gruselig! Während unsere Enkelin hier in Flushing mit einer chinesischen Klassenkameradin zusammen büffelt, führt uns unser Sohn Vincent in ein kleines, original chinesisches Restaurant, in dem wir die einzigen „Langnasen“ sind. Am Eingang hängt ein kleines Board für lokale Kleinanzeigen mit der Meldung: „Dog missing“. Wir rätseln, wo hier ein Hund abgeblieben sein könnte. Die Nachfrage in Berlin bei unserem China-Experten Jörn ergab: „Der Hund ist im Zweifelsfalle den Weg alles Irdischen gegangen und im Wok gelandet. In Chinatown liegt das nahe.“

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