New York im Kaleidoskop

Inhalt

26 Museen der Moderne

Verspätete Moderne

Zeitgenössische amerikanische Kunst entwickelte sich in New York erst relativ spät – in den Jahren 1911 bis 1913. Nach britischem Vorbild hatte man 1802 die New York Academy of the Fine Arts gegründet, eine Institution, die den klassischen Kunststil befördern sollte. Ihr Direktor John Trumbull, der Maler der amerikanischen Unabhängigkeit, lehrte dermaßen autoritär, dass ihm die Studenten scharenweise an die neue, 1825 gegründete, National Academy of Design wegliefen. Schon 1841 war die Geschichte der ersten amerikanischen Kunstakademie wieder beendet, doch auch ihrer Nachfolgerin gelang der Aufbruch in die Moderne nicht. Um die Jahrhundertwende galt sie ebenfalls als dermaßen reaktionär, dass eine Gruppe fortschrittlicher Künstler eine eigene Kunstausstellung veranstaltete um den so einengenden Zulassungskriterien der Akademieausstellung zu entgehen. Die vierwöchige International Exhibition of Modern Art 1913 war die erste ihrer Art in den USA und gilt als der Beginn der Moderne im Lande. Sie wurde auch bekannt als Armory Show, da man sie im 69th Regiment Armory in der Lexington Avenue veranstaltete. Armories waren durch Armee und Polizei genutzte militärische Zweckbauten, die als Magazine, Arsenale und Exerzierhallen dienten und die mit ihrem Trutzburg-haften Aussehen im Stadtbild von New York bis heute präsent sind.

Die noch stark europäisch geprägte Ausstellung (fast ein Drittel der ausstellenden Künstler waren Franzosen) erregte einen großen Eklat, trotz vieler Werke des mittlerweile als etabliert geltenden Impressionismus, die hier ebenfalls gezeigt wurden. (Auch Monets namengebendes und stilprägendes Werk „Impression, Soleil levant“ war vertreten). Wie bei moderner Kunst nicht anders zu erwarten, reagierte die bürgerliche Öffentlichkeit „schockiert“, man beklagte, dass Monet seine Bilder nicht „fertig“ male, dass man nicht erkennen könne, was auf abstrakten Gemälden eigentlich dargestellt sei und dass eine Brancusi-Statue 6 (!) Zehen aufwies. Marcel Duchamps „Nu descendant un escalier n° 2“ (heute in Philadelphia) provozierte sogar Präsident Theodore Roosevelt zu der peinlichen Äußerung, ein in seinem Badezimmer aufgehängter Navajo-Bildteppich sei dekorativer und kunstvoller als das kubistische Duchamp-Gemälde. Die Ausstellung zog anschließend noch nach Chicago (wo sie spektakuläres Aufsehen erregte) und nach Boston weiter, bevor sie endgültig eingestellt wurde. Als Retrospektive am historischen Ort erstand die Armory Show 1999 aufs Neue, als New Yorks größte, diesmal allerdings rein kommerzielle Kunstmesse. (Sie musste schon 2001 auf die Piers 88 und 90 und später auf die Piers 92 und 94 am Hudson River umziehen, wobei es mich freut zu dieser Veranstaltung einen persönlichen Bezug zu haben: Unsere in den Semesterferien in New York jobbende Enkelin unterstützte ihren Vater beim Aufbau eines Ausstellungsstands auf der Armory Show 2020, der letzten, die auf den Piers am Hudson River stattfand). Ab 2021 zieht sie in das neu erbaute Luxus-Stadtviertel Hudson Yards auf dem ehemaligen Rangiergelände der Penn Station.

MoMA

Die historische Armory Show hatte den positiven Nebeneffekt, Mäzenen, Kunstsammlern und -händlern, Künstlern und Museumsdirektoren die Augen zu öffnen, dass moderne Kunst in New York ein Schattendasein fristete. Drei einflussreiche Frauen, Lillie P. Bliss, Mary Quinn Sullivan und Abby Aldrich Rockefeller betrieben in den folgenden Jahren die Gründung eines Museums für ausschließlich moderne Kunst. Als Gründungsdirektor wurde Alfred H. Barr (*1902 †1981) auserkoren, ein amerikanischer Kunsthistoriker, der nach dem Studium in Princeton und anschließender Lehrtätigkeit am Wellesley College (MA) nach Europa gegangen war um die Kunstszene und das Museumswesen in England, den Niederlanden und Deutschland zu studieren. In Deutschland lernte er das Bauhaus schätzen und traf in Berlin Ludwig Justi, der mit der Neuen Abteilung im Kronprinzenpalais die bisher umfassendste Sammlung expressionistischer Kunst aufgebaut hatte. All das in Europa Gesehene verband Barr in seinem Konzept für das Museum of Modern Art (MoMA), das in Manhattan 1929 ein modernes Gebäude bezog und seine Sammlung beständig ausbaute. 1939 zog das Museum an seinen heutigen Standort in der 53rd Street, wo Edward Durell Stone und Philip Goodwin im minimalistischen Stil den ersten modernen Museumsbau New Yorks schufen. Nach Plänen des Architekten Philip Johnson erfolgte eine Erweiterung des Gebäudes in den 1950er und 1960er Jahren. Bei der Renovierung von 1984 verdoppelte César Pelli die Grundfläche des Museums und zwischen 2002 und 2004 gab es einen erneuten Umbau mit Erweiterung unter Leitung des japanischen Architekten Taniguchi für 860 Millionen Dollar. Aktuell ist das Museum nach der Renovierung von 2019 mit neuem Konzept gerade wiedereröffnet worden.

Alfred Barr wurde 1943, nach 14jähriger Tätigkeit als Museumsdirektor vom Vorsitzenden des Stiftungsrats kaltgestellt, angeblich, weil dieser nicht ertragen konnte, dass jemand mehr Kunstverstand besaß, als er selbst. Barr blieb dem MoMA aber dennoch bis 1967 als wissenschaftlicher Berater erhalten. Sein Verdienst ist die wissenschaftliche Systematik, mit der die Kunstwerke angekauft und ausgestellt wurden und deren Grundzüge ihm in den 20er Jahren die Berliner Nationalgalerie vermittelt hatte. Deshalb waren das MoMA und die Nationalgalerie stets freundschaftlich verbunden, was der Grund für die exorbitante große MoMA-Ausstellung war, die aufgrund des Umbaus in New York 2004 in Berlin stattfand und 1,2 Millionen Besucher anzog.

Für mich ist der Besuch im MoMA schon deshalb jedes Mal eine Freude, weil ich bei der An- und Abfahrt Midtown Manhattan durchstreifen und das Wiedersehen mit den mir lieben Orten Times Square, Rockefeller Center, Radio City Music Hall, Carnegie Hall und Central Park genießen kann. Seit der letzten Renovierung von 2019, die dem Museum 4000 m2 zusätzliche Ausstellungsfläche einbrachten, nimmt es nun den gesamten Block zwischen 5th und 6th Avenue sowie 53rd und 54th Street ein. Um die Teilhabe an moderner Kunst trotz des stolzen Eintrittspreises von 25 $ für alle Bevölkerungsschichten zu ermöglichen, gibt es freien Eintritt für Schüler unter 16 und den von UNIQLO gesponsorten Free Friday, diesen allerdings nur von 17:30 bis 21:00 Uhr. Die weltberühmten, ikonenhaften Bilder des MoMA befinden sich nun in veränderter Hängung in den neu gestalteten Räumen, wobei man das kunsthistorische Konzept von Alfred Barr leider großenteils aufgegeben hat. Werke unterschiedlichster Art und Epochen hängen jetzt nebeneinander, ein nicht immer nachvollziehbares Konstrukt, das ich schon im Brooklyn Museum beklagt habe. Man ist aber nach wie vor erschlagen von der unglaublichen Fülle französischer Moderne, die zusammen mit den Impressionisten des Metropolitan Museums nur von den Sammlungen in Paris erreicht wird. (Nicht umsonst war der Titel der großen Impressionismus-Ausstellung des Met in der Berliner Nationalgalerie „Die schönsten Franzosen kommen aus New York“). Für mich ist jedesmal überwältigend, dass sich allein vierzehn Gemälde, die zum Kunstgedächtnis der gesamten Welt gehören, in diesem Museum befinden:

Claude Monet: Triptychon der Wasserlilien, Paul Cézanne: Der Badende,

Pablo Picasso: Les Demoiselles d’Avignon, Henri Matisse: Der Tanz, Georges Bracque: Mann mit Gitarre,

Henri Rousseau: Schlafende Zigeunerin, Der Traum, Vincent van Gogh: Sternennacht, Olivenbäume in den Alpilles, Paul Gauguin: Tehura, die Geliebte des Künstlers,

Salvador Dalí: Schmelzende Uhren, Frida Kahlo: Selbstportrait,

Edward Hopper: Tankstelle, Andy Warhol: Campbell’s Soup Cans.

Daneben gibt es Werke der einflussreichsten europäischen and amerikanischen Künstler wie Francis Bacon, Marc Chagall, Giorgio De Chirico, Marcel Duchamp, Max Ernst, Alberto Giacometti, Paul Klee, Willem de Kooning, Fernand Léger, René Magritte, Aristide Maillol, Kazimir Malevich, Joan Miró, Piet Mondrian, Henry Moore, Auguste Rodin sowie Edward Hopper, Roy Lichtenstein, Jackson Pollock, Robert Rauschenberg, Mark Rothko, Frank Stella und vieler anderer.

Ein halbes Jahr lang (2012/2013) wurde eine Version des Hauptwerks von Edvard Munch: Der Schrei im MoMA ausgestellt. Das mit 119 Mio $ damals (2012) teuerste je versteigerte Kunstwerk ist danach leider wieder im Tresor irgendeines Superreichen verschwunden. Der mit Kiesboden und Fontänen ausgestattete Skulpturengarten im Inneren des MoMA-Komplexes befindet sich an der Stelle des früheren Stadthauses von Abby Aldrich Rockefeller, einer der drei Museumsgründerinnen. Hier stehen: Ein Jugendstileingang zur Pariser Métro von Hector Guimard, Renée Sintenis‘ Daphne von 1930, die vier Rückenakte von Matisse und weitere Skulpturen, u.a. von Maillol und Barnett Newman. Vom Restaurant The Modern, das auch von der 53rd Street aus zugänglich ist, hat man einen sehr schönen Blick darauf. Überraschender Weise war das Essen, das man hier servierte, erschwinglich und wohlschmeckend. Erst als ich im Überschwang des Glücks ein Glas Wein dazu bestellen wollte, wurde mir klar, warum alle Gäste nur Wasser tranken: Für ein 1 cl Glaserl wollten sie 20 $ haben.

Ikone der Moderne: Guggenheim Museum

Das bedeutendste moderne Exponat des Guggenheim-Museums ist das Museumsge-bäude selbst. Der Künstler-Architekt Frank Lloyd Wright entwarf das spiralförmige Bauwerk für die 1937 gestiftete Solomon R. Guggenheim Foundation – seit seiner Fertigstellung 1959 ist es eine Ikone der modernen Baukunst und steht auf der Warteliste für das New Yorker UNESCO Welterbe.

Solomon R. Guggenheim (*1861, † 1949) stammte aus einer in die USA emigrierten jüdischen Familie aus der Schweiz. Sein Vater Meyer Guggenheim hatte 1881 die Schürfrechte an einer Mine in Colorado mit großen Blei- und Silbervorkommen übernommen und damit beträchtlichen Gewinn gemacht. Zusammen mit seinen Söhnen baute er das Unternehmen beständig aus, zeitweise beherrschten die Guggenheims 80 % der weltweiten Produktion von Kupfer, Silber und Blei. Fast alle der acht Söhne Meyers engagierten sich für philanthropische Ziele, Solomon R. Guggenheim für die Förderung moderner Kunst.

Die deutsche Malerin Hilla von Rebay vermittelte ihm das Interesse an abstrakter Kunst und in den 30er Jahren begann er Werke von modernen, europäischen Künstlern zu sammeln, darunter Wassily Kandinsky. Nach Gründung der oben erwähnten Stiftung ging es ihm um die Errichtung eines Museums für „Non-Objective Art“. 1943 begann Hilla von Rebay zusammen mit dem von ihr ausgewählten Frank Lloyd Wright die Planung des heutigen Guggenheim-Museums mit der Adresse 1071 Fifth Avenue, gegenüber dem Central Park. Sie hatte maßgeblichen Einfluss auf den Entwurf, angeblich geht die berühmte Schneckenform auf sie zurück und außerdem bestand sie darauf, das Museum weiß zu streichen und nicht rot, wie vom Architekten gewünscht. Nach Guggenheims Tod 1949 verlor Hilla von Rebay sowohl den Rückhalt in dessen Familie als auch bei der Stiftung und musste 1952 ihre Leitungsfunktion aufgeben. Als das Museum 1959 endlich eröffnet wurde, war sie nicht dabei und betrat es auch bis zu ihrem Tode niemals.

Insbesondere Peggy Guggenheim, die Tochter von Solomons Bruder Benjamin, die selbst kunsthistorische Ambitionen hegte, hatte gegen sie intrigiert. Peggys Vater, einer der reichsten Amerikaner, war ein prominentes Opfer beim Untergang der Titanic und legendär sind seine letzten Worte, nachdem er seine Frau auf dem Rettungsboot in Sicherheit gebracht hatte: „Wir sind angemessen gekleidet und bereit, wie Gentlemen unterzugehen“. Peggy erbte von seinem Reichtum nur die verhältnismäßig geringe Summe von 450 000 $ (sie bezeichnete sich stets als „die arme Guggenheim“) die sie zum Aufbau einer eigenen Sammlung moderner Kunst verwandte. Begünstigt durch die Umstände von Krieg, Verfolgung und Vertreibung, von denen sie auch selbst betroffen war, kam für wenig Geld eine bedeutende Kollektion zusammen, die sie in ihrem Wohnsitz in Venedig, einem barocken Palastfragment am Canal Grande, unterbrachte. In ihrer Abwesenheit durfte diese besichtigt werden und nach ihrem Tode – unter der Bedingung, dass der Standort Venedig erhalten blieb – vererbte sie sie an die Solomon R. Guggenheim Foundation. Als Peggy Guggenheim Collection bildet sie nun, zusammen mit dem Guggenheim-Museum Bilbao die Trias der Guggenheim-Museen.

Die Kunstwerke der Foundation rotieren zwischen den drei Museen und man kann nie wissen, welche man zu sehen bekommt, wenn man ein Guggenheim-Museum besucht. Einzig den Museumsbau von Frank Lloyd Wright (genau wie den von Frank O. Gehry in Bilbao) kann einem keiner wegnehmen. Wir hatten einmal Pech und einmal Glück: Während wir von Richard Chamberlains gepressten Autowracks nicht so überzeugt waren, genossen wir ein andermal wunderbare expressionistische Kunstwerke aus den 20er und 30er Jahren. Während wir die spiralförmige Ausstellungsfläche abwärts wanderten, ergötzten wir uns nicht nur an den Exponaten sondern auch an einer Gruppe von Drittklässlern, die dank des Geschicks ihrer Kunstlehrer durchaus Freude an moderner Kunst empfanden.

Poker um Kunstwerke: Die Neue Galerie

Die deutsche Moderne, ihre Diffamierung im Nationalsozialismus als „Entartete Kunst“ und die Entrechtung der deutschen Juden zur selben Zeit kristallisieren sich in der Geschichte der Neuen Galerie, einem Privatmuseum für deutsche und österreichische Kunst, das sich wie das Metropolitan Museum, die Frick Collection und das Guggenheim in der 5th Avenue am Central Park, auf der „museum mile“, befindet. Es hat eine absolut New York-typische Geschichte, weshalb sich der Blick auf ein weiteres der Museen für moderne Kunst lohnt. Siegfried Sabarsky, einer seiner beiden Gründer, wurde 1912 als Sohn russisch-jüdischer Emigranten in Wien geboren. Vielseitig talentiert, betätigte er sich als Zeichner, Bühnenbildner und sogar als Clown beim Zirkus. Nach dem „Anschluss“ Österreichs floh er 1938 nach Frankreich und emigrierte nach Kriegsbeginn in die USA, für die er auch in den Zweiten Weltkrieg zog und seinen Vornamen in Serge änderte. Gegen seine alte Heimat hegte er jedoch keinen Groll (nur gegen den NS) und bewahrte sich eine lebenslange Vorliebe für die Kunst des deutschen und österreichischen Expressionismus, repräsentierten dessen Schöpfer doch das „andere Deutschland“.

Auf seinem weiteren Lebensweg nach dem Krieg wurde der „American Dream“ für ihn Wirklichkeit: Über die Innenarchitektur kam er in die Baubranche und gründete ein Unternehmen, das ihn rasch zu Wohlstand brachte. Er begann in den 50er Jahren die von ihm bewunderte Kunst zu kaufen – zu dieser Zeit noch preisgünstig zu haben – und trug Werke von Gustav Klimt, Egon Schiele, Oskar Kokoschka und Alfred Kubin sowie von Otto Dix, George Grosz, Erich Heckel, Max Beckmann, Ernst Kirchner, Mies van der Rohe und Marianne Brandt zusammen. 1968 beendete er seine Unternehmertätigkeit und gründete in der Madison Avenue eine Galerie, die seinen Namen trug und sich auf die Kunst des Expressionismus spezialisierte. Hier kam er in Kontakt mit Ronald S. Lauder, dem Kosmetik-Erben und mehrfachen Milliardär, der sich ebenfalls für diese Kunstrichtung interessierte und ausgewählte Exemplare bei ihm erwarb. Gemeinsam entwickelten sie Pläne für ein Museum für deutsche und österreichische Kunst von 1880 bis 1945. Dafür gab Sabarsky seine Galerie auf und organisierte stattdessen Kunstausstellungen – ganz gewiss um den Bekanntheitsgrad des Expressionismus zu steigern. Als 1994 an der 5th Avenue 1048 ein Beaux-Arts-Gebäude – das Wohnhaus eines Industriellen und später einer Vanderbilt-Erbin – zum Verkauf stand, wurde es mit vielen Lauder-Millionen als zukünftiger Museumsstandort erworben. Jedoch starb Serge Sabarsky bereits zwei Jahre später und Ronald Lauder führte das Museumsprojekt allein weiter. Grundstock der geplanten Ausstellung war Sabarskys Sammlung – mit einigen Bildern von Lauder – aber es fehlten ikonische, spektakuläre Exponate. Vor der Eröffnung wollte Ronald S. Lauder dem noch abhelfen, wohl wissend, dass Ende des Jahrhunderts ganz andere Preise galten als in den 50er Jahren, weil die Namen der Expressionisten mittlerweile Gewicht hatten und ihre Werke auch kaum noch auf dem Markt auftauchten.

Durch die Unterzeichnung der Washingtoner Erklärung war allerdings wieder Bewegung in den Kunstmarkt gekommen. 1998 hatten sich 44 Staaten verpflichtet Raubkunst zurückzugeben, die während des Nationalsozialismus jüdischen Eigentümern entzogen worden war. In beträchtlichem Maße betraf das Werke, die von den Nazis als „Entartete Kunst“ gebrandmarkt, von kollaborierenden Kunsthändlern im Ausland verhökert, bzw. unter dem Druck der Verfolgung von den jüdischen Besitzern selbst zu Billigpreisen abgegeben wurden. Durch vielfachen Weiterverkauf hatte sich die Spur dieser Kunstwerke oftmals in anonymen Privatsammlungen verloren, aber vieles wurde auch offen in staatlichen Museen präsentiert. Von Zeit zu Zeit tauchte das eine oder andere unbekannte Stück auf Auktionen auf, wodurch die Provenienzforschung einen unerwarteten Auftrieb erfuhr. Rechtsanwälte spezialisierten sich auf die Rückforderung von Raubkunst an die ursprünglichen Eigner oder ihre Erben, oftmals gegen einen gewissen Prozentsatz vom Wert der Objekte als Salär. Dazu leisteten sie akribische Detektivarbeit über Herkunft und weiteren Weg der Kunstwerke und erstellten ausführliche Gutachten zum rechtmäßigen Besitzer. Der Erfolg ihrer Bemühungen führte in der Regel zur sofortigen Versteigerung der zurück- gegebenen Bilder um die angelaufenen Kosten für die Provenienzforschung und die Anwaltshonorare zu begleichen. Dem Vorteil der wieder hergestellten rechtmäßigen Besitzverhältnisse stand dabei oft der Nachteil entgegen, dass vormals der Allgemeinheit in Museen zugängliche Kunstwerke jetzt im Privatbesitz nicht einmal der rechtmäßigen Eigner sondern potenter Erwerber landeten.

2001, eine Woche nach dem Anschlag von 9/11, eröffnete Lauder sein Museum unter dem deutschen Namen „Neue Galerie“. Der Name des „Mitbegründers“ kommt nur noch im Café Sabarsky vor, einem dem Wiener Kaffeehaus nachempfundenen Etablissement im Innern des Museums mit österreichischer Speisekarte, ebensolchem Koch und großem Andrang in der Platzierungsschlange. Nicht zuletzt durch dieses Café hat sich die „Neue Galerie“ in der New Yorker Kulturszene ein gewisses Renommee erworben, der Deutsche Expressionismus ist dagegen noch nicht im Kunstverständnis der Amerikaner angekommen. Es bedurfte schon einer spektakulären Aktion des Milliardärs, sein Haus in aller Munde zu bringen. Die ungelöste Problematik der NS-Raubkunst hatte er schon 1986/87 als Botschafter in Wien mitbekommen und zehn Jahre später bei der Gründung der Commission for Art Recovery, die die Washingtoner Erklärung vorantrieb. Ein besonders Aufsehen erregender Fall war die Klage der in die USA emigrierten Maria Altmann gegen den österreichischen Staat auf Herausgabe der berühmten Klimt-Gemälde aus dem Besitz der jüdischen Familie Bloch-Bauer, die im Museum Belvedere hingen. Während Wien argumentierte, dass die auf zwei der Gemälde dargestellte Adele Bloch-Bauer die Bilder dem Belvedere schon 1925 testamentarisch überlassen habe, setzten sich die Anwälte mit der Auffassung durch, dass Adele gar nicht die Eigentümerin gewesen sei sondern ihr Mann. 2006 stimmte Österreich der Rückgabe zu, die Kunstwerke kamen nach New York und wurden umgehend bei Christie‘s versteigert. Doch noch davor schlug Ronald Lauder zu und erwarb in einem Privatkauf die „Goldene Adele“, das bekannteste und vielleicht auch bedeutendste Werk von Gustav Klimt. Offiziell wurde der Kaufpreis nicht bekannt gegeben, weil es sich um eine rein private Transaktion gehandelt hatte, dennoch sickerte ein Betrag von 135 Mio $ durch, was zu dieser Zeit der höchste jemals für ein Kunstwerk bezahlte Preis gewesen wäre.

Für mich ist der Besuch der Neuen Galerie ein must do, nicht nur wegen der Dame in Gold sondern weil Lauder der Coup, ein Bild aus einem Museum herauszuklagen im selben Jahr noch einmal gelang. Das Brücke-Museum in Berlin verlor sein bestes Bild, die 1980 erworbene „Straßenszene“ von Ernst Kirchner, weil der Senat die Auffassung akzeptierte, dass der Verkauf 1936 unter Zwang stattfand, obwohl er eher unter dem Einfluss der Weltwirtschaftskrise erfolgte und der Kaufpreis sich im damals für Kirchner-Gemälde üblichen Rahmen hielt. Auch hatte Berlin später eine Ausgleichssumme gezahlt, die dem Wert des Kunstwerks zum Zeitpunkt des Erwerbs durch das Brücke-Museum entsprach. Nach Rückerstattung von Kaufpreis und Wertausgleich wurde das Bild zum größten Ärger der Brücke-Fördervereins „zurückgegeben“ und unmittelbar darauf bei „Christie‘s“ versteigert. Lauder erwarb es für 38 Mio $ für die „Neue Galerie“. Im Jahr darauf wurde er Präsident des World Jewish Congress und ist auch der Motor der dem WJC verbundenen Commission for Art Recovery, die geraubtem jüdischem Kunstgut nachspürt.

Das Treppenhaus in der Neuen Galerie mit Lampen von Adolf Loos zeugt vom Lebensstandard der Bourgeoisie vor dem Ersten Weltkrieg und ist absolut beeindruckend. Allerdings muss ich erst einmal die visitor regulations verkraften, die uns am Eingang erwarten, wie hohe Eintrittspreise von 25 $, Studenten und Behinderte 12$, freier Eintritt nur einmal im Monat für magere drei Stunden, Verbot für Kinder unter 12 Jahren (in den Shop und ins Café dürfen sie aber!) und ausgesprochen unfreundliches Personal. Das von außen so stattliche Gebäude ist innen gar nicht groß, so dass man den (allerdings trügerischen) Eindruck bekommt, es gäbe nicht viel zu sehen. Im ersten Stock, wo die Österreicher gezeigt werden, ist man natürlich geblendet von der jugendstiligen Dame in Gold und den expressionistischen, gar nicht schönen Bildern von Schiele. Erst im zweiten Geschoss, wo die deutschen Expressionisten ausgestellt werden, fällt mir vor Kirchners „Straßenszene“ auf, dass nirgendwo steht, woher die Schätze stammen und wann Lauder sie erworben hat, nicht einmal im Katalog der Ausstellung.

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