New York im Kaleidoskop

Inhalt

4 Politik in New York

Es lohnt sich, noch ein wenig bei der Politik zu verweilen und das speziell Amerikanische des Politiksystems, der Parteien, das Amt des Mayor of New York und einige prominente Amtsinhaber der Vergangenheit genauer in Augenschein zu nehmen. Im Vergleich zu Europa ist die Wahlbeteiligung in den Vereinigten Staaten traditionell niedrig, Michael Bloomberg, der vorletzte Mayor of New York erzielte bei seiner (ausnahmsweise möglichen) dritten Wahl eine Beteiligung von gerade einmal 25%. Solche Zahlen legen nahe, die Mobilisierung der Anhänger sowie die Gewinnung neuer Wähler zum Hauptziel des Wahlkampfs zu machen. Das war in New York schon immer so, deshalb gründeten sich bereits im 18. Jh. in allen Parteien Hilfsorganisationen, sogenannte political machines, deren Aufgabe es war, Gelder für den Wahlkampf einzusammeln und neue Wählerschichten für ihren Kandidaten zu erschließen. Das war im Prinzip nichts Ehrenrühriges, nur brachte dieses System viele Nachteile mit sich, wenn nach jedem Wahlsieg die Helfer und Neuwähler „belohnt“ werden mussten, um sie langfristig an die Partei zu binden. Am einfachsten funktionierte das, indem in der Stadtverwaltung neue Stellen geschaffen und an die Anhänger vergeben wurden, was eine sich ständig aufblähende Bürokratie zur Folge hatte.

Tammany Hall

Zur Unterstützung der Demokraten wurde 1786 die Tammany Society gegründet, eine Organisation, die sich in erster Linie an die bereits in New York Ansässigen wandte. Obwohl sie mit Indianern überhaupt nichts am Hut hatte, gab sie sich den (verballhornten) Namen des Lenape-Häuptlings Tamanend, nannte den Vorsitzenden Sachet (Häuptling) und den Tagungsort Wigwam. Erst 50 Jahre nach der Gründung realisierte man, dass gerade bei den bislang verachteten neuen Einwanderern ein großes Potential für den Gewinn von Neuwählern lag und so wandte man sich ab 1850 insbesondere den Iren zu, die wegen der Hungersnot in ihrem Lande massenhaft in die USA strömten. Obendrein stellten diese proletarischen, teilweise analphabetischen Neuankömmlinge eine bequeme, unkritische Klientel dar, die leicht zu manipulieren war. Der gerade in dieser Phase neu erbaute Sitz der Organisation wurde statt Wigwam nun Tammany Hall genannt und mit zunehmendem Erfolg der Lobbyarbeit ging der Name des Tagungsortes alsbald auf die Institution über. „Tammany Hall“ stand seitdem für Ämterpatronage, Klientelpolitik und Korruption in der Demokratischen Partei, bzw. in der Politik überhaupt. Die Parteienszene unterschied sich damals erheblich von der heutigen. Die Demokraten waren konservativer als die Republikaner und nahmen deren heutige Positionen ein; in der Zeit von der Gründung bis heute haben beide Parteien ihr Profil quasi getauscht.

Die mehr als 130.000 bitterarmen irischen Einwanderer stellten um 1855 34% der Wahlberechtigten New Yorks und Tammany Hall versorgte sie mit Unterkunft, Beschäftigung und Hilfe bei der Einbürgerung. Im Verlauf eines einzigen Tages half ein Tammany-Mitglied den Opfern eines Häuserbrands, sorgte für die Freilassung von sechs Betrunkenen durch ein Gespräch mit dem Richter, zahlte einer vom Rauswurf bedrohten Familie die Miete und gab ihr zusätzlich Geld für den Lebensunterhalt, verschaffte vier Personen Arbeit, nahm an den Begräbnisfeiern eines Italieners und eines Juden teil, besuchte eine Bar Mitzvah und ging auf die Hochzeit eines jüdischen Brautpaars in seinem Stimmbezirk. Ein solches System sorgte für Abhängigkeit und gegenseitige Verpflichtung und sobald sie sich aus dem Elend herausgearbeitet hatten, engagierten sich viele der einst Unterstützten selbst bei Tammany Hall. Auf diese Art und Weise wurde die Organisation zunehmend irisch unterwandert. Durch das Prinzip des wechselseitigen Gebens und Nehmens entstand ein mafiöses Geflecht von Beziehungen, das 80 Jahre lang die Politik von New York bestimmte. Es begann 1854 mit der von Tammany Hall betriebenen Wahl von Fernando Wood zum New Yorker Bürgermeister und endete erst 1934 nach dem Amtsantritt des legendären Fiorello La Guardia.

Der korrupte Häuptling

Ein erschreckender Höhepunkt der Korruption in diesen Jahren wurde unter William Tweed (1823 – 1878) erreicht, der von 1863 bis 1874 Grand Sachem der Tammany Hall und gleichzeitig Vorsitzender der Demokraten in New York war. Seine Vorfahren waren emigrierte schottische Protestanten, er selbst verließ die Schule mit 11, um in der Werkstatt seines Vaters zu arbeiten. Als Big Bill (den Spitznamen erhielt er wegen seines Leibesumfangs) war er Anführer einer Jugendgang und ging später zur Feuerwehr, wo er schnell Karriere machte. Gefördert von Tammany Hall entschloss er sich im Alter von 29 Jahren für eine Politiklaufbahn in der Demokratischen Partei, für die er 1853 als Abgeordneter im US Repräsentantenhaus einzog. Sein weiterer Aufstieg vollzog sich gleichermaßen in der Tammany Society wie in der Partei; 1863 stand er in beiden an der Spitze und erhielt den Spitznamen „Boss Tweed“; 1868 wurde er auch noch Senator des Staates New York. Er bekannte sich offen dazu, bestechlich zu sein und nutzte seine Stellung schamlos zur persönlichen Bereicherung sowie zur Begünstigung von Tammany Hall aus. So raffte er ein persönliches Vermögen in Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags zusammen und ließ der Tammany Society 200 Millionen Dollar aus öffentlichen Kassen zukommen. Seine „Einnahmen“ erzielte er durch krumme Geschäfte, indem er z. B. Parkbänke für 5 $ pro Stück kaufte und sie an die Stadt für 600 $ weiterverkaufte oder durch die Verteuerung öffentlicher Bauvorhaben zu seinen Gunsten. Beim Bau des von ihm organisierten City Hall Park stiegen die ursprünglich auf 350.000 $ geschätzten Kosten auf 13.000.000 $ bei Fertigstellung. Er installierte ein ausgefeiltes Korruptionsystem zur weiteren Sicherung seiner Macht: Immigranten erhielten das Bleiberecht nur gegen Bestechungsgelder, Beamte mit Entscheidungsbefugnis wurden eingeschüchtert oder ihrerseits bestochen und die Presse wurde durch Vergabe von gut dotierten Inserataufträgen der Kommune oder von Mitgliedern der Society gefügig gemacht. Auch vor Wahlfälschungen in New York schreckte Tweed nicht zurück. Auf seinem Höhepunkt war er der drittgrößte Grundstücksbesitzer der Stadt, Direktor der Erie Railway, Direktor der Tenth National Bank und der New York Printing Company, Besitzer des Metropolitan Hotel und Präsident des Americus Club. Er besaß ein Haus auf der Fifth Avenue und ein Landhaus in Greenwich, zwei Yachten und Hemdknöpfe aus Diamanten, die über 300.000 $ in heutiger Währung wert waren. Ungeachtet all dessen legte er jedoch allergrößten Wert auf sein Image als Freund der Armen und Einwanderer.

Der damals sehr bekannte Karikaturist Thomas Nast prangerte mit seinen Zeichnungen in der Zeitschrift Harper’s Weekly das System von Tweeds Korruption und politischer Willkür scharf an. Tweed waren Presseartikel über ihn ziemlich egal, da, wie er meinte, seine Klientel ohnehin nicht lesen könne, er fürchtete aber Nasts bissige Karikaturen, die auch von Analphabeten leicht verstanden wurden. Der Versuch, die Herausgeber des Blattes unter Druck zu setzen, indem er ihnen städtische Aufträge entzog und die geplante Bestechung des Künstlers mit 500.000 $ scheiterten jedoch kläglich. Ohnehin war Tweeds Stern (und der von Tammany Hall) im Sinken und mit dem Wechsel der Präsidentschaft auf die Republikaner wendete sich das Blatt. 1871 fand ein Untersuchungsausschuss heraus, dass in den Haushaltsbüchern des Staates New York Thermometer für 7.500 $ und Besen für 41.190 $ pro Stück abgerechnet wurden, alles zugunsten von mit Tweed verbandelten Personen. Ein Zimmermann hatte 360.747 $ für die Arbeit von einem Monat eingestrichen, und ein Einrichtungshaus 5.691.144 $ für Möbel und Teppiche berechnet. Ein Sheriff von New York versorgte den Ausschuss aus Enttäuschung über zu wenig Schmiergeld mit weiteren belastenden Dokumenten. 1874 wurde Tweed endlich angeklagt und zu zwölf Jahren Haft verurteilt, 1876 starb er im Gefängnis. Die Tammany Society wurde reformiert, ihre Mitglieder waren aber bald wieder in den alten Machtpositionen und konnten weiterhin die Bürgermeisterwahl von New York City beeinflussen.

1886 kandidierte Theodore Roosevelt, der spätere US Präsident, für das Amt des Bürgermeisters. In der unter Kontrolle von Tammany Hall stehenden und von Fälschungsvorwürfen überschatteten Wahl erzielte er nur 27 Prozent der Stimmen und verlor deutlich. Allerdings wurde er neun Jahre später für zwei Jahre zum Leiter des New York Police Department (NYPD) ernannt und reformierte dabei die als korrupteste Behörde Amerikas geltende New Yorker Polizei radikal. Jedoch blieb der Einfluss von Tammany noch 30 weitere Jahre bestehen, bis es Fiorello LaGuardia nach seiner Wahl zum Mayor of New York glückte, die Macht dieser Bedrohung der Demokratie ein für alle Mal zu brechen. Im Folgenden möchte ich exemplarisch vier der für mich einflussreichsten und/oder charismatischsten New Yorker Bürgermeister vorstellen.

Bürgermeister: Fiorello LaGuardia

LaGuardia (1882-1947) wurde als Kind italienischer Eltern in New York geboren, wuchs aber in Arizona auf. Als sein Vater dort 1898 seinen Job als Leiter einer Militärkapelle verlor, zog die Familie nach Triest, der (damals habsburgischen) Heimatstadt seiner italienisch-jüdischen Mutter. LaGuardia arbeitete nach seinem Schulabschluss in den US-Konsulaten in Budapest und Fiume (heute: Rijeka) und kehrte nach 6 Jahren mit exzellenten Sprachkenntnisse (Englisch, Italienisch, Deutsch, Kroatisch und Jiddisch) nach New York zurück um dort Jura zu studieren. Sein Studium finanzierte er durch die Tätigkeit als Übersetzer auf Ellis Island, was ihn schon früh mit den Problemen der Migranten in den USA konfrontierte. Nach dem Juraexamen wurde er zum stellvertretenden Staatsanwalt (attorney general) des Staates New York berufen, entschloss sich aber bald, für die Republikaner als Kandidat für das US-Repräsentantenhaus anzutreten. Im Wahlkampf erlebte er die bekannten Praktiken der Tammany Hall und widmete von nun an sein ganzes politisches Leben dem Kampf gegen die Korruption. Bei seiner ersten Wahl bestand er darauf, die Stimmenauszählung persönlich mit zu kontrollieren, was ihm einen hauchdünnen Sieg gegen den von Tammany unterstützten demokratischen Kandidaten einbrachte und zwar in einem Bezirk, in dem diese für gewöhnlich einen Vorsprung im Verhältnis von 5:1 erzielten. Nach seinem Rücktritt als Abgeordneter 1919 war er kurz Präsident des City Council (Stadtrats) von New York, ehe er 1923 für 10 Jahre in den Kongress zurückkehrte, nicht nur für die Republikaner sondern auch für die kurzlebige, aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangene American Labor Party. 1929 hatte er – noch als Kongressmitglied – für die Republikaner bei der New Yorker Bürgermeisterwahl kandidiert, diesmal aber die immer noch existierende Macht von Tammany Hall mit voller Wucht zu spüren bekommen. Er kassierte die höchste Niederlage in der New Yorker Geschichte überhaupt und das gegen einen durch und durch korrupten Tammany-Hall-Kandidaten. LaGuardia kehrte dennoch aus Washington nach New York zurück und machte sich dort als Gegner von Kinderarbeit und Prohibition sowie als Befürworter der Gleichberechtigung von Frauen einen Namen. Auch wandelte sich das politische Klima nach dem Börsenkrach zu seinen Gunsten. Gouverneur F. D. Roosevelt hatte inzwischen einen Untersuchungsrichter ernannt (um der Korruption bei Tammany und im Bürgermeisteramt nachzugehen), der Erstaunliches zutage förderte: Ein Sheriff besaß bei einem Einkommen von 8.000 $ ein Barvermögen von 400.000 $, von dem er behauptete, es in einer zu Hause bewahrten Blechbüchse zusammengespart zu haben. Allmählich begann der Kampf gegen die Korruption zu greifen und die Macht der Tammany Society schwand, bis bei der 1934 stattfindenden Bürgermeisterwahl LaGuardia auf über 2 Mio Stimmen kam und mit großer Mehrheit zum Mayor of New York gewählt wurde – der erste ohne Unterstützung von Tammany seit 80 Jahren. Die Society verlor weiterhin an Bedeutung und löste sich später (1967) sogar auf. Kaum im Amt, bestimmte der neue Bürgermeister einen Sonderankläger, um die Macht der organisierten Kriminalität zu brechen. Dieser wandte sich zuerst gegen das illegale Glücksspiel, das bereits geschäftliche Grundlage der klassischen New Yorker Banden geworden war und vor allem von Dutch Schultz, einem Freund des mächtigsten Mafioso der Stadt, Lucky Luciano, betrieben wurde. Schultz wurde wegen Steuerhinterziehung angeklagt, Luciano 1936 zu 30 bis 50 Jahren Haft verurteilt.

Als Verwaltungsexperte sorgte LaGuardia dafür, dass in der Stadtverwaltung nur noch qualifiziertes Personal eingestellt wurde und brachte sie damit auf Vordermann. Auch die katastrophale Finanzlage, die sein Vorgänger hinterlassen hatte, wurde bereinigt. Im Zuge der Haushaltseinsparungen kürzte er sein eigenes Gehalt von 40.000 auf 22.500 Dollar. Wegen der Wohnungsnot kümmerte er sich um öffentlichen Wohnungsbau, eine seiner ersten Amtshandlungen war die Gründung der New York City Housing Authority (NYCHA). Das Stadtbild von Manhattan änderte sich in seiner Amtszeit erheblich. Als Gegner von oberirdischen Schienenfahrzeugen wie Straßenbahn und Elevated Railway setzte er durch, dass diese unter die Erde verlegt und das Hochbahnsystem in Manhattan eingestellt und abgerissen wurde. LaGuardia trat 1945 nach drei Amtszeiten ab und starb 1947 im Alter von 64 Jahren. Seiner Frau hinterließ er nur 8.000 $ und ein Häuschen in der Bronx. Ganz New York trauerte um „The Little Flower“, wie er in Übersetzung seines Vornamens Fiorello und in Anspielung auf seine geringe Körpergröße genannt wurde.

Ed Koch

Es dauerte 30 Jahre, bis wieder ein ähnlich charismatischer Typ wie LaGuardia das Bürgermeisteramt einnahm. Ed Koch (1924–2013) wurde als Sohn polnisch-jüdischer Eltern in der Bronx geboren und studierte nach seiner Militärzeit im 2. Weltkrieg, die er zuletzt als Besatzungssoldat in Bayern verbrachte, Jura. Über die politische Tätigkeit als Staatsanwalt kam er für die Demokratische Partei in die New Yorker Stadtpolitik und anschließend ins Repräsentantenhaus und kandidierte 1977 gegen den Bürgermeister Abraham Beame, der ebenfalls den Demokraten angehörte, für das Amt des Mayor of New York. Als Koch 1978 zum Bürgermeister gewählt wurde, steckte New York in einer tiefen Finanzkrise, hervorgerufen durch einen aufgeblähten öffentlichen Dienst und ein strukturelles Haushaltsdefizit. In den Jahren 1975 und 1976 stand New York kurz vor dem Bankrott, nachdem sich die Bundesregierung unter Präsident Gerald Ford zunächst geweigert hatte, Bürgschaften für die Stadt zu übernehmen. In dieser Zeit, als die Stadt sich außerstande sah, ihre öffentlichen Bediensteten zu bezahlen, trat Koch sein Amt an und sorgte von Anfang an dafür, dass der städtische Haushalt nur noch nach den Regeln der US GAAP (Generally Accepted Accounting Principles) aufgestellt wurde. Das bedeutete, dass die Regeln für staatliche Haushaltsführung denen der Geschäftswelt entsprechen mussten. Damit gingen eine Reihe schmerzlicher Einschnitte im Budget einher, wie die Reduzierung der städtischen Beschäftigten und der Zahl der Krankenhausbetten sowie die Einführung von Studiengebühren für die City University, alles Maßnahmen, mit denen sich sein Amtsvorgänger bereits unbeliebt gemacht hatte. Aber Koch ging noch darüber hinaus. Die Beseitigung der Diskriminierung auf dem Arbeitsplatz aufgrund der sexuellen Orientierung von Mitarbeitern war ihm ein großes Anliegen und mündete, da ihm die Bundespolitik nicht folgte, in einem kommunalen Antidiskriminierungsgesetz. Da er selbst ehelos lebte, trug ihm das den Verdacht ein, ebenfalls homosexuell zu sein, aber er wusste sich dieser und anderer Anwürfe stets durch seinen Humor, seine Scharfzüngigkeit und seine Glaubwürdigkeit zu erwehren. Legendär sind seine lakonischen Bemerkungen wie “Wenn Sie mit mir in 9 von 12 Punkten übereinstimmen, wählen Sie mich! Wenn Sie in 12 von 12 Punkten übereinstimmen, gehen Sie zum Psychiater!“ oder „Ich bin nicht der Typ, der Magengeschwüre bekommt, sondern der welche verursacht.“ Seine Politik wurde von der Bevölkerung sehr gut angenommen, unter anderem, weil er den städtischen Wohnungsbau hochhielt und vernachlässigte Häuser massenweise renovieren ließ. Koch benutzte auf dem Weg ins Büro die öffentlichen Verkehrsmittel und grüßte die Mitfahrer mit „“Hi! How am I doing?”, worauf er sich selbst sofort antwortete “Terrific!”, bevor es jemand anderes tat. Nach seiner ersten Wiederwahl bewarb er sich erfolglos um den Gouverneursposten für New York, was aber seiner Popularität keinen Abbruch tat, denn er wurde später auch noch für eine dritte Amtszeit als Bürgermeister gewählt. Allerdings rückte er in seiner politischen Einstellung im Laufe der Jahre immer weiter nach rechts, so dass er schließlich gleichermaßen auf der Liste der Demokraten wie auch der Republikaner stand. Besonders stolz war er darauf, dass es ihm gelungen war, den Streik der New Yorker Verkehrsbetriebe, der das öffentliche Leben in der Stadt lahmgelegt hatte, zu brechen. In seinen Wahlkämpfen versuchte er, den Wähler stets als Individuum anzusprechen und nicht als Anhänger seiner Partei. Dennoch ging seine Beliebtheit allmählich zurück, vor allem durch einige Korruptionsvorfälle in seiner Verwaltung, so dass er für eine vierte Amtszeit nicht mehr nominiert wurde. Er kommentierte das trocken mit „Das Volk hat gesprochen – und dafür sollte es bestraft werden“. Nach seinem Abtreten 1989 setzte er sich nicht zur Ruhe, sondern wurde wieder als Jurist tätig, arbeitete an diversen Hochschulen als Gastprofessor, schrieb ein Kinderbuch, drehte Filme und leitete eine Radio-Talkshow. Zusammen mit dem ehemaligen republikanischen Verteidigungsminister Colin Powell arbeitete er an der KSZE-Konferenz von 2004 mit, was er im selben Jahr auch auf der Europäischen Konferenz gegen Antisemitismus in Berlin tat. Aufsehen erregte die Empfehlung für Rudolph Giuliani als seinen Nachfolger, wie er sowieso gerne parteiübergreifende Unterstützung von Politikern kundtat, von den Demokraten Hillary Clinton und Barack Obama bis zum Republikaner George W. Bush. Sein Nachfolger wurde jedoch noch nicht Giuliani, sondern der erste – und bis 2022 einzige – Afro-Amerikaner auf dem New Yorker Bürgermeistersessel, der Demokrat David Dinkins.

Wegbereiter des Trumpismus: Rudolph Giuliani

1994, vier Jahre nach der Wahl von Dinkins gelang es Giuliani, geboren 1944 in New York, dann doch noch, Bürgermeister von New York zu werden. Er steht für einen gravierenden Wechsel des amerikanischen Politikstils zum Negativen, der Auswirkungen bis auf die Präsidentschaft von Donald Trump hat, nur deshalb habe ich ihn in diese Auflistung aufgenommen. Er begann sein politisches Wirken zunächst als Demokrat und ließ sich später als Unabhängiger registrieren; seit 1976 gehört er den Republikanern an. „Rudy“ Giuliani entstammt einer Familie italienischer Migranten der zweiten Generation. Sein Vater Harold Angelo Giuliani wurde 1938 straffällig, saß 1 1/2 Jahre in Sing-Sing und verkehrte danach in Kreisen der italienischen Mafia. Sein Sohn setzte sich davon entschieden ab und strebte nach dem Abschluss der Law School eine Karriere als Staatsanwalt an, die ihn bis ins Amt des Bundesstaatsanwalts führte. In dieser Funktion führte er spektakuläre Prozesse, so einen gegen Asylbewerber aus Haiti zur Zeit des Diktators „Baby Doc“ Duvalier, in dem Giuliani die These vertrat, es gebe in Haiti keine oder nur vernachlässigbare politische Repression, aus diesem Grunde könne auch kein Asyl gewährt werden. Großes Aufsehen erregte der „Monsterprozess“ gegen die italienische Drogenhändlerszene – die nach einem italienischen Mafiafilm so genannte „Pizza Connection“ – in dem die Täter zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt wurden. Giuliani erwarb sich hierbei das Ansehen als „harter Hund“, das ihm später bei seiner politischen Karriere sehr nützlich sein sollte. Kritiker führten dagegen an, dass er gerne öffentlichkeitswirksame Verhaftungen arrangiere, die, weil vorschnell und unvorbereitet, oft in Freilassungen aus Mangel an Beweisen endeten. Schon im Wahlkampf gegen Dinkins wurde der erwähnte neue Politikstil deutlich, eine polarisierende Kampagne, die die WASP-Klientel (White, Anglo, Saxon, Protestant) gegenüber den Migranten bevorzugte und völlig neue Töne in Bezug auf eine strikte Law-and-Order-Politik anschlug. Der neue Chef des NYPD (New York Police Department), William Bratton, führte eine offensive und erfolgreiche Polizeistrategie ein, die unter den Slogans broken windows theory und zero tolerance zu einem deutlichen Rückgang der Kriminalitätsquote führte. Der erstere Slogan besagte, dass Vernachlässigung und Untätigkeit in einem Stadtviertel zu weiterem Niedergang führe, weshalb augenblicklich darauf reagiert werden müsse, während letzterer dazu aufforderte, jedwede Ordnungswidrigkeit von der Bagatelle bis hin zum Verbrechen streng zu ahnden. Das so positiv gewandelte Bild New Yorks in den Augen der Bürger führte 1998 zu Giulianis Wiederwahl. In seine zweite Amtszeit fiel der Terroranschlag von 9/11, der dem Bürgermeister die Chance bot, Führungseigenschaften in einer nationalen Katastrophe zu zeigen. Nach dem Einsturz der Twin Towers des World Trade Centers am 11. 09. 2001 koordinierte er die Hilfsmaßnahmen der Stadtverwaltung, spendete Trost für die Hinterbliebenen der Opfer und erklärte die umgekommenen New Yorker Feuerwehrleute zu Helden. Seine Kritiker sahen seine Erfolge dagegen in einem ganz anderen Licht. Die Kriminalitätsrate sei in den 1990er Jahren bundesweit zurückgegangen, auch in Städten ohne broken windows und zero tolerance. Die mit letzterem einhergehende brutale Polizeigewalt, die zur Tötung auch unschuldiger und in den meisten Fällen schwarzer Mitbürger führte, löste Unruhen und gewaltsame Ausschreitungen aus. Sein Engagement bei 9/11 sahen viele als übertrieben an und äußerten den Verdacht, dass es dem Bürgermeisteramt nur eine positive Publicity verschaffen sollte. Viel bedenklicher als diese Kritikpunkte aber war Giulianis Umgehen mit der Wahrheit in der politischen Auseinandersetzung. Lange vor der bewussten Lüge als politischer Waffe und der Instrumentalisierung von fake news durch Donald Trump bediente sich bereits Giuliani dieser Mittel. So wies er jede Nachfrage über die kriminelle Karriere seines Vaters brüsk zurück („He was an honest man!“), bis ihn ein Enthüllungsjournalist in seinem Buch mit den Fakten konfrontierte und er zugab, doch davon gewusst zu haben. Im Wahlkampf gegen Hillary Clinton um den Senatssitz für New York behauptete er, diese sei eine herzlose Frau, die es nicht einmal für nötig befunden habe, den Toten von 9/11 die Reverenz zu erweisen – dabei existierten Fernsehaufnahmen, die ihn selbst und Hillary bei der Kranzniederlegung auf Ground Zero zeigten. Nach Ablauf seiner zweiten Amtszeit startete er eine Kampagne, um als Präsidentschaftskandidat nominiert zu werden. Darin griff er Barack Obama mit dem Vorwurf an, erst unter dessen Präsidentschaft hätte es islamistische Anschläge auf amerikanischem Boden gegeben (9/11 schien er dabei bereits vergessen zu haben!). Nach dem Scheitern seiner eigenen Präsidentschaftsambitionen diente er sich Donald Trump als Rechtsberater an und unterstützte ihn bei der Praktizierung des von ihm selbst kreierten neuen Politikstils (fake news, alternative facts). Aktuell ist Giuliani einer der fanatischsten Verfechter der Mär von der „stolen election„, konnte aber vor Gericht keinerlei Nachweise für Unregelmäßigkeiten bei der Wahl Joe Bidens erbringen. In New York und Washington D.C. hat er deswegen seine Zulassung als Rechtsanwalt verloren.

Die alternative Karriere: Bill de Blasio

Die Leistungen des letzten Bürgermeisters von New York, Bill de Blasio, werden zwar nicht überschwänglich beurteilt, trotz eines überzeugenden Ergebnisses bei seiner Wiederwahl. Aber in Zeiten des Rechtsrucks, des Populismus und der Spaltung der Nation unter Donald Trump ist es für liberal denkende Menschen dennoch wohltuend, eine politische Karriere wie die seine zu betrachten. Das positive Bild vom „Kaleidoskop New York“ wird von solchen Biographien geprägt und dass de Blasio in diesen reaktionären Zeiten mit einem Wahlprogramm, das darauf abzielte, Ungleichheiten zu beseitigen und Benachteiligten ein würdiges Leben in New York zu ermöglichen, einen erdrutschartigen Sieg erzielte, stärkt nicht nur meinen Glauben an unsere westliche Demokratie.

Als Warren Wilhelm, Jr. wurde er 1961 in New York als Sohn von Maria, geborene De Blasio und Warren Wilhelm geboren. Sein Vater stammte von deutschen Einwanderern des 19. Jh. ab, seine Großeltern mütterlicherseits kamen aus Süditalien. Nach einem brillanten Examen in Yale zog der Vater in den Zweiten Weltkrieg und kämpfte in Japan in der verlustreichen Schlacht um Okinawa. Nach der Rückkehr ging er in den Staatsdienst, verließ ihn aber 1953 wieder, weil in der sogenannten McCarthy Ära das FBI Untersuchungen gegen ehemalige Yale-Studenten wegen kommunistischer Umtriebe führte. Dadurch wurde er beruflich aus dem Gleis geworfen und auch aufgrund seines nie verarbeiteten Kriegstraumas (er hatte ein Bein verloren) rutschte er in den Alkoholismus ab. Nach der Geburt seines jüngsten Sohnes, des späteren Bürgermeisters, verschlimmerte sich sein Zustand, so dass sich seine Frau von ihm trennte und mit den Kindern nach Maryland umzog. Als er auch noch an einem inoperablen Lungenkrebs erkrankte, beging er 1979 Suizid.

Maria de Blasio, eine Werbemanagerin, zog die Kinder allein auf und Warren Jr. änderte seinen Namen zunächst in Warren de Blasio-Wilhelm und 2002 in Bill de Blasio, wohl auch, um die Verbindung zu seiner Mutter und seinem italienischen Erbteil zu betonen, schließlich war er zweisprachig aufgewachsen. (Den Rufnamen Bill, die amerikanische Kurzform von Wilhelm bzw. William – obwohl der sich auf seinen Nachnamen bezog – erhielt er schon als Kind). In seiner Studentenzeit in New York engagierte er sich von Anfang an für Studentenrechte und gegen die Weiterverbreitung von Atomwaffen. Nach seinem Master of International Affairs an der Columbia University besuchte er als Teilnehmer eines freiwilligen Sozialdienstes 10 Tage Nicaragua, um Lebensmittel und Medizin während der Revolution zu verteilen. Den damaligen Ideen des Sandinismus stand er sehr nahe und bezeichnete sich selbst als „demokratischen Sozialisten“. Nach der Rückkehr zog er nach New York und arbeitete für eine nonprofit organization, deren Ziel die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Mittelamerika war.

In die Politik kam er als freiwilliger Koordinator der Wahlkampagne von David Dinkins für das Bürgermeisteramt (dem ersten schwarzen Bewerber für dieses Amt), dem eine feste Anstellung als Wahlkampfmanager für einen Abgeordneten des Repräsentantenhauses folgte. 1997, während der Ära von Bill Clinton, arbeitete er als Regionaldirektor für New York und New Jersey im Bundesressort Wohnungsbau und Stadtentwicklung und erhöhte dort die Bundeszuschüsse für Sozial- und Seniorenwohnungen. Anschließend leitete er Hillary Clintons erfolgreiche Kampagne für den Senatssitz des Staates New York. 2001 zog er für den 39. District (einen Teil von Brooklyn) ins New York Council ein und wurde 2003 und 2005 mit 72% und 83% der Stimmen wiedergewählt. In diesem Amt sorgte er für Mieterschutz-Gesetze, die die Rechte von Mietern mit Wohnberechtigungsscheinen, von HIV-Infizierten und der LGBT-Community (lesbian, gay, bisexual and transgender) gegenüber den Vermietern stärkten. Einwanderer ohne Englischkenntnisse sollten bei der Antragstellung sprachlich unterstützt werden. Als Mitglied des Council wirkte de Blasio auch in den Ausschüssen für Allgemeine Fürsorge (Vorsitz), Erziehung, Umweltschutz, Finanzen, und Technologie in der Regierungsarbeit des Bürgermeisters mit.

2010 wurde er in das Amt des New York City Public Advocate gewählt, der sich um Sorgen und Beschwerden der Bürger kümmert und Vorschläge für die Verbesserung der öffentlichen Dienstleistungen unterbreitet (bei uns etwa vergleichbar einem Vorsitzenden des Petitionsausschusses). Dadurch war er zwar nur noch beratendes Mitglied des City Council, konnte aber viel öffentlichkeitswirksamer und bürgernaher Einfluss auf die Kommunalpolitik nehmen. Von Anfang an kritisierte er die Bildungs-, Familien- und Sozialpolitik von Bürgermeister Michael Bloomberg, z.B. wegen der Abschaffung freier U-Bahn-Tickets für Schüler, der Budgetkürzung bei der Kinderbetreuung und des Co-Location-Streits um die (für die öffentlichen Schulen schädliche) Unterbringung von staatlich geförderten charter schools und öffentlichen Regelschulen im selben Gebäude. Gegen Bloombergs Pläne, den städtischen Haushalt durch Entlassung von 4.600 Lehrern zu reduzieren, organisierte er allgemeinen Widerstand und erreichte, dass die Einsparungen anderswo erfolgten. Die Reduzierung der Anzahl von Wohnberechtigungsscheinen für Bürger mit niedrigem Einkommen durch die New Yorker Wohnungsbehörde (New York City Housing Authority) musste auf de Blasios Initiative rückgängig gemacht werden. Er regte auch die Veröffentlichung der „NYC’s Worst Landlords Watchlist“ an, die solche Vermieter anprangerte, welche sich weigerten, Gefahrenstellen in Häusern und Wohnungen zu beheben.

Als Michael Bloomberg zur Wiederwahl nicht mehr antreten durfte, kandidierte de Blasio 2013 endlich für das Amt des Mayor of New York. In seinem Wahlprogramm kündigte er Steuererhöhungen für Bürger mit einem Einkommen von mehr als 500.000 Dollar an; die Mehreinnahmen sollten zur Finanzierung vorschulischer und schulischer Programme dienen. Außerdem sollten jährlich 150 Millionen Dollar in die City University of New York investiert werden, um die Studiengebühren zu senken und die Studienabschlüsse zu verbessern. Gegenüber Charter-Schulen und deren Finanzierung kündigte er eine kritische Haltung an und machte seine Präferenz für die traditionellen öffentlichen Schulen deutlich. Es war das Anti-Programm zu seinem Vorgänger Michael Bloomberg, der die Stadt zwölf Jahre lang angeführt und eine boomende Wirtschaft, gestiegene Lebensqualität und eine sinkende Kriminalitätsrate hinterlassen hatte. Jedoch gab es zu viele Verlierer: die Mittelschicht, die sich die guten Gegenden der Stadt nicht mehr leisten konnte, die Armen, die an den Rand gedrängt wurden und Minderheiten, besonders Farbige, die sich von der Polizei drangsaliert fühlten. Von Demokratischen Clubs, der größten Gewerkschaft von New York City, Stars wie Alec Baldwin, Susan Sarandon und Harry Belafonte erfuhr de Blasio große Unterstützung in seiner Kampagne. Eine Protestdemonstration gegen die Schließung des Long Island College Hospitals, bei der er und andere prominente Demokraten wegen Ruhestörung vorübergehend festgenommen wurden, erbrachte zusätzliche Publicity.

Mit einem der deutlichsten Ergebnisse der vergangenen Jahrzehnte gewann de Blasio schließlich die Wahl in der größten Stadt der USA. Der linke Demokrat kam bis auf 73 % der Stimmen, während sein republikanischer Kontrahent nur rund 24 % erreichte. Erstmals seit 20 Jahren stellt die Demokratische Partei nun wieder einen Bürgermeister von New York. Als sein Hauptanliegen bezeichnete er die wachsende Ungleichheit in der Stadt und als eine seiner ersten Maßnahmen schuf er die municipal identification card (Personalausweis) für alle Bewohner der Stadt ungeachtet ihres Immigrationsstatus, die ihnen die Inanspruchnahme städtischer Leistungen sicherte. Die Reform des von Rudy Giuliani eingeführten stop-and-frisk program, das verdachtsunabhängige Personenkontrollen möglich machte und vorwiegend Angehörige der Unterschicht und der Minderheiten betraf, brachte ihm auch Gegenwind. Ging es unter seinen Vorgängern um Vorfälle ungerechtfertigter Polizeigewalt gegen Minderheiten, wurden jetzt zwei Polizisten in einer Weise getötet, die einer Exekution gleichkam. Als de Blasio das Krankenhaus aufsuchte, wohin man die Leichen gebracht hatte, drehten ihm die anwesenden Polizisten demonstrativ den Rücken zu. Dennoch errang er bei seiner Wiederwahl 2017 mit 65 % der Stimmen erneut eine deutliche Bestätigung seiner Politik. Als Positivum seiner Ära kann gewertet werden, dass nach dem Ende seiner Amtszeit bei der Bürgermeisterwahl 2021 die Populisten keine Chancen hatten und mit dem siegreiche Kandidaten Eric Adams als zweiter Schwarzer in diesem Amt (und mit seiner zwanzigjährigen erfolgreichen Karriere im Polizeidienst) wieder ein positives Beispiel für das Kaleidoscope New York gegeben wird.

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