Eine eigenständige, klassische Musik hat sich in Irland nie entwickelt, da die kulturelle Oberschicht des Landes stets angelsächsisch dominiert war und englische, französische und italienische geprägte Klassik bevorzugte.
Gesang
Die traditionelle irische Volksmusik dagegen entwickelte sich aus unbegleiteten rhythmischen Gesangsstücken, so genannter mouth music (lilting) und Sean-nós-Gesang (old style singing). Bei ersterem werden Silben ohne Bedeutung in der Art von Instrumentaltönen im Rhythmus eines Volkstanzes artikuliert während bei letzterem, ebenfalls unbegleitet, eine Ballade ausdrucksvoll, mit vielen Verzierungen, aber im freien Metrum vorgetragen wird.
Eine besondere Rolle im irischen Musikleben spielte der Barde, der im Lande umherzog und – von der Harfe begleitet – Balladen sang. (In alten Zeiten galt als Barde nur der Verfasser der Lyrik, während die übrigen Aufgaben dem Sänger und dem Harfenisten oblagen). Während der vielen Aufstände im Land gerieten die Barden mehrfach in den Fokus der angelsächsischen Besatzer, da sie durch den aufrührerischen Inhalt ihrer Balladen und durch ihr Umherziehen im Land in der Lage waren, antibritisches Gedankengut zu verbreiten.
Das Verbot jeglichen Harfenspiels unter Königin Elizabeth I. und die Einziehung und Vernichtung aller Instrumente unter Oliver Cromwell gehörte zu den Maßnahmen, mit denen die Briten diese „antibritischen Umtriebe“ bekämpften. Kein Wunder, dass sich das selbstständig gewordene Irland 1922 dieses Musikinstrument als nationales Wahrzeichen erkor.
Instrumentalmusik
Irische Volksmusik ist seit dem 17. Jahrhundert nachweisbar, ihre besten Beispiele stammen von dem blinden Harfenisten Turlogh O’Carolan. Zusammen mit der Volksmusik aus Schottland, Wales und der Bretagne wird sie häufig auch als keltische Musik bezeichnet, obwohl ein Zusammenhang mit der Kultur der alten Kelten (etwa 900 bis 50 v. Chr.) nicht belegbar ist.
Auf Tanzfesten (Céilí) spielte das irische Volk auf einfachen Instrumenten wie Dudelsack, Tin Whistle, Holzquerflöte und Rahmentrommel (Bodhrán) traditionelle Tänze wie Reels (im schnellen 4/4 Takt), Jigs (im schnellen 6/8Takt), und Hornpipes (in punktiertem 4/4 Takt). Weitere Tanzformen waren Slip Jigs, Slides, Polkas und Slow Airs.
Instrumente
Als einziges „klassisches“ Instrument verwendete man die Violine, die aber, als fiddle bezeichnet, eine komplett andere Spielweise erforderte, als in der Klassik üblich.
Die Harfe ist kein speziell irisches Instrument, dennoch ist sie seit ca. 1000 Jahren im Lande bezeugt, als relativ kleines, gut zu transportierendes Instrument, das mit Drahtsaiten bestückt war. Ein – fälschlich als Brian Boru’s Harp bezeichnetes – mittelalterliches Exemplar befindet sich im Trinity College in Dublin und gilt als Vorbild der heutigen Irish Harp. Es existieren leider keine Notenbeispiele, was für Musik ursprünglich darauf gespielt wurde.
Der Dudelsack, ein in ganz Europa vorkommendes Volksinstrument, weist in Irland eine Besonderheit auf: Die Luft wird nicht in den Sack eingeblasen, sondern mit einem unter dem Arm befestigten Blasebalg hineingepumpt. Auch können die Bordunpfeifen (drones) abgeschaltet werden um bei bestimmten Tonfolgen Reibungen zu vermeiden. Das Instrument heißt hier Uillean Pipes (vom Ellenbogen, der den Blasebalg betätigt).
Im Laufe der Zeit wurde das Instrumentarium erweitert: Um das Knopfakkordeon (box), die Concertina (ein kleines, wechseltöniges und einstimmiges Zungeninstrument), Mandoline, Mandola, Banjo und irische Bouzouki. Da die irische Musik einstimmig gespielt wird, bestand zunächst kein großer Bedarf an Harmonieinstrumenten, wodurch das Klavier in dieser Musik keine große Rolle spielt. Die Gitarre hat sich allerdings eingebürgert, doch bevorzugen die Spieler oft so genannte offene Stimmungen, um Akkorde bei der Begleitung zu vermeiden.
Revival der irischen Musik: Edward Bunting
Durch die politischen Verhältnisse in Irland und die wachsende Dominanz der Engländer war die traditionelle Harfenmusik in Vergessenheit geraten. Die englischen Kampagnen gegen irische Kultur, insbesondere gegen Musik und Lyrik bewirkten, dass beides nur noch über mündliche Überlieferung weiter verbreitet wurde. Im Zuge des Erwachens eines irischen Nationalbewusstseins als Folge der französischen Revolution und des napoleonischen Zeitalters kam neues Interesse an spezifisch irischer Kultur und insbesondere der traditionellen Volksmusik auf. Da diese seit Jahrhunderten von den Harfenspielern bewahrt wurde, veranstaltete man 1792 in Belfast einen Wettbewerb, zu dem alle Harfenisten des Landes eingeladen wurden.
Ganze 11 Musiker erschienen, aber die Veranstaltung war dennoch höchst erfolgreich, weil man mit dem 19jährigen Studenten Edward Bunting (1773 -1843) einen Musiker engagiert hatte, der die vorgetragenen Melodien in Noten aufzeichnen sollte. Das Ergebnis seiner Arbeit war „A General Collection of the Ancient Irish Music“, die 1796 erschien. Bunting war von der Aufgabe, eine nahezu untergegangene Musik zu rekonstruieren, so fasziniert, dass er auch nach dieser Publikation weiterhin traditionelle irische Musik sammelte und notierte sowie Informationen über Musiker und Komponisten recherchierte. Seine lebenslange Tätigkeit mündete 1840 in dem Werk „The Ancient Music of Ireland“, das 165 irische Melodien, eine profunde Analyse des musikalischen Materials und wertvolle Hinweise auf irische Musiker präsentierte.
Bunting „entdeckt“ O‘Carolan
Die vielen Zuschreibungen von Stücken an einen Harfenisten O‘Carolan und das häufige Vorkommen von „Planxty“ im Titel, motivierten Bunting dazu, die Biographie dieses Künstlers zu erforschen, ein Werksverzeichnis aller Carolanstücke zu erstellen und zu versuchen, eine möglichst authentische Version jedes einzelnen von ihnen zu erschließen. Dabei ging er fast detektivisch vor, indem er den Stil jedes einzelnen Stückes daraufhin analysierte, ob darin die klassische Kompositionsweise der Barockzeit oder die archaische irische Tradition aufschien, oftmals auch eine Synthese aus beiden. In der sicheren Beherrschung dieser Stilmittel glaubte er die „Handschrift“ O‘Carolans zu erkennen.
Heute nimmt man an, dass mehr als 200 Kompositionen tatsächlich auf O‘Carolan zurückgehen und sie erfreuen sich in unterschiedlichen Arrangements großer Beliebtheit, sei es durch die Interpretation berühmter Folkgruppen wie The Chieftains, Planxty und De Dannan, durch den Meister der keltischen Harfe Derek Bell oder als Arrangement im klassischen Barockstil durch Virtuosen wie James Galway auf der Flöte oder John Williams auf der Gitarre. O‘Carolan gilt heute als letzter der großen irischen Barden, als berühmtester Musiker des Landes im 18. Jh. und als Nationalkomponist Irlands.
Turlough O’Carolan (1670 – 1738)
Jugend und Ausbildung
Turlough O’Carolan wurde 1670 als Kind eines Schmieds in Nobbers im County Meath (nordwestlich von Dublin) geboren. Nach der Enteignung seines Grundbesitzes aufgrund der Maßnahmen Oliver Cromwells zog der Vater mit seiner Familie nach Ballyfarnon und arbeitete für die wohlhabende (wohl englischstämmige) Gutsbesitzerfamilie McDermott Roe. Nach seinem Tod kümmerte sich insbesondere die Gutsherrin Mrs. McDermott Roe um die Familie O’Carolan. Mit 18 Jahren erkrankte Turlough an Pocken und erblindete. Um ihm zu ermöglichen, trotz dieses Handicaps seinen Lebensunterhalt selbst zu bestreiten, sorgte sie für seine Ausbildung als Harfenist und stattete ihn für die Tätigkeit als reisender Barde mit einem Pferd und einem Begleiter aus.
Aufgrund des späten Beginns seiner Musikerlaufbahn konnte sich O’Carolan nicht mehr zum absoluten Virtuosen auf seinem Instrument entwickeln, wohl aber zum herausragenden Komponisten von Stücken für Harfe, wobei er die klassische Barockmusik seines Zeitalters genial mit den volkstümlichen Melodien seines Landes verschmolz. Zu seiner Musik gehörten auch lyrische Texte, die er aber erst nach der Komposition hinzufügte. Von ihnen haben sich deutlich weniger erhalten als von seinen Melodien, die heute fast ausschließlich instrumental gespielt werden.
O‘Carolan‘s Lebenswerk
O‘Carolan gehörte offensichtlich nicht zu den revolutionären Barden, wie aus seinem Itinerar hervorgeht. Er zog von einem Hof wohlhabender, meist England-affiner Gutsbesitzer zum anderen und hinterließ ihnen musikalische Widmungen, für die er das Wort „Planxty“ erfand. Das waren kurze, 16- oder 32-taktige Stücke in zumeist zweiteiliger Form, mit einer Wiederholung jeden Teils. Die Stücke basierten einesteils auf dem klassischen Kanon der Barockmusik, anderenteils folgten sie der irischen Tradition, in der es noch keine Tonarten, sondern der frühen Kirchenmusik entlehnte modale Tonleitern gab. Oft gelang O’Carolan auch die Synthese aus beidem. „Planxties“ trugen meist den Namen des Geehrten, woraus wir heute die Gesellschaftsschicht rekonstruieren können, für die O‘Carolan tätig war.
Daneben schuf er viele Werke mit Titeln, die sich auf sein Leben bezogen wie „Carolan’s Farewell to Music“, „Carolan’s Quarrel with the Landlady“ oder „Carolan’s Ramble to Cashel“. Durch die Aneinanderreihung bestimmter Titel konnte er kleine Geschichten erzählen wie „Carolan’s Draught“ oder „Ode to Whiskey“, in denen er seine Liebe zum Whisky zum Ausdruck brachte, „Farewell to Whiskey“, nachdem ihm der Arzt das Trinken verbot und „Carolan’s Receipt“ in dem er sich selbst ein Rezept zum Trinken ausstellte.
In den Kreisen seiner Klientel besaß er hohes Ansehen, was daraus ersichtlich wird, dass Hochzeiten oder andere familiäre Festlichkeiten verschoben wurden, bis der Künstler eingetroffen war. Auch in Musikerkreisen wurde er hoch geschätzt, sogar der in Dublin residierende italienische Komponist Francesco Geminiani aus Lucca soll zu seinen Bewunderern gehört haben. „O‘Carolan‘s Concerto“ wird gern als Ergebnis eines musikalischen Wettstreits angeführt, bei dem der Ire den Italiener mit einem über Nacht kreierten Harfenstück beeindruckte.
Fast 40 Jahre lang zog O‘Carolan als hochgeachteter Künstler durchs Land und gründete noch mit 50 Jahren eine Familie. Nach dem Tode seiner Frau kehrte er zum Sterben nach Ballyfarnon zurück, nahm Abschied von seiner noch lebenden Mentorin und wurde in der Familiengrabstätte der McDermott Roes in der Kirche von Keadue beigesetzt.
Die berühmtesten irischen Melodien
Neben der Wiederentdeckung Turlough O‘Carolans spielt auch das Werk des irischen Nationaldichters Thomas Moore (1779 – 1852) eine wichtige Rolle für die die Revitalisierung der traditionellen irischen Musik. Viele seiner Gedichte wurden mit Melodien aus der Sammlung von Edward Bunting unterlegt und von Sir John Andrew Stevenson (1761 – 1833) mit Pianobegleitung versehen. Stevenson brachte auch die drei Sammelbände „Irish Melodies“, „The Sacred Melodies“ und „National Airs“ heraus, von denen „Irish Melodies“ von Thomas Moore fortgeführt wurden.
Moores Gedicht „The Last Rose of Summer“ wurde mit Stevensons Pianobegleitung auf der Basis einer altirischen Weise zum bekanntesten Stück der irischen Volksmusik überhaupt. Es wurde von Beethoven, Giuliani, Mendelssohn-Bartholdy, Glinka, Gounod und Reger musikalisch bearbeitet und schließlich von Friedrich von Flotow für seine im 19. Jh. meistgespielte Oper „Martha“ unter dem Titel „Letzte Rose“ mit Stevensons Begleitung komplett plagiiert. Bis in die Moderne reichen die Bearbeitungen von „The Last Rose of Summer“, so von Paul Hindemith, Benjamin Britten und Jörg Widmann.
„A Londonderry Air“ gilt ebenfalls als eines der weltweit bekanntesten Stücke irischer Volksmusik. 1855 von George Petrie in seiner „Complete Collection of Irish Music“ publiziert, stammte es als „sehr alte Melodie“ aus der Sammlung von Lady Jane Ross aus dem County Londonderry. Da das Stück namenlos war, erhob Petrie den Wohnort von Lady Ross zum Titel. Richtig bekannt wurde es jedoch erst nach 1910, als ihm der Engländer Frederic Wheatherly den Text „Oh Danny Boy“ unterlegte und damit ein Liebeslied daraus machte. Seither wurde es von unzähligen Popkünstlern gecovert, darunter Bing Crosby, Elvis Presley, Eric Clapton und Sinead O‘Connor.
1001 irische Tänze: Francis O’Neill (1848 – 1936)
O’Neill kam aus Tralibane, County Cork und emigrierte in die USA. In Chicago trat er 1873 in den Polizeidienst ein und brachte es dort bis zum Chief of Police. Er war Flötist, Fiddler und Piper und sammelte irische Tänze wie Jigs, Reels und Hornpipes vom Hören auf Sessions, von gedruckten Notenblättern und von den ersten Tonträgern, Wachswalzen mit traditioneller Musik, die man ihm aus Irland schickte. Da er des Notenlesens unkundig war, benötigte er zur Publikation seiner Sammlung einen notenkundigen Musiker, der die Stücke, die ihm vorgespielt wurden, aufzeichnen konnte. Als Polizeichef von 1901 bis 1905 hatte er bereits etliche traditionelle irische Musiker eingestellt, die diese Aufgabe für ihn erledigten (höchstwahrscheinlich während der Dienstzeit). Das Ergebnis seiner musikalischen Tätigkeit war die Publikation von „O‘Neill‘s Music of Ireland“ mit mehr als 1000 irischer Tanzstücke, von denen „Chief O‘Neill‘s Favourite“ offensichtlich sein Lieblingsstück war. Das Buch ist die umfangreichste Sammlung irischer Tänze und in Anerkennung seines Lebenswerks errichtete ihm die Stadt Cork ein Denkmal unweit seines Geburtsorts.
Sean O‘Riada und die Renaissance der traditionellen Musik in Irland
Als Musiker, Komponist, Musikwissenschaftler und Publizist betrieb Sean O‘Riada (1931 – 1971) die Renaissance der traditionellen Musik in Irland. Er gründete das Ensemble Ceoltóirí Chualann, das in dunklen Anzügen mit Krawatte traditionelle Stücke spielte. Die Besetzung mit Uillean Pipes, zwei Geigen, Knopfakkordeon, Flöte, Tin Whistle, Gesang, Bones entsprach ziemlich genau der des von ihm beeinflussten Paddy Moloney mit der Gruppe The Chieftains. Diese Band führte nach O’Riadas frühem Tod seine Ideen bis in die Gegenwart fort und begründete die traditional irish music als Kunstform. Sie konnte auch den schon von Sean O‘Riada propagierten Einsatz der irischen Harfe als Band-Instrument realisieren. Neben den Chieftains waren es Planxty, De Dannan, The Bothy Band und andere, die den hohen künstlerischen Standard der irischen Volksmusik weiter entwickelten.