New York im Kaleidoskop

Inhalt

18 Hafenstadt NY

Über 150 Jahre lang war der New Yorker Hafen das bevorzugte Anlaufziel von Schiffen aus ganz Europa; Millionen von Emigranten aus Irland, Norwegen, Deutschland und Italien erreichten hier die Neue Welt. Ikonisch sind die Bilder der endlosen Schlangen von Immigranten auf Ellis Island, die Begrüßung der Queen Mary durch Fontänen der Feuerlöschboote und das Einlaufen der Kopie des norwegischen Gokstad-Schiffes in den New Yorker Hafen zur Erinnerung an die erste Landung der Wikinger in Amerika. Gehört aber der berühmte und durch die genannten Bilder in unserem Gedächtnis haftende Topos „Hafen von New York“ etwa auch schon zum verschwundenen New York, weil er heute unter den Top-Sehenswürdigkeiten der Stadt nicht mehr auftaucht? Kaianlagen, Kräne, Ozeanriesen und Containerschiffe, wie sie z.B. für Hamburg typisch sind, hatte ich bisher in NY gar nicht wahrgenommen. Erst nach mehreren New-York-Besuchen wird mir bewusst, dass der rege Schiffsverkehr bei South Ferry, den ich bisher immer mit dem Hafen assoziiert habe, New York gar nicht zum Ziel hat. Nur der Fährbetrieb nach Ellis Island, zur Freiheitsstatue und nach Staten Island ist auf die Stadt ausgerichtet. Da aber New Yorks Hafen im Lexikon als der drittgrößte der Vereinigten Staaten aufgelistet ist, muss er ja wohl irgendwo existieren. Topographie und Geschichte New Yorks helfen mir bei der Annäherung an diesen so wichtigen Teil von New York.

Größter Naturhafen der Erde

Schon die Entdecker und Kolonisatoren waren fasziniert von den Möglichkeiten, die die Landschaft New Yorks dem Seefahrer bot: Da gibt es die Mündung eines großen Flusses, des Hudson River, mit ausreichender Wassertiefe auch für größere Schiffe. Das östliche Ufer des Flusses nimmt die Insel Manhattan ein, auf der bereits die ersten Siedler wohnen und auf deren Ostseite sich wiederum die Insel Long Island erstreckt, die der Küste auf einer Länge von 190 km Schutz vor den Wellen des Atlantik gibt. Auf der Höhe Manhattans liegt Long Island so nah, dass der Meeresarm zwischen beiden Inseln wie ein Fluss wahrgenommen wird und deshalb von den Siedlern den Namen East River erhält. Im Norden geht er östlich in den Long Island Sound über, einen geschützten Seeweg zwischen der Insel und der Küste und westlich in den Harlem River, der die Verbindung zum Hudson herstellt und gleichzeitig Manhattan zur Insel macht. Im Süden bildet die Insel Staten Island eine Barriere vor dem offenen Atlantik, die Engstelle Verrazzano Narrows zwischen Staten Island und Long Island ist die Einfahrt in eine riesige Bucht, die Upper Bay. Südlich der Narrows, umgeben von Landzungen und Sandbänken, aber offener zum Meer, formt sich eine weitere, noch größere Bucht, die Lower Bay. Diese Landschaft, bestehend aus Flussmündungen und geschützten Buchten, bildet den New Yorker Hafen, einen der größten Naturhäfen der Erde. Aufgrund des riesigen Ausmaßes der Wasserflächen ist er bei Sturm nicht ganz ungefährlich, auch gibt es einige Untiefen trotz überwiegend tiefer Fahrrinnen. Deshalb setzte sich schon bald durch, dass der Hafen von New York nur mit Lotsen angefahren werden darf. Dieser riesige Anlaufpunkt für die Überseeschifffahrt war aber auch gleichzeitig ein Binnenhafen, denn über den schiffbaren Hudson River konnten Flussschiffe weiter nach Norden fahren und als 1825 der Eriekanal öffnete, war New York sogar mit den Großen Seen und dem St. Lorenz Strom verbunden, was die Bedeutung des New Yorker Hafens weiter erhöhte.

Die Anleger für die Schiffe wurden nordwestlich und nordöstlich der Südspitze Manhattans platziert, genau dort, wo das Zentrum der sich entwickelnden Stadt lag. Je größer sie wurde, desto mehr Kaimauern wurden gebaut. Legten die Schiffe anfangs längs des Ufers an, wurden später Piers ins Wasser hineingebaut, die das Festmachen quer zum Ufer und somit eine größere Kapazität an Schiffen ermöglichten. Mit der Ausdehnung der Stadt auf Brooklyn und Queens entstanden auch auf der östlichen Seite des East River neue Anleger, die sich immer weiter nach Norden fortsetzten. Gegen Ende des 19.Jh. bestand die komplette Wasserseite New Yorks aus Hafenanlagen, die die Stadt durch Piers, Kais und Lagerhäuser vom Wasser abriegelten. Für Passagiere entstanden große Terminals am Hudson und zur Kontrolle der Einwanderung wurde Ellis Island geschaffen, eine Insel vor Manhattans Südspitze, wo die Einwandererschiffe anlegen mussten und ihre Passagiere sich der komplizierten Prozedur (die mehrere Tage dauerte) der Immigration unterzogen. Auch im 20. Jh. setzte sich die Expansion des Hafens fort, neue Anlagen entstanden in Harlem, der Bronx und im südlichen Brooklyn. Doch nach dem Zweiten Weltkrieg änderten sich die Bedingungen für die Schifffahrt grundlegend.

New York Harbor heute

Mit dem Ansteigen des Flugverkehrs sank gleichermaßen das Passagieraufkommen im Hafen von New York und auch die Art des Transports von Frachtgütern änderte sich. Ein großer Teil des Frachtaufkommens verlagerte sich auf die Straße, was die Binnenschiffahrt, die wegen der kalten Winter sowieso nur halbjährig betrieben wurde, obsolet machte. Der Großtransport erfolgte von nun an in Containern, für die man eine neue Generation von Frachtschiffen mit viel mehr Tiefgang entwickelte, die generell größer und vor allem immer höher wurden. Die vorhandenen Piers am Hudson und East River waren für diese veränderten Bedingungen in ihren Abmessungen ungeeignet, weil zu klein und viel zu eng aneinander gedrängt. Deshalb nahm man viele von ihnen außer Betrieb, schüttete dazwischen Land an und gewann auf diese Weise wertvollen Baugrund, wie z. B. für die Battery Park City und die Financial City. In weniger nachgefragten Gegenden in Queens und Brooklyn wurden die Hafenanlagen einfach außer Betrieb genommen und gammelten als Industriebrache Jahrzehnte lang vor sich hin. Um die Bedeutung des New Yorker Hafens trotz des Strukturwandels zu bewahren, beschlossen die beiden benachbarten Staaten New York und New Jersey, eine gemeinsame Hafenbehörde (Port Authority) zu gründen, die die Neuausrichtung des Schiffsverkehrs regeln sollte. Da von der Umstrukturierung nicht allein die Wasserwege betroffen waren, sondern auch die Bereiche Straßen- und Schienenverkehr sowie die Abwicklung alter und Schaffung neuer Infrastrukturen, übertrug man der Port Authority auch dafür die Verantwortung, wie auch für den Betrieb des neuen Bus-Terminals und des neuen Bahnhofs, den Santiago Calatrava unter dem WTC entwarf.

Ihre erste Maßnahme zur Umstrukturierung des Hafens war der Neubau eines Container-Terminals in New Jersey und die Konzentration des Frachtverkehrs auf zwei Standorte, Newark und Brooklyn Red Hook, wo noch genügend Platz für zukünftige Expansion vorhanden ist. Benutzt man heute die Fähre nach Staten Island, kann man ganz in der Ferne die Kräne der neuen Anlagen rechts am Ufer von New Jersey erkennen. Weit mehr als die Verlagerung des Hafenstandorts betreffen die neuen Arbeitsbedingungen die New Yorker Werktätigen. Gab es früher viele tausend Arbeitsplätze im Umfeld eines Hafens, so brachen diese jetzt drastisch ein. Ein Containerterminal gleicht einer Geisterstadt, weil die meisten Arbeitsprozesse vollautomatisch ablaufen und dadurch auch die traditionellen Handwerks- und Industriebetriebe im Umfeld eines Hafens obsolet geworden sind. Großschiffe werden jetzt in Fernost gebaut und gewartet, die Zubehörindustrie wird nicht mehr gebraucht. So geht heute ein ständig steigendes Frachtaufkommen mit ständig abnehmenden Arbeitsplätzen einher.

Passenger Terminals

Der Schiffspassagierverkehr hat sich in seiner Struktur ebenfalls enorm gewandelt. Kaum jemand fährt noch mit dem Ozeanriesen fünf bis sechs Tage über den Atlantik und zahlt dafür ab 2.500 €, wenn man mit dem Billigflieger in acht Stunden für 600 € in NY sein kann. Aber der Passagierverkehr existiert weiter, denn Kreuzfahrten haben seinen Platz eingenommen. Von hier aus führen viele in die Karibik, beliebt ist aber auch die kombinierte Atlantiküberquerung mit einem Flug und einer Passage. Die früher weiter südlich in Chelsea liegenden Piers für Passagierschiffe befinden sich in Hell‘s Kitchen nahe dem DeWitt Clinton Park und reichten ursprünglich von Nummer 84 bis 92, wovon aber nur zwei übrig blieben. Bei ihrer Erweiterung für Großschiffe genehmigten die Militärbehörden keine Verlängerung weiter in den Hudson hinein, deshalb hat man hier tatsächlich wertvollen Baugrund von Manhattan abgebaggert, um die für Ozeanriesen notwendige Länge hinzubekommen.

Pier 86 ist eine Museumsanlage, hier hat der 1974 außer Betrieb genommene Flugzeugträger Intrepid für alle Zeiten festgemacht. Das 1943 gebaute Kriegsschiff war im Zweiten Weltkrieg im Pazifik und während des Vietnamkrieges im südchinesischen Meer im Einsatz, seine spektakuläre Phase hatte es aber erst während des russisch-amerikanischen Weltraum-Wettlaufs, als es die Mercury- und Gemini-Kapseln im Pazifik und Atlantik wieder auffischte. Der Flugzeugträger ist heute Sitz des Intrepid Sea, Air & Space Museum, in dem diverses Kriegs-, Flug- und Weltraumgerät ausgestellt wird. Die spektakulärsten Ausstellungsstücke sind die Space Shuttle „Enterprise“, der Vorläufer aller weiteren Raumfähren und ein Exemplar der Concorde aus dem Besitz der British Airways. Dieses erste und einzige Überschall-Verkehrsflugzeug der Welt, von Briten und Franzosen gemeinsam entwickelt, sollte die Strecke von Paris und London nach New York in 3 1/2 Stunden bewältigen. Der Preis für die wahnwitzige Geschwindigkeit war (abgesehen vom teuren Flugticket) ein unvernünftig hoher Treibstoffverbrauch und eine nicht akzeptable Lärmentwicklung, die das Projekt über Jahre hinweg belasteten. Als 2000 eine von Paris nach New York bestimmte Maschine abstürzte, hatte man endlich einen triftigen Grund, das Projekt kurzerhand einzustellen. Dabei war der Absturz nur eine Verkettung unglücklicher Umstände gewesen: Ein in Paris auf der Fahrbahn liegendes Metallteil brachte den Reifen der Maschine zum Platzen, die Reifenteile wiederum durchschlugen den Tank des Flugzeugs, welches kurz darauf abstürzte, was jedem anderen ebenfalls widerfahren wäre.

Die Katastrophe der „Normandie“

Auf Pier 88 gab es während des Zweiten Weltkriegs ein spektakuläres Ereignis. Hier war das Flaggschiff der French Line, die „Normandie“ festgemacht, Trägerin des blauen Bandes für die schnellste Atlantiküberquerung und modernstes und gleichzeitig luxuriösestes Schiff seiner Epoche. Bedeutende Künstler hatten an der Gestaltung des Innern mitgewirkt wie Lalique, Ruhlmann und viele andere, so dass man es oft als „schwimmende Bühne des Art Déco“ und das „perfekte Passagierschiff“ bezeichnete. Ausgestattet mit allem, was heute beim Kreuzfahrt-Tourismus Standard ist – lichtdurchfluteter Speisesaal, Restaurants, Bars, Theater mit 380 Plätzen, Kino, Sauna, zwei Schwimmbäder, eines drinnen, das andere unter freiem Himmel, Kapelle, Tennisplatz, Klinik samt Zahnstation, Postamt mit Telefonzentrale und 80 m langer Ladenstraße – war ihm dennoch kein glückliches Geschick beschert. Seine Fertigstellung 1934 fiel noch in die Zeit der Weltwirtschaftskrise, in der selbst die Reichen kein großes Bedürfnis hatten, ihr Geld für Luxusreisen auszugeben, weshalb man die Jungfernfahrt auf 1935 verschob. Danach verblieben ganze fünf Jahre des Betriebs, in denen sich die „Normandie“ ihren legendären Ruf erwarb. Nach Kriegsausbruch 1939 blieb sie erst einmal an Pier 88 angedockt, während sich die Beziehungen zwischen den USA und Frankreich nach der Gründung des Vichy-Regimes drastisch verschlechterten. Auf die Rückforderung des Schiffes aus Vichy reagierten die USA ablehnend und übergaben es in die Obhut der Küstenwache, doch als sie nach Pearl Harbor 1941 selbst in den Krieg eintraten, beschlagnahmten sie es (gegen Zusage einer Entschädigung) und beschlossen, es zum Truppentransporter auszubauen. Das sollte ein deutliches Zeichen für das Engagement der Amerikaner im Kampf gegen diktatorische Regimes setzen und daraus erklärt sich auch die Umbenennung in „Lafayette“, zur Erinnerung an den französischen Kriegshelden, der die amerikanische Unabhängigkeit mit erkämpft hatte.

In New York gab es zu dieser Zeit kein ausreichend großes Trockendock, weshalb man beschloss, den Umbau am Pier 88 durchzuführen. Zwei Monate nach der Enteignung brach während der Arbeiten ein Brand aus, als hoch brennbare Rettungswesten durch Schweißbrenner entzündet wurden. Die sich daraus entfaltende Katastrophe wurde von Dilettantismus, Nachlässigkeit und Sicherheitsmängeln begünstigt. So existierten Betriebsanweisungen ausschließlich auf Französisch, es gab zu wenige Brandwachen und nicht genug funktionierende Feuerlöscher. Wegen starker Rauchentwicklung hatte man den Maschinenraum schnell evakuiert, so dass die sich selbst überlassenen Kessel nicht ausreichende Energie für die Lenzpumpen lieferten – und so füllte sich das Schiff allmählich mit Löschwasser und begann, sich zu neigen. Mit lautem Knall rissen die Haltetrossen ganze Poller aus ihrer Verankerung im Kai und schließlich legte sich die „Normandie“ unter ohrenbetäubendem Gerumpel komplett auf die Seite und beendete damit die Vision eines Truppentransporters „Lafayette“. Es war fast ein Wunder, dass bei dem ganzen Vorfall nur ein Mensch sein Leben verlor. Für die USA war das Unglück vor allen Dingen eines: Ausgesprochen teuer! Für elf Millionen Dollar musste das Schiff von den Decksaufbauten befreit und wieder aufgerichtet werden (den Plan, es einfach liegen zu lassen und mit Kies und Erde zu bedecken, hatte Bürgermeister Fiorello La Guardia sofort abgelehnt), dann schleppte man es an einen Pier in Brooklyn, wo es bis Kriegsende vor sich hindümpelte. Da Frankreich an einer Rückgabe des Wracks nicht mehr interessiert war, trat es bald seine letzte Fahrt zum Verschrotten an.

Manhattan Cruise Ship Terminal

Am Hudson River in Midtown, an den beiden Piers 88 und 90, befindet sich nun das Terminal, an dem Passagiere in New York City ankommen und abfahren und hier finde ich endlich die vor der Kulisse der Wolkenkratzer ankernden Ozeanriesen! Da das Kreuzfahrtaufkommen im Frühjahr deutlich geringer ist als im Sommer, ist mir dieser Anblick bisher entgangen. Außerdem ist das Manhattan Terminal nur noch auf eine Kapazität von drei Großschiffen gleichzeitig ausgelegt, so dass sich der Eindruck eines Großhafens wie z. B. im Piräus gar nicht einstellt. Auf das Anwachsen des Kreuzfahrttourismus hat die Port Authority jedoch mit dem Bau von zwei weiteren Terminals reagiert, in Bayonne, New Jersey und an der Außenseite des Atlantic Basin in Brooklyn. Dort ist auch der spektakuläre Ankerplatz der Queen Mary II, wenn sie nach New York kommt. Im Manhattan Cruise Ship Terminal hat die PA die zu kleinen Piers 92 und 94 verkauft (zusammen mit dem Empfangsgebäude werden sie für Ausstellungszwecke genutzt), doch fahren hier noch die Schiffe für Rundfahrten um Manhattan ab. An dieser Haltestelle kaufe ich mir ein Ticket um endlich das oben erwähnte Kulissen-Foto zu schießen.

South Street Seaport

Im südöstlichen Manhattan, direkt neben der Brooklyn Bridge, liegt das beeindruckendste Relikt des alten New Yorker Hafens, der South Street Seaport aus der Zeit um 1800. Es befindet sich im boomenden Financial District: Vor der Kulisse immer höher wachsender Wolkenkratzer und wie aus der Zeit gefallen, stehen an der Kreuzung Fulton Street/South Street plötzlich mehrere einfache, alte Backsteinhäuser, die zum originalen Umfeld des alten Hafens gehörten und früher von Handelshäusern, Schiffsausrüstern, Werkstätten, Absteigen, Saloons und Bordellen genutzt wurden. Direkt davor, aber abgeriegelt durch den F. D. Roosevelt Drive, die Hauptverkehrsader am East River, liegen die heute nicht mehr für den Hafenbetrieb genutzten Piers. Die Straße ist als Elevated Highway ausgebaut, den man zwar unterqueren kann, der aber die Blickverbindung zwischen den alten Häusern und den Piers am Wasser verstellt und obendrein ein Quell ständigen Lärms ist.

Schon 1625 gab es an der gleichen Stelle den ersten Anleger der Niederländischen Westindiengesellschaft, von dem aus Schiffe in alle Weltmeere aufbrachen. Seitdem ist wuchs der Hafen beständig und das Viertel passte sich kontinuierlich den jeweiligen wirtschaftlichen Veränderungen, so wurde z. B. Land im East River angeschüttet, um Platz für neue Hafenanlagen zu schaffen. Diese Maßnahme hat später ungewollt verhindert, dass auch der authentische Platz des South Street Seaport vom Hochhausboom verschlungen wurde. Fundamente eines Wolkenkratzers sind auf angeschüttetem Gelände wesentlich schwieriger und teurer zu legen als anderswo, deshalb zogen die Bauherren lieber den festen Grund im Innern Manhattans vor und vernachlässigten das Viertel am Ufer. Da das Fahrwasser am East River für die immer größer werdenden Schiffe nicht mehr tief genug war, verlor der Hafen an der South Street allmählich seine Bedeutung. Auch der Fulton Fish Market, wichtigster Handelsplatz für Fisch in New York, wurde von der South Street in die Bronx verlegt, da die Anlieferung von Fischen schon lange nicht mehr per Schiff erfolgte. Mit der Aufgabe der Hafenanlagen und des Fischmarktes zogen auch die Gewerbebetriebe weg, die Häuser verfielen und schließlich drohte dem Ganzen der Abriss.

Aber trotz des Niedergangs wurde bereits 1967 der Vorläufer des heutigen Museums gegründet und ab 1980 setzte sich eine Bürgerinitiative für die Erhaltung und Renovierung des historischen Viertels ein. Gelingen konnte das allerdings nur, wie in New York üblich, über eine profitable Umnutzung, die aber schwer in Gang kam, da das ganze Viertel 2012 vom Hurrikan Sandy verwüstet wurde. Die Umgestaltung sah – nicht sehr originell – die Errichtung eines Shopping Centers mit Food Court und Restaurants vor, die in einem Stahl-Glas-Neubau auf dem breiten Pier 17 nach dem Abriss des Vorgängerbaus entstanden. Auch der ehemalige Fulton Fish Market, dessen vergammeltes Blechkisten-Gebäude das Viertel seit zehn Jahren verschandelt, soll als Nobel-Seafood-Market in „originaler Architektur des 19. Jh.“ wieder erstehen. Der begrüßenswerte Synergieeffekt dieser zweifelhaften Maßnahmen kam mit dem Ausbau des South Street Seaport Museums und der Verschönerung seines Umfelds sowie der Gründung eines Vereins zum Ankauf und der Unterhaltung historischer Schiffe. Das Schicksal der vielen anderen, zwar herunter gekommenen, aber malerischen Backsteinhäuser an der South Street ist dagegen noch ungewiss, ihr Zustand lässt auf nicht Gutes hoffen.

Der renovierte Kai bietet wunderbare Ausblicke auf die Brooklyn Bridge, den hier sehr breiten East River und hinüber nach Brooklyn. Die Piers des alten Hafens wurden wieder belebt: Pier 17 ist besagte Shopping Mall, Pier 16 Ankerplatz für Schiffe des Oldtimer-Vereins, Pier 15 die East River Esplanade, ein kommerzfreier öffentlicher Raum zum Flanieren und Faulenzen auf den überall aufgestellten Liegen und 200 m entfernt, Pier 11 als Landestelle für Fähren in alle Richtungen. (Hier bestiegen wir die Ikea-Fähre nach Red Hook, von der ich im Brooklyn-Kapitel erzählen werde). Die entspannte Freizeitatmosphäre auf dem Kai wird nur durch das Knattern des Downtown Manhattan Heliport (noch weiter südlich auf Pier 6) gestört, über den die Heuschrecken des Financial District ihre Ziele staufrei per Hubschrauber erreichen. Als alter Seebär kehre ich lieber zum Pier 16 zurück und labe mich am Anblick der Schiffe, darunter ein Feuerschiff, mehrere Feuerlöschboote und zwei Segelschiffe, bei deren Anblick mir das Herz im Leibe lacht: Die „Peking“, ein imponierender 4-Master, schon ganz aus Stahl und die „Wavertree“ von 1885, einer der letzten Windjammer überhaupt, mit einer (für Segelschiffe) erstaunlichen Länge von fast 100 m.

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