New York im Kaleidoskop

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9 Spaziergänge in Midtown

Union Square

Bei strahlendem Sommerwetter im Mai mit Temperaturen von 27 Grad machen wir uns auf den Weg zum Union Square, einem weiteren unserer New Yorker Lieblingsorte. Hier gibt es montags immer einen green market mit Händlern aus dem Umland, der aber keinem Vergleich mit unseren Wochenmärkten in Berlin standhält. Erstens ist hier nur eine überschaubare Anzahl von Händlern und zweitens könnte man ob der hohen Preise nur noch die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Dennoch schauen die Stände im Schatten der Wolkenkratzer hübsch aus und es gibt nette Dinge zu sehen, wie irrsinnige essbare Baumpilze, ausgedehnte Kräuterstände und die Lyrik am Stand des Bäckers (If thou tastest a crust of bread, thou tastest all the stars and all the heavens, Robert Browning, oder Let there be work, bread, water and salt for all, Nelson Mandela). Da Renate heuer ihre gewohnten cinnamon rolls nicht kriegt, tastet sie sich an den einzelnen Ständen von Pröbchen zu Pröbchen. Auf der Suche nach einem Kaffee geraten wir in einen Laden, wo man ihn umsonst ausschenkt – etwas Seltenes in dieser teuren Stadt! Mit dem Kaffee lassen wir uns nun eine Weile auf dem Platz nieder, der ähnlich wie Bryant Park jetzt ein park management hat und mit Tischen und Stühlen sowie gepflegtem Grün sehr heimelig wirkt. Ich mache einen Foto-Rundgang entlang der vielen Denkmäler (lustig: Ein Lafayette vom Schöpfer der Freiheitsstatue, dem Franzosen Bartholdi, im Rokoko-Kostüm, das als Outfit für Generäle denkbar ungeeignet erscheint) und entdecke, als ich ein höchst beeindruckendes Bankgebäude in antikem Stil knipse, dass die Opfer der Bankenkrise (Obdachlose, Arme und Alkoholiker) direkt davor beschäftigungslos herumlungern. Am Südrand des Platzes haben die Schachspieler (meistens Schwarze oder Chinesen) ihre Bretter aufgebaut und warten auf Klienten, die auf das Angebot reinfallen, mit ihnen um Geldeinsätze zu spielen. Nachdem wir die Atmosphäre des Union Square hinreichend genossen haben, beschließen wir, den Broadway, der hier den Park durchquert, noch ein Stück nach Norden entlang zu schlendern, vielleicht bis zum Madison Square.

Mittlerer Broadway

Hier in Midtown ist der Boulevard nicht so exklusiv wie weiter südlich und nördlich, kleine zwei- und dreistöckige Häuser wechseln sich mit weit größeren und prächtigeren ab. Diese Koexistenz ist fast rührend anzuschauen, doch ihrem vergammelten Aussehen nach scheinen die alten Häuschen nicht denkmalgeschützt zu sein, sondern ihrem Abriss zugunsten luxuriöser Hochhausbebauung entgegen zu sehen. Angesichts ihres für diese Stadt stattlichen Alters von 180 Jahren, fragt man sich immer wieder, warum der Kommerz stets den Sieg über das Pittoreske und Unverwechselbare davonträgt. Ein paar Straßen weiter hat man eines der für New York so typischen Gusseisen-Häuser im Erdgeschoss entkernt. Das Dekor des späten 19. Jh. täuscht eine steinerne italienische Palastfassade vor, besteht aber aus angestrichenem Eisen. Das Innere im Rohbau-Look, in dem als einzige Schmuckelemente die hohen eisernen Säulen mit korinthischen Kapitellen verblieben sind, nutzt man als Multi-Store für Schmucksteine, Gläser, Vasen und weiteren Kram, den man gar nicht braucht. Eine Ecke weiter befindet sich ein Kino der amc-Kette; vor ihm sitzt auf der Straße eine inflatable rat. Das von einem Kompressor aufgeblasene 3 m hohe Gummi-Nagetier ist eine Erfindung der Gewerkschaften zur Bloßstellung von Unternehmen, die gewerkschaftliche Regeln nicht einhalten. So etwas könnte man auch bei uns vor recht viele Türen stellen!

Flatiron Building

Schon bald haben wir unseren Zielpunkt erreicht, die Kreuzung des Broadway mit der 5th Avenue, der teuersten Einkaufsstraße der Stadt. Durch den schrägen Verlauf des Boulevards quer durch die rechteckigen Straßenkarrees von Manhattan ist ausgerechnet an dieser prominenten Ecke nur ein dreieckiges Grundstück übrig geblieben. Auf ihm erhebt sich eines der Wahrzeichen von New York, das Flatiron Building. Um das ungünstig geschnittene, aber dennoch teure Grundstück optimal auszunutzen, übertrug man den dreieckigen Grundriss auch auf das Hochhaus. So entstand ein kurioser Baukörper, der dem Gebäude seinen Namen gab, das Bügeleisen. Erbaut als früher Stahlskelettbau mit Verkleidung aus Terracotta im Pseudo-Renaissance-Stil, hat der 22-stöckige Wolkenkratzer eine irre Raumaufteilung im Innern, beginnend mit 2 m breiten Räumen an der Spitze bis zu ganz großzügigen in der Breitseite. Die spitzige Gebäudeform erzeugt bei Nordwind starke Luftströmungen in der 5th Avenue und auf dem Broadway, die den flanierenden Frauen die Röcke hochwehen, so dass – in früheren, sittenstrengeren Jahren – die Polizei immer wieder „Spanner“ des Platzes verweisen musste, die nur auf so etwas warteten.

Madison Square

An derselben Kreuzung von Broadway und 5th Avenue liegt auch der Madison Square, jedem geläufig durch das weltberühmte Veranstaltungszentrum. Es wurde 1874 am Platz und der 26th Avenue auf einem großen, der Familie Vanderbilt gehörenden Gelände gegründet und trug zunächst den Namen Gilmore Garden – zu Recht als Garten bezeichnet, denn die verschiedenen Sportstätten lagen unter freiem Himmel inmitten von Blumen- und Baumpflanzungen. Das 1874 eröffnete Etablissement wurde bereits 1890 wieder abgerissen, um für den Madison Square Garden Platz zu machen, einer New Yorker Bauikone, von der im Kapitel Lost New York erzählt wird. Es war das größte Veranstaltungszentrum der Welt, finanziert von den reichsten Männern der Stadt Vanderbilt, J. P. Morgan, Carnegie und Waldorf Astor, lief aber nicht gut genug, um die gewaltigen Investitionskosten wieder einzuspielen. Da die Geldgeber nicht länger „gutes Geld schlechtem hinterher werfen“ wollten, verkauften sie den Garden an eine Immobilienfirma. Die New York Life Insurance Company, der Hypotheken auf das Gebäude gehörten, kündigte diese und drängte auf Abriss. Der Madison Square Garden verschwand 1926 und machte Platz für das Met Life Insurance Building, einen der stilbildenden New Yorker Wolkenkratzer von Cass Gilbert, der durch sein goldenes Dach die Silhouette von Manhattan prägt.

Vom alten Madison Square ist immerhin noch der 1847 eröffnete Madison Square Park übrig geblieben, Schauplatz großer Feierlichkeiten zu historischen Anlässen, z.B. 1876 zur hundertsten Wiederkehr der Unabhängigkeitserklärung und 1899 zur triumphalen Rückkehr von Admiral George Dewey aus dem Spanisch-Amerikanischen Krieg. 1870 wurde er vom obersten Landschaftsarchitekten der Stadt, dem Österreicher Ignatz Anton Pilat, in die heutige Form gebracht, mit – wie üblich – vielen Denkmälern, darunter das von William H. Seward (1876), dem US-Außenminister, der 1867 Alaska kaufte und von Admiral David Glasgow Farragut (1881), einem Haudegen und Admiral des amerikanischen Bürgerkriegs, den der in Amerika sehr berühmte irisch-amerikanische Bildhauer Augustus Saint-Gaudens schuf. Die vielen Sitzbänke werden von den in der Nähe Arbeitenden zum Einnehmen des business lunch und einer kleinen Erholungspause gut angenommen. An der Imbiss-Station des Parks hat sich bei unserer Ankunft bereits eine lange Warteschlange gebildet, die uns aber nicht tangiert, denn wir sind nicht hungrig. Im kürzlich erst sehr schön restaurierten Park beöle ich mich über die äußerst fragile, von Diana Al-Hadid gestaltete, moderne Brunnenskulptur aus Draht, Gips, Kunststoff und Farbe, die laut Verbotsschild nicht bestiegen werden darf und bewundere The Ornamental Fountain von 1867 und The Eternal Light Flagpole von 1923, die noch zu Ignatz Pilats Parkarchitektur gehören. Von hier bringt uns die R-Linie sehr bequem (weil umsteigefrei) wieder nach Queens zurück.

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