21 New Yorker Museen
In NY existieren Hunderte von Museen, über die man allein ein ganzes Buch schreiben könnte, deshalb ist der Titel dieses Kapitels ein wenig irreführend. Schon ihre Aufzählung würde bereits dieses Kapitel füllen. Da die Absicht dieses Buch aber nur ein Blick durchs Kaleidoskop auf New York ist, will ich mich auf die „buntesten“ Museen beschränken und beginne mit denen, die bereits vom Äußeren her beanspruchen, die bedeutendsten der Stadt zu sein: Den drei Beaux Arts Gebäuden des Metropolitan, Brooklyn und Natural History Museum (Die beiden ersteren entworfen von McKim, Mead, and White, den New Yorker Stararchitekten).
Das Metropolitan Museum of Art (im Schnelldurchgang)
Bei jedem meiner Aufenthalte in NY ist ein Besuch im Metropolitan Museum of Art ein festes Ritual. Dieses Universalmuseum, das den Weg der Kunst von der Antike bis heute nachzeichnen will, ist mit erstrangigen Exponaten aller Epochen dermaßen vollgestopft, dass es eigentlich unmöglich ist, alles auf einmal zu sehen. Diese Erkenntnis bei der ersten Besichtigung brachte mich dazu, in den folgenden Jahren immer nur themenbezogene Besuche zu machen, beispielsweise die Bestände der Antike, des Mittelalters, der altmeisterlichen Malerei oder des Impressionismus zu erkunden. Auf solche Weise vertraut mit den einzelnen Abteilungen, habe ich mir diesmal vorgenommen, einen Gesamtüberblick vom Met zu gewinnen – davon möchte ich hier berichten.
An einem Tag mit Temperaturen von 32 Grad will meine Familie an den Strand nach Jones Beach, was mich überhaupt nicht reizt, weil das Wasser des Atlantik traditionell noch sehr kalt ist und mich die glühend heiße Sonne am schattenlosen Strand abschreckt. Da ist ein Besuch im klimatisierten Museum doch viel attraktiver und deshalb trenne ich mich von der Familie und begebe mich ins angenehm kühle Innere des Met um das oben genannte Programm durchzuziehen. Allen bedeutenden Kunstwerken dieses Schatzhauses möchte ich heute meine Reverenz erweisen, ohne irgendwelchen Tiefgang natürlich, denn das würde die Zeit gar nicht hergeben. Ich beginne bei den Alten Griechen und bleibe trotz meines Vorsatzes gleich am Anfang bei den kykladischen Statuetten hängen. Sie sind aber auch dermaßen faszinierend ob ihres Alters (5000 Jahre!) und ihrer perfekten Abstraktion, die schon viele moderne Künstler inspiriert hat! Dann weiter an der „edlen Einfalt und stillen Größe“ der griechischen Skulpturen vorbei in die hellenistischen Abteilung. Auch hier wird es nichts mit dem einfachen Durchgehen, denn ich war ja gerade mit meiner Hamburger Enkelin in München, den Barberinischen Faun studieren, über den sie ihre Masterarbeit schreibt. Da liegt es nahe, die Bezüge der hiesigen hellenistischen Statuen und Statuetten zu „ihrem“ Kunstwerk zu eruieren und ihr gleich eine E-Mail über das Ergebnis zu schicken. Dann geht es aber wie geplant durch die römische Abteilung, die Imperatoren mit „salve“ grüßend, in die große Eingangshalle mit der Mittelalter-Abteilung. Hier ist, wie schon gestern in „The Cloisters“ die Hölle los, weil auch diese Ausstellung mit von Modeschöpfern designten (für mich abartigen) Kleidern dekoriert ist, aufgezogen auf gewöhnliche Schaufensterpuppen. Nervigerweise wird man hier auch noch mit pseudo-mittelalterlicher Musik zugedudelt.
Deshalb flüchte ich ganz schnell zu den Gemälden und zwar in die Privatsammlung im Lehman Wing, die ich früher zugunsten der (einen ebenfalls fast erschlagenden) regulären Gemäldegalerie im ersten Stock stets ausgelassen habe. Sie geht auf die Donation von Robert Lehman zurück, einem frühen Eigner des Bankhauses Lehman Brothers, das 2008 unter Hinterlassung weltweiten und maximalen Schadens pleite ging. Mitte des 19. Jh. als bayerische Juden eingewandert, hatten die Lehmans ihre Privatbank zu einer der größten amerikanischen gemacht. Robert Lehman aus der nächsten Generation hatte bereits so viel Privatkapital in seinem Besitz, dass er sich zwei der kostspieligsten Hobbies widmen konnte, der Vollblut-Pferdezucht und dem Kunstsammeln. Es ist seine Sammlung, die den Lehman Wing ziert und in ihr die französischen Impressionisten, die das Highlight bilden. Vor einigen Jahren hatten wir in Berlin die Ausstellung „Die schönsten Franzosen kommen aus New York“, in der uns der exorbitante Bestand an impressionistischen Gemälden aus den USA präsentiert wurde und erst auf dieser Reise habe ich den Grund dafür gefunden, warum so viele „schöne Franzosen“ aus NY kommen: Der Impressionismus ist per se eine „schöne“ Kunst, die sich auch den weniger kunsthistorisch Gebildeten schnell erschließt. Als die ersten Bilder der französischen Impressionisten in NY auftauchten, löste das unter den amerikanischen Kunstsammlern einen regelrechten run auf diese Kunstrichtung aus. Schon bald explodierten die Preise, so dass nur noch Millionäre in der Lage waren, die Kunstwerke zu kaufen und folgerichtig kam eine erhebliche Menge impressionistischer Gemälde gerade in die Geldhauptstadt der USA. Als die erste Sammlergeneration alt wurde, gingen viele ihrer collections als donation an öffentliche Museen, oder wurden, wie im Falle der Frick-Collection in ein eigenständiges Museum umgewandelt. Der Lehman Wing ist ein Beispiel für ein Museum im Museum, alle hier gezeigten Kunststile finden sich ein weiteres mal in den einzelnen Abteilungen des Met-Museums. Ich nehme aus dem Teil der Ausstellung, den ich gesehen habe, die Erkenntnis mit, dass Lehman einfach alles sammelte, was teuer war.
Schon trunken von den Impressionisten im Lehman Wing will ich mich jetzt den Alten Meistern im Obergeschoss widmen, aber das ist die einzige Enttäuschung des heutigen Tages: Dieser Flügel ist wegen des Aufbaus einer (später gewiss) hochkarätigen Renaissance-Show fast komplett geschlossen. Aber italienischer Barock ist noch zu sehen und so kann ich meine drei geliebten Caravaggios, die Musikanten, die hl. Familie (die aber keineswegs echt ist!) und die Verleugnung Petri genießen. Auch die bemerkenswerte Sammlung ausgezeichneter Caravaggisten, der zahllosen begabten Maler, die nach der Begegnung mit Caravaggios Kunst nicht anders konnten, als zu malen wie er, ist präsent und findet meine Würdigung. Dann begebe ich mich in die Gemäldesammlung des 19. Jh. und begrüße meine guten alten impressionistischen Bekannten Monet, Manet, Renoir, Dégas und alle anderen. Ich habe das Gefühl, heute allein 50 verschiedene Monets gesehen zu haben. Mein Besuch bei Caspar David Friedrich, Dahl und Menzel wird dagegen vom Museum vereitelt, weil unsere deutschen Romantiker für nicht wertvoll genug erachtet werden, sie ganztägig durch Museumswärter zu bewachen. Ihre Räume sind von Kordeln abgesperrt und die Kunstwerke zu klein, als dass man sie vom Eingang des Saales aus sehen könnte.
So nehme ich noch schnell die Skulpturen der Renaissance, des Barock und des Klassizismus mit – von Algardi über Bernini bis zu Canova und Rodin – , bevor ich mich, zurück im Erdgeschoss, erneut der Antike widme, jetzt den Ägyptern und Mesopotamiern. Immer wieder erstaunlich und für mich ein wenig ärgerlich, welche Menge von Kunst des vorderen Orients amerikanisches Geld nach NY versetzt hat, darunter ganze Grabkammern, unzählige Sarkophage mit Mumien und Reliefs. Der komplett erhaltene Tempel von Dendur macht eine Ausnahme, denn er ist ein Geschenk der ägyptischen Regierung für die großzügige amerikanische Hilfe bei der Rettung der im Assuan-Stausee versinkenden Tempel von Abu Simbel – am originalen Ort! In der babylonischen Abteilung habe ich ein Wiedersehen mit einem Ausstellungsstück aus Berlin, einem Fabelwesen vom Ischtar Tor, das aufgrund der guten Beziehungen der Staatlichen Museen Berlin mit dem Met als Dauerleihgabe hier gelandet ist. Die Ostasiatische Abteilung durchstreife ich viel zu schnell, da mir die Gegenstände mangels Vorbildung wenig sagen – was wohl auch auf die New Yorker zutrifft, denn die einzigen Anwesenden außer mir sind Chinesen.
Unbedingt muss ich noch in die Musikinstrumentenabteilung um die für mich so bedeutende Hauser-Gitarre zu sehen und hier habe ich Glück: Die Ausstellung ist zwar wegen Neuaufbaus größtenteils geschlossen, aber einige Highlights zeigt man dennoch, darunter die von Andres Segovia dem Museum gespendete Gitarre des bayrischen Instrumentenbauers Hermann Hauser, auf der Segovia seine berühmtesten Konzerte gegeben hat. Da ich ebenfalls ein solches (allerdings von seinem Enkel gefertigtes) Instrument besitze, ist meine Reverenz vor diesem hier ein absolutes Muss. Andere Schmuckstücke sind einige unglaublich reich dekorierte Jazzgitarren von d’Acquisto und d’Angelico (viele 100.000 $ wert), Meisterwerke amerikanischer Gitarrenbaukunst und bei den Streichinstrumenten mehrere originale Stradivaris. Bei denen braucht man nicht traurig zu sein, dass sie, in der Glasvitrine eingesperrt, dem Geigenvirtuosen zum Konzertieren entzogen sind. Kaum ein Solist würde eine Original-Stradivari im Konzert spielen wollen, weil ihm die Klangqualität nicht ausreichte. Alle heute noch im Gebrauch befindlichen Stradivaris wurden bereits im 19. Jh. umgebaut (sie bekamen einen höheren Steg und einen steileren Halswinkel) um den von den Solisten gewünschten „großen Klang“ zu produzieren.
Um nichts auszulassen, muss ich noch in den Keller des Met hinunter, wo eine reißerisch beworbene Sonderausstellung sakraler Gegenstände aus dem Vatikan zu sehen ist. Es heißt, dass sie für die Präsentation in Amerika zum ersten Mal ihren originalen Standort verlassen hätten, aber wozu eigentlich? Die ausgestellten vatikanischen Gewänder aus dem 19. Jh. weisen keinen allzu großen Kunstwert auf, da sie nur Repräsentationsmaterial des Papsttums aus einer Zeit sind, als es sich bereits im Niedergang befand. Sie prunken vordergründig mit kostbarem Stoff und reichen Stickereien und das ist es dann auch schon. Überdies stehen auch hier wieder die albernen Puppen in Designer-Kostümen herum, stören aber in diesem Umfeld (merkwürdigerweise) nicht so sehr.
Sehr hochfahrend muten die Tiaren an, dreistufige Papstkronen, die den Träger als „Vater der Fürsten und Könige“, als „Haupt der Welt“ und als „Statthalter Jesu Christi“ überhöhen. Sie entstammen der Zeit Pius‘ IX., als der Kirchenstaat wegen der Gründung des italienischen Nationalstaats aufgelöst wurde. Pius belegte damals sämtliche Politiker des Landes mit dem Kirchenbann, was aber überhaupt nichts mehr bewirkte. Interessant: Seine Krönungs-Tiara wurde von einem deutschen Juwelier namens Deibel gefertigt (nomen est omen?).
Eigentlich ist meine Kapazität, Kunst aufzunehmen schon total ausgeschöpft, aber es zieht mich doch noch in die islamische Abteilung des Met, die ähnlich gut bestückt ist, wie die im Museum für islamische Kunst in Berlin. Das reich dekorierte Damaskus-Zimmer aus einem syrischen Palast, die Olifante und Elfenbeikästchen aus Sizilien, die Gebetsnischen seldschukischer Moscheen und kostbaren Alltagsgegenstände aus den Häusern der Reichen im Orient sind Kunstschätze der gesamten Menschheit, die in den teils fundamentalistischen, teils vom Bürgerkrieg zerrissenen Herkunftsländern gar nicht mehr oder nur noch unter großer Gefahr zu sehen sind. Auf dem Weg zum Ausgang durch die Völkerkundeabteilung, die ich aus Ermattung keines Blickes mehr würdige, zeigt mir ein Blick auf die Uhr, dass heute sechs Stunden in der Schatzkammer Metropolitan Museum verflogen sind, ohne dass ich das auch nur gemerkt habe!
The Cloisters
Ausgerechnet am Memorial Day, dem Tag des Gedenkens an die Kriegstoten, haben wir uns vorgenommen den Geburtstag unserer Enkelin in „The Cloisters“ zu begehen. Aber das wunderbare Wetter und die Schwierigkeit gemeinsamer Aktionen bei Menschen mit so unterschiedlichen Tagesabläufen wie in unserer Familie, gaben den Ausschlag es an diesem Feiertag zu versuchen. Der Memorial Day war ursprünglich als Versöhnungstag nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkriegs konzipiert: Durch das Gedenken der Toten beider Seiten wollte man die zerbrochene amerikanische Einheit erneut beschwören. Nach dem Großen Krieg, wie der Ersten Weltkrieg damals hieß, dehnte man den Feiertag auch auf die Gefallenen von 1914/18 aus, obwohl mit Veterans Day auch noch ein separater Gedenktag für gefallene Soldaten existiert. Heute ist Memorial Day für Amerikaner nur noch aus der Freizeit-Perspektive interessant: Er wird traditionell nach dem letzten Wochenende im Mai gefeiert und fordert geradewegs dazu auf, sich mit Hilfe von Brückentagen ein paar zusätzliche Urlaubstage in der schönen Jahreszeit zu verschaffen.
Der 21. Geburtstag der Enkelin soll, seiner Bedeutung entsprechend, in einem außergewöhnlichen Rahmen zelebriert werden und dem entspricht „The Cloisters“ zweifellos. Die Außenstelle des Metropolitan Museum of Art wurde geschaffen um den Unmengen von Architekturteilen aus dem Mittelalter, die das Met im Laufe der Jahre zusammengerafft hat, einen würdigen Rahmen zu geben. Dazu errichtete man eine pseudo-mittelalterliche Klosteranlage auf einer Anhöhe im Fort Tryon Park und verwendete die Spolien aus dem Besitz des Museums zum Aufbau ganzer Gebäude oder Teile davon, wie z. B. der berühmten Kreuzgänge aus Südfrankreich, die dem Komplex seinen Namen gaben. (Auf einer unserer Frankreichtouren waren wir bereits vor Jahren nach Cuxa, einem der geplünderten Originalorte in den Pyrenäen, gekommen und hatten uns vor Ort weidlich über den Kulturimperialismus der Amerikaner aufgeregt).
Im Auftrag des Museums bereiste Anfang des 20. Jh. ein Kunstagent das Languedoc und beschwatzte Gemeinden mit verfallenen romanischen und gotischen Kirchen, diese doch besser auf Abbruch an ihn zu verkaufen, als weiterhin die teuren Unterhaltungskosten zu tragen. Als sich diese Ankaufstaktik in Frankreich herumsprach, brach ein Sturm der Entrüstung los und die französische Regierung bereitete ein Gesetz vor, das dem ungehemmten Export von nationalen Kunstwerken Einhalt gebieten sollte. Als es nach den in der Politik üblichen Verzögerungen endlich in Kraft trat, hatte der clevere Agent seine Beute längst in Sicherheit gebracht. Diese war so reichlich, dass sie die mittelalterliche Sammlung des Met-Museums sprengte und der Plan für eine Außenstelle im Norden Manhattans entstand. Auch wenn man die Art und Weise des Erwerbs der Kunstwerke kritisieren muss, kann man sich doch nicht der Bewunderung entziehen, wie effektvoll die Objekte hier präsentiert werden. Das beginnt schon mit der Umgebung: Der Fort Tryon Park am Ufer des Hudson ist wie eine Gebirgslandschaft gestaltet, die von dem „Kloster“ gekrönt wird. Der Milliardär Nelson D. Rockefeller spendete eine gewaltige Summe um auch das gegenüberliegende Ufer von Bebauung freizuhalten und dadurch der Eindruck einer rundum naturbelassenen Landschaft zu schaffen, obwohl sich die von hier aus nicht sichtbare Metropole noch in allen vier Himmelsrichtungen jenseits des Parks ausdehnt.
Am heutigen Tag ist der ganze Park bereits am Morgen voller Menschen (bei all den vorherigen Besuchen war hier nie etwas los), doch das ganze kulminiert noch im Museum. Da liegt daran, dass hier (und gleichzeitig im Metropolitan Museum) z. Zt. eine ungemein populäre Sonderausstellung mit Objekten berühmter Modeschöpfer stattfindet und die Menschenmassen in beiden Museen lieber die Pariser Haute Couture Entwürfe sehen wollen als die berühmten mittelalterlichen Exponate des Museums. Die Modeobjekte entstanden unter der Inspiration von mittelalterlicher und religiöser Kunst und wurden von so illustren Designern wie Gaultier und Versace geschaffen. Das Erstehen der Eintrittskarten gestaltet sich kurios: Das Met-Museum – angeblich fast pleite – ist von seiner benutzerfreundlichen Praxis abgewichen, den Besuchern zu überlassen, wie viel Eintritt sie bezahlen wollen. Die freundliche Regelung gilt jetzt nur noch für NY residents, wenn sie das mit einer ID card nachweisen können, alle anderen müssen 25 $, ermäßigt 17 $ zahlen. Unser Sohn stellt sich also an der Kasse an und bestellt 5 Eintrittskarten. Die Kassendame forderte dafür forsch 125 $ und Vincent antwortet knapp: „O.K., ich zahle fünf!“. Anstandslos – aber mit sehr schiechem Blick der Verkäuferin – bekommt er dafür seine tickets und wir haben 120 $ gespart – sehr angenehm angesichts der Kosten, die noch auf uns zukommen!
Aufgrund der Menschenmengen drinnen entsteht ein völlig anderer – und nicht einmal schlechterer – Eindruck als ich ihn aus den letzten Jahren gewohnt bin: Die romanischen Kreuzgänge aus Cuxa und St. Guilhem le Désert quellen über von Menschen, die sich an der Bepflanzung mit Klosterkräutern erfreuen und die ebenfalls romanischen Kapellen sind endlich wieder mit der Personenanzahl gefüllt, für die sie einst gebaut wurden. Aber überall stehen Schaufensterpuppen herum, bekleidet mit freakigen Gewändern, die krampfhaft versuchen (meiner Meinung nach vergebens), einen Bezug zum Mittelalter herzustellen. Sie sind die Stars der Sonderausstellung und die so überaus wertvollen juwelenbesetzten Sakralgegenstände aus Gold und Silber, die kostbaren Tapisserien mit der Einhornjagd und die vielen Sulpturen und Gemälde aus dem Mittelalter, die den eigentlichen Schatz von The Cloisters darstellen, bekommen durch den Trubel leider nicht die ihnen gebührende Aufmerksamkeit.
Ich muss noch rasch der Enkelin das berühmte Mérode-Tryptichon erklären, dessen verschlüsselten Inhalt man nicht ohne fremde Hilfe deuten kann und werde dabei sofort wieder an die skandalöse Geschichte seines Erwerbs durch das Met-Museum erinnert: Das sich seit Jahrhunderten im Besitz der belgischen Adelsfamilie de Mérode befindliche Altar-Tryptichon war nach einem Erbfall plötzlich auf dem Kunstmarkt aufgetaucht. Obwohl der belgische Staat es als nationales Kunstwerk unbedingt in Belgien halten wollte und bereits Geld für den Ankauf aquirierte, ging es ans Metropolitan Museum, weil dessen Agenten schneller waren und einen Betrag zahlten, der damals noch nie für ein mittelalterliches Kunstwerk geboten wurde (heute 2,2 Mio €!) Eine Welle nationaler Entrüstung brandete in Belgien auf und in einem Artikel der Brüsseler Wochenzeitung „Pourquoi pas?“ wurde angeregt, den Amerikanern für die Rückgabe des Kunstwerks – im Geiste schöner Gegenseitigkeit – das uralte Modell eines amerikanischen „Einarmigen Banditen“ zurückzuschicken, das im Automaten-Museum von Crupet aufbewahrt wird.
Im Kreuzgang von St. Guilhem (an dessen originalem Standort im Languedoc mein Freund Udo und ich bereits vor vierzig Jahren die amerikanische Praxis des Erwerbs von Kunstwerken diskutiert haben) räche ich mich dafür mit der genussvollen Betrachtung des pseudo-romanischen Wandbrunnens auf den das Museum 1935 glatt reingefallen ist und nicht nur einen überhöhten Betrag für das Falsifikat bezahlte, sondern es so fest eingebaut hat, dass es nur mit erheblichem finanziellen Aufwand wieder abzubauen wäre. So steht es hier weiterhin als Museumsstück mit der Beschriftung: Wandbrunnen, Marmor, Frankreich frühes 20. Jh. (!), (romanischer Stil).
Unser persönlicher Feiertag soll mit einem Geburtstagsdinner im „The Leaf“ gekrönt werden, dem Restaurant im Fort Tryon Park, das im Stil an The Cloisters anklingt und in dem wir bereits früher in angenehmer Atmosphäre gespeist haben. An diesen Tag kann es unsere hochgespannten Erwartungen jedoch nicht erfüllen, da es uns die typisch amerikanische Restaurantkultur im Übermaß demonstriert. Gleich zu Beginn nervt der schnöselige Restaurantleiter, weil er uns trotz vieler freier Plätze nicht vor der gebuchten Zeit einlässt und uns nach halbstündiger Wartezeit am schlechtesten Tisch des Lokals platziert. Auf Intervention unseres Sohnes gewährt er uns dann gnädig doch noch einen Plätz im zauberhaften Zelt im Garten, wo wir von Anfang an sitzen wollten. Das Essen entspricht – ausgerechnet am Feiertag – überhaupt nicht dem Ambiente, dem Anspruch des des Hauses und dem Preis, lediglich ich komme mit einem Batzen Rindfleisch, exakt auf den Punkt gebraten, gerade noch davon, allerdings erst, als sie mein zum Steakschneiden völlig ungeeignetes stumpfes Messer ausgewechselt haben. Es bewahrheitet sich wieder einmal der von uns ständig zitierte Spruch: „Zu Hause isst man einfach besser!“
Alles neu im Brooklyn Museum
Am Rande des Prospect Park erhebt sich das riesenhafte Brooklyn Museum. Als es die Architekten McKim, Mead, and White 1885 entwarfen, war Brooklyn eine noch selbstständige Millionenstadt und sein Museum sollte das (vom gleichen Büro gebaute) Metropolitan Museum of Art nicht nur an Größe übertreffen. Wie jenes sollte es als Universalmuseum die Kunst der gesamten Welt präsentieren, aber im Gegensatz zum Met besaß man in Brooklyn erst wenige Exponate. Deshalb war man auf Spenden und donations betuchter Bürger angewiesen, die eigentlich auch eher in Manhattan saßen. Nach dem Zusammenschluss der five boroughs gab Brooklyn den Anspruch auf das größte Museumsgebäude sehr schnell auf und führte den Bau in reduzierter Form zu Ende. Was aber im Laufe der folgenden Jahre an Exponaten zusammenkam, verdient Bewunderung. 1916 wurde z. B. durch die Schenkung eines berühmten Ägyptologen eine Ägypten-Abteilung eingerichtet, die heute weltweit zu den umfangreichsten und wertvollsten dieser Art zählt. Die Sammlung des Brooklyn Museum ist heute die zweitgrößte New Yorks und eine der bedeutendsten in den USA. 2003/2004 wurde das Museumsgebäude für 60 Millionen Dollar umgebaut und erhielt im Eingangsbereich einen modernen Glaspavillon als Vorbau.
1988 wurde hier das Gemälde L’origine du monde von Gustave Courbet (1819–1877) weltweit erstmals öffentlich präsentiert. Das 1866 für einen türkischen Sammler gemalte Bild eines nackten weiblichen Unterkörpers mit detailliertem Geschlechtsteil wurde 120 Jahre unter Verschluss gehalten und ausgerechnet im prüden Amerika ans Licht der Öffentlichkeit gebracht. Von einem Eklat darüber ist nichts bekannt, aber der unter dem großen Erfolg dieser Ausstellung unterdrückte Unmut brach vermutlich elf Jahre später durch, als Rudy Giuliani völlig überzogen auf eine Ausstellung junger britischer Künstler im Brooklyn Museum reagierte. Die dort gezeigten, durch Gewalt und sexuelle Motive provozierenden Bilder, in deren Zentrum eine schwarze – mit Elefantenkot als dunkler Farbe gefertigte – Madonna stand, die von sexuellen Symbolen umgeben war, erzeugten einen Eklat. Der Bürgermeister schäumte, bezeichnete das Werk als „krankhaft“ und verlangte dessen Entfernung. Er strich dem Museum Zuschüsse in Höhe von 7,2 Millionen Dollar, konnte sich damit aber nicht durchsetzen, denn ein Gericht wies die Streichung der Mittel mit dem Verweis auf die Freiheit der Kunst wieder zurück. Als sich die Erregung (sehr schnell) gelegt hatte, wurde das Skandalobjekt vom Museum of Modern Art sogleich angekauft.
Die Bestände des Brooklyn Museum, die wir zusammen mit der kunstbegeisterten Enkelin anschauen wollen, sind auf vier Etagen verteilt. Gleich beim Eintreten bekomme ich mit, dass sich das Museum in einer Umstrukturierung befindet, in der die Exponate völlig neu präsentiert werden. Zeigte man sie vorher in der kunstgeschichtlich üblichen Weise nach Epochen, Kunstgebieten und Regionen sortiert, möchte man jetzt das Verbindende, Übergreifende aber auch Konfrontative der Kunst herausstellen.
Schon in der Eingangshalle im Erdgeschoss wird das deutlich gemacht, da man uns hier mit einem cross-departmental survey auf das Museum einstimmt. Unter dem Titel „Infinite Blue“ zeigt man einen Querschnitt aller hier ausgestellten Epochen in Form blauer Objekte der asiatischen, afrikanischen, ägyptischen, amerikanischen, indianischen und europäischen Kunst in Form von Bildern, Skulpturen, Drucken, Zeichnungen, Kunstgewerbe, illuminierten Manuskripten, Büchern und zeitgenössischer Kunst – eine blöde Idee! Die Beliebigkeit des Ganzen wird aus der wahllosen Anordnung der Epochen und Artefakte ersichtlich und orientiert sich an den Gewohnheiten Jugendlicher beim Schauen von Instagram-Fotos.
Im ersten Stock sah man früher asiatische Kunst aus Indien, China und Japan sowie islamische Kalligraphie. Diese Ausstellung wird offensichtlich gerade dem neuen Konzept angepasst, weshalb z. Zt. nur die neu geschaffene Abteilung koreanischer Kunst zu sehen ist.
Die zweite Etage ist eigentlich der Antike gewidmet, ich stoße auch sogleich auf die (schon erwähnte) beeindruckende Abteilung ägyptischer sowie assyrischer Kunst, aber die auch auf diesen Stock gehörenden Exponate griechischer, römischer, nahöstlicher und koptischer Herkunft fehlen – weitere Opfer der gerade stattfindenden Umstrukturierung. Dafür gibt es jetzt eine Focus Gallery, in der jeweils ein herausragendes Kunstwerk präsentiert wird, aktuell ein sehr buntes Majolika-Relief aus der Renaissance, von Giovanni della Robbia. 1899 aus dem Besitz der Florentiner Wein-Dynastie Antinori erworben, wurde es gerade mit Unterstützung derselben Famile restauriert. Und den Innenhof nimmt der Beaux Arts Court ein, der die angestrebte neue Art der Präsentation bereits deutlich zum Ausdruck bringt: Europäische Kunst von der Frührenaissance bis zum Zweiten Weltkrieg, wobei die Gemälde und Skulpturen sakrale Kunst, Porträts, Landschaftsmalerei und Stilleben repräsentieren. Dazu kommen überraschender Weise Werke amerikanischer Künstler, die in Europa arbeiteten oder europäisch beeinflusst wurden und vier Skulpturen von Auguste Rodin, darunter drei der Bürger von Calais. Ich glaube, dass der Wunsch sich vom Metropolitan Museum abzusetzen – welches noch ganz dem gewohnten kunstgeschichtlichen Prinzip verhaftet ist, Kunstwerke nach Chronologie, Ländern, Stilen und Kunstschulen zu ordnen – Vater des Wirrwarrs dieser Neupräsentation in Brooklyn ist. Ich persönlich kann mit solch einem Konzept wenig anfangen, die Amerikaner aber schon eher, wie ich bereits im Isabella Stewart Gardner Museum in Boston festgestellt habe.
In der dritten Etage befindet sich – glücklicher Weise unverändert – die kunstgewerbliche Abteilung mit 25 vollständig eingerichteten amerikanischen Räumen aus der Zeit von 1715 bis 1880 (so genannte period rooms) sowie Gebrauchsgegenständen des täglichen Lebens aus jener Zeit. Der Rest dieser Etage ist dem Elizabeth A. Sackler Center for Feminist Art gewidmet und hier blüht unsere 14jährige Enkelin auf, denn das Kunstwerk „The Dinner Party“ von Judy Chicago, das einen großen Teil der Ausstellungsfläche einnimmt, wurde in ihrer Schule gerade im Kunstunterricht durchgenommen und hat sie sehr begeistert. Warum es an einer Eliteschule wie ihrer nicht möglich ist, statt in einer Unterrichtsstunde darüber zu reden lieber einen Besuch beim originalen Objekt zu machen (nur 30 Subwayminuten entfernt), bleibt mir als Pädagoge unerfindlich. Die „Dinner Party“, Ikone der feministischen Kunst der 70er Jahre, besteht aus einem dreieckigen Bankett, das für 39 Personen gedeckt ist und jedes Gedeck einer geschichtlich bedeutenden Frau gewidmet ist, wie aus der Tischkarte hervorgeht. Der Tisch steht auf einem Kachelfußboden, in dessen Fliesen weitere 999 Namen berühmter Frauen in goldenen Lettern eingebrannt sind. Die kostbare Tischdekoration mit gestickten Platzdecken, goldenen Kelchen, mit Schmetterlings- und Vulvamotiven bemalten Porzellantellern und goldenem Besteck wurde komplett von der Künstlerin entworfen. Der Pädagoge blüht auf, kann er doch der Enkelin die eine oder andere historische Frauenpersönlichkeit etwas näher bringen, wird aber durch eine „herstory“ Projektion unterstützt, die auf die weniger bekannten 999 Frauen eingeht, die auf den Fußboden verewigt sind. Nach diesem beeindruckenden Werk kann ich leichten Herzens auf die Präsentation der Kunst beider Amerikas auf der letzten Etage verzichten, insbesondere als ich lese, dass auch diese bereits nach dem neuen Ausstellungskonzept organisiert ist.
Museum of Natural History
An der Ecke Central Park West / 79th Street, direkt gegenüber dem Park, befindet sich das American Museum of Natural History, New Yorks Naturkundemuseum. Diese Art von Museen scheint in den USA besonders beliebt zu sein, denn in vielen amerikanischen Städten gibt es welche und die meisten davon sind riesig. Ich mag sie schon aus dem Grunde, dass sie viel weniger dem Kulturimperialismus verhaftet sind, als die Kunstmuseen. Ihr Hauptanliegen ist nicht, große Schätze anzuhäufen sondern Verständnis und Interesse an der Erforschung der Natur zu wecken. Sympathisch ist auch, dass solche Museen stets von Scharen von Kindern bevölkert sind. Von außen beeindruckt den Besucher die schiere Größe des Gebäudes, das vier ganze Häuserkarrees einnimmt. An der Fassade zum Central Park ist dem Museumsbau von Calvert Vaux (dem Planer des Central Parks) ein gigantischer römischer Triumphbogen vorgeblendet, eine der erstaunlichsten Gedenkstätten der USA. Die Theodore Roosevelt Memorial Hall ist nämlich sowohl Denkmal für den Präsidenten und Friedensnobelpreisträger als auch Haupteingang des Naturkundemuseums. Neben seiner politischen Tätigkeit, in der er – seiner Zeit weit voraus – eine fortschrittliche Umweltpolitik betrieb, war Roosevelt auch aktiver Forschungsreisender. Da seine Expeditionen mit den Forschungen des Museums in Verbindung standen, sahen die Verantwortlichen die Kombination von Denkmal und Museum als besonders geeignet für die Ehrung des populären Ex-Präsidenten. Gleich nach Roosevelts Tod 1919 setzte der Staat New York eine Kommission zur Schaffung eines Memorials ein. Den Architektenwettbewerb gewann John Russell Pope, der Schöpfer vieler neoklassizistischen Bundesbauten in Washington wie der National Archives, des Jefferson Memorial und des Westflügels der National Gallery of Art. Er plante den überdimensionierten Triumphbogen als Ausgangspunkt einer „Intermuseum Promenade“, die – quer durch den Central Park – bis zum Metropolitan Museum führen sollte. Glücklicher Weise wurde diese den Park zerstörende Schneise nie angelegt und dadurch bleibt auch das Memorial nur von der Straße Central Park West – also direkt davor – sichtbar, was angesichts seiner aufdringlichen Größe nur wünschenswert ist.
Gemeinsam mit unserer jüngeren Enkelin, die – heute mal anders herum – für uns die Museumsführung macht, betreten wir die riesige Eingangshalle, vorbei an der Bronzestatue des Präsidenten. Im Innern der riesigen, tonnengewölbten, mit Wandmalereien aus Roosevelts Leben ausgemalten Halle (seine Afrikareisen, die Verwirlichung des Panama-Kanals und seine Friedensmission im russisch japanischen Krieg) herrscht ob der vielen Schulklassen fröhlicher Lärm und Trubel. Zum „Anfüttern“ der jugendlichen Besucher sind gleich am Eingang einige enorme Dinosaurierskelette aufgebaut, die Appetit auf die große Dinosaurier-Abteilung im Obergeschoss machen sollen und die – wie überall in Naturkundemuseen – die größte Besucherattraktion ist. Auf drei Etagen wird der unermessliche Bestand (30 Mio einzelne Objekte) an naturwissenschaftlichen Exponaten ausgebreitet, von dem es im Führungsblatt heißt, dass man ihn unmöglich an einem einzigen Tag bewältigen kann. Deshalb lassen wir es ruhig angehen und besuchen eher stichprobenartig die Hallen, die die Entwicklung der Pflanzen, der Tiere und des Menschen im Verlauf der Evolution aufzeigen. Es ist schwer zu glauben, dass in dem gleichen Land, das solch überzeugende Naturkundemuseen präsentiert, unzählige Kreationisten leben, die wortwörtlich an die Schöpfungsgeschichte in der Bibel glauben.
Obwohl es am Broadway noch ein spezielles Museum of the American Indian gibt, nehmen die hiesigen Ausstellungen über die Vielfalt und die Lebensweise der Indianer einen großen Raum ein, ein 19,2 Meter langer Einbaum aus Zedernholz, der den Haida Indianern als Kriegskanu diente, ist ein Höhepunkt dieser Ausstellung. Drangvolle Enge herrscht in den beiden anderen Attraktionen des Museums, dem Rose Center for Earth and Space mit dem Hayden Planetarium im Untergeschoss und der Milstein Hall of Oceanic Life mit einem lebensgroßen Modell eines Blauwals im Erdgeschoss. Viele Abteilungen wie die Sammlung von Mineralien und Meteoriten müssen wir mangels Fassungsvermögens einfach auslassen. Aber Naturkundemuseen sind ja auch nicht für einen einmaligen Besuch konzipiert.