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1 Vorwort: Ein Schmelztiegel der Kulturen
Sizilien im 12. Jh.
In Palermo vereinigt sich das kulturell Beste der drei Ethnien, die Sizilien im 12. Jh. dominierten: der Araber, Griechen und Lateiner/Italiener. Die – sprünglich französischen – Normannen, die das Königreich schufen und bis zur Epoche der Staufer beherrschten, stellten nur eine kleine Herrschaftsschicht dar, die durch die Verschmelzung der drei Kulturen ein verbindendes Leitelement in ihrem Herrschaftsbereich schaffen wollte. Im Palazzo dei Normanni in Palermo wird das besonders deutlich: Sprachlich auf einer Inschrift anlässlich der Anbringung einer mechanischen Wasseruhr durch König Roger II., die in der obersten Reihe lateinisch, in der mittleren griechisch und der unteren arabisch verfasst ist und künstlerisch in den architektonischen und bildnerischen Details des Gebäudes.
Da gibt es Blendarkaden, die die mit nur kleinen Fenstern versehenen Fassaden gliedern, marmorne und mosaizierte Endlosmuster für Fußböden und Wände im Innern, Motive, die ebenso wie die in der Decke der Cappella Palatina überreich vorkommenden Muqarnas (Stalaktiten) zum islamischen Kulturkreis gehören.
Blendarkaden Endlosmuster Muqarnas (Stalaktitengewölbe)
Byzantinisch sind die Mosaiken auf Goldgrund, besonders im Sanktuarium der Kirchenbauten, wo Jesus, Maria und die Heiligen in typischer Form – in einigen Kirchen auch mit griechischen Inschriften versehen – dargestellt sind. Die Grundrisse der Sakralbauten verwenden für das Sanktuarium (Presbyterium) den mit einer oder mehreren Kuppeln überdachten byzantinischen Zentralraum, wobei die Kuppelübergänge (Trompen oder Pendentifs) wiederum der islamischen Architektur entstammen. Romanisch dagegen ist die Verwendung der Basilikaform für das Kirchenschiff, das in der Regel an das byzantinische Sanktuarium angefügt wird. Die drei Schiffe des Basilikaraumes werden durch Spitzbögen, die auf – meist wieder verwendeten antiken – Säulen ruhen, getrennt.
Byzantinischer Zentralraum Kuppelansatz mit Trompen Basilika
Zusammengeführt werden diese unterschiedlichen Formen im romanischen Baustil, der zur Zeit des Normannenreichs in Europa vorherrschend war. Über diesen Baustil gelangten Motive der arabisch-normannischen Kunst wie die ineinander verschlungenen Blendbögen, farbige Steinintarsien und in die Ecken eingestellte Säulen auch in andere europäische Länder.
All dies wird erst ab der Regierungszeit Rogers II. (1130 – 1154) geschaffen. Relikte der vorangegangenen Epochen sind in Sizilien außerordentlich spärlich. Das mag daran liegen, dass z. B. die in byzantinischer Zeit errichteten Bauten, wie auch andernorts in der Provinz, wenig monumental waren und während der Blütezeit des normannischen Königreichs durch repräsentativere ersetzt wurden. Dass die Muslime Bauten schufen, die denen in Cordoba oder später in Granada vergleichbar waren, ist durch Erhaltenes nicht zu belegen. Die Hauptkirche Palermos aus byzantinischer Zeit zum Beispiel wurde einfach in eine Moschee umgewandelt und später, nach dem Fall der muslimischen Herrschaft, dem christlichen Ritus zurückgegeben, bis um 1184 schließlich die heutige normannische Kathedrale als Neubau entstand. Viele muslimische Bauten, besonders Moscheen, wurde wohl von den Normannen während und unmittelbar nach der Eroberung zerstört. Eine viel größere Anzahl von Gebäuden, darunter die muslimischen Paläste, musste dem Bauboom des neu geschaffenen Königreichs und der Monumentalisierung der Hauptstadt Palermo weichen. Aber in dieser hoch produktiven Zeit gelangten auch wieder islamische Stilelemente in die normannische Kunst hinein, und zwar nicht der Lokalkunst entstammend, sondern die fatimidische – den ganzen Mittelmeerraum umspannende – muslimische Hochkultur aufnehmend. So wie Mosaizisten, Architekten und Seidenweber aus dem verfeindeten Byzanz herangezogen wurden, so griff man offensichtlich auf begabte arabische – dem nordafrikanischen Raum entstammende – Künstler zurück. Zusammen mit den ebenfalls von den Normannen geförderten, vom Katholizismus und der abendländischen Tradition geprägten Künstlern aus Italien und Frankreich schufen diese drei Ethnien den berühmten arabisch-normannischen Stil, der bis in die Stauferzeit andauerte.
Erst am Ende dieser Epoche der Toleranz – nach dem Untergang der Staufer – setzte unter den Anjou eine gezielte antimuslimische Politik ein, als deren Ergebnis die Muslime aus Italien verschwanden und mit ihnen auch ihre Kunst. Lediglich die großartigen, im Staatsbesitz befindlichen und vom normannischen Königshaus errichteten Repräsentationsbauten und die Kirchen konnten der Kulturzerstörung entgegehen, wenn auch durch Vernachlässigung, Privatisierung und bloßen Vandalismus in den folgenden Jahrhunderten vieles noch verloren ging.
2 Die Normannen erschaffen einen einzigartigen Kunststil
Normannen in Italien
Die normannischen Ritter, die ab dem Jahr 1000 in Süditalien auftauchten, hatten sich in einer 50-jährigen, atemberaubenden Erfolgsgeschichte von Strauchdieben bis zu Beherrschern des Landes emporgeschwungen. Die Söhne des normannischen Landadligen Tankred von Hauteville spielten mit sicherem Gespür für ihre Möglichkeiten Byzantiner, Langobarden, Araber, den deutsch-römischen Kaiser und den Papst – allesamt um den Besitz des Landes konkurrierende Mächte – gegeneinander aus. Auf diese Weise schafften sie es, sich nicht nur die Legitimation für die eigene Herrschaft – und zwar durch den Papst – zu beschaffen, sondern auch ein Fürstentum zu begründen, das zunächst nur Kampanien, dann das ganze süditalienische Festland und schließlich auch noch Sizilien umfasste. Trugen die Vertreter der ersten Generation der Hautevilles, Robert Guiskard und Roger I. noch die Titel Herzog und Graf, so gelang es der zweiten Generation unter Roger II. nicht nur, alle normannischen Fürstentümer in einer Herrschaft zusammenzufassen, sondern auch noch den Königstitel für das Reich Neapel/Sizilien zu erwerben. Roger hatte sich dabei ein Schisma (Spaltung der katholischen Kirche) mit Papst und Gegenpapst zunutze gemacht und sich sein Königtum vom Gegenpapst bestätigen lassen. Auch nach Ende des Schismas behielt Roger II. die päpstliche Anerkennung für das Königreich Sizilien. (Die ausführliche Geschichte der Normannen in Italien findet sich im Kapitel 22, unter: Aufstieg der Normannen in Süditalien).
Damit war der Zündfunke für die Entwicklung eines besonderen Kunststils in diesem Königreich gegeben. Es gab keine Tradition, die man hätte unbefangen weiterführen können, denn das Land war den „ungläubigen“ Muslimen entrissen worden und den Anspruch sowohl des byzantinischen als auch des deutsch-römischen Kaiserreichs auf Vorherrschaft wies man im Einklang mit dem Papst entschieden zurück. (Wobei die Motive höchst unterschiedlich waren: Dem Papsttum ging es vorrangig um das Zurückdrängen der Orthodoxie und die Verhinderung der Umklammerung des Kirchenstaats durch das deutsch-römische Kaisertum, während den Normannen die Lehensabhängigkeit vom Papsttum gegenüber kaiserlicher Dominanz als das kleinere Übel erschien). Jedenfalls fehlte dem neuen Staatsgebilde außer einer überzeugenden Legitimation auch der Glanz, der von anderen – teilweise schon Hunderte von Jahren bestehenden – Königtümern ausging.
Pragmatisch wie bei allem, was sie unternahmen, suchten die Normannen zunächst einmal Anknüpfungspunkte für eine den Staat repräsentierende Kunst unter den in ihrem Reich lebenden Untertanen, was aber nicht ganz einfach war, denn der eine (größere) Teil der Bevölkerung war byzantinisch, der andere arabisch. Die Normannen selbst waren nur eine winzige Herrschaftsschicht, obwohl im Verlauf der Zeit immer mehr römisch-katholische Zuwanderer aus Italien, aber auch aus der Normandie und England – den anderen beiden Normannengebieten – hinzukamen. So musste zwar der Herrschaftsanspruch des byzantinischen Kaisers zurückgewiesen werden, gleichzeitig aber die byzantinische Bevölkerung mit ins Boot genommen werden. Von den arabischen Einwohnern musste man sich zwar in der Religion abgrenzen, ihnen aber gleichzeitig die Rechte als Bürger des Königtums belassen. Aus der pragmatischen Haltung der neuen Herrscher erwuchs zunächst ein erhebliches Maß an religiöser Toleranz, die auch auf die ebenfalls stark vertretene jüdische Bevölkerung ausgedehnt wurde, eine Toleranz, die aus dem Rahmen der damaligen Zeit herausfiel und nur eine einzige Parallele in der Anfangsphase des umayyadischen Kalifats von Cordoba fand. Diese Toleranz ist die Grundvoraussetzung für die Entstehung der arabisch-normannischen Kunst Süditaliens.
Der neue Stil
In einem nächsten Schritt assimilierte das normannische Königtum die im Lande existierenden Kunstrichtungen und verschmolz sie mit ihrer (lateinisch-abendländisch geprägten) romanischen Kunst. Diese neue Kunst wurde jedoch nicht von einheimischen Künstlern geschaffen – das Land war durch den Niedergang der Araber und die langwierige Eroberungsphase ausgelaugt und künstlerisch provinziell – sondern man holte die besten Kunstschaffenden aus dem Ausland: Aus Byzanz kamen Architekten, Mosaikkünstler, Seidenweber und -sticker und produzierten Dinge, die denen in Konstantinopel ebenbürtig waren. Die normannischen Könige erschienen auf den Mosaiken, die griechisch beschriftet waren, im Ornat des byzantinischen Kaisers – schließlich hatte bereits der Onkel Rogers II., Robert Guiskard, versucht Byzanz zu erobern.
Arabisches Ornament Byzantinisches Mosaik Fatimidische Malerei
Aus dem arabischen Raum wurden ebenfalls begabte Handwerker berufen. Sie brachten den aktuellen fatimidischen Bau- und Kunststil mit, der in Nordafrika von Algerien bis nach Ägypten verbreitet war. Arabische Architekten errichteten kuppelbekrönte, kubischeBauwerke, die, außen mit arabischen Inschriften versehen, im Innern Muqarnas (Stalaktitgewölbe) und „persische“ Faltkuppeln präsentierten. Auch das Kunstgewerbe schuf Artefakte auf höchstem Niveau wie Kästchen mit Elfenbeinschnitzereien, Olifante, geschnitzte Holztüren und ziselierte Bronzegefäße.
Muqarnas Arabische Elemente: Fächerfenster, Blendarkaden, Bossenquader und Intarsien
Auch die – allmählich zu Italienern werdende – lateinische Bevölkerung trug zu dieser Kunstblüte bei: Im romanischen Baustil wurden die oben aufgeführten unterschiedlichen Stilelemente zusammengeführt, dabei wurden alle in Sizilien aufeinandertreffenden Kunstrichtungen miteinander kombiniert und zu etwas Neuem, bisher nie Dagewesenem verschmolzen. Anstelle byzantinischer Zentralbauten wurde die Basilikaform für den Kirchenbau wieder verpflichtend, wobei aber das Sanktuarium als byzantinischer Zentralraum beibehalten und das basilikale Kirchenschiff daran gleichsam angestückelt wurde.
Diese Verschmelzung ist typisch für die Kunst der normannischen Epoche: Dazu einige Beispiele: Auf das basilikale (lateinische) Kirchenschiff* der königlichen Palastkapelle (Cappella Palatina im Normannenpalast), dessen Wände mit byzantinischen Mosaiken und griechischen Inschriften bedeckt sind, ist eine einzigartige, geschnitzte hölzerne (islamische) Stalaktitendecke aufgesetzt, bemalt mit figürlichen (!) Darstellungen im Stile persischer Buchmalerei und versehen mit arabischen Inschriften in kufischen Lettern.
* Neuere Forschungen bezeichnen nur den byzantinischen Zentralraum unter der Kuppel als Palastkapelle und sehen den basilikalen Teil als eine Art Thronsaal.
Das in kubischen (arabischen) Formen gehaltene Lustschloss La Zisa (al-aziz = das Prächtige) trägt auf dem Dachgesims eine arabische Inschrift, in der der (christliche) Herrscher Wilhelm II. genannt wird. Die Quellgrotte im Erdgeschoss mit Muqarnas-Kuppel ist rein arabisch, das Mosaik über dem Wasseraustritt byzantinisch.
Auch die Kathedrale von Palermo weist (wie auch der Dom von Monreale) den byzantinischen Zentralraum als Platz für das Sanktuarium und das basilikale Kirchenschiff als Sitz der Gemeinde auf. Außen an den Apsiden befinden sich ineinander verschlungene arabische Blendbögen, in den vom Umbau verschonten Ostteilen auch einige Muqarnas. (In der Barockzeit wurde die Kathedrale erheblich umgebaut, dabei ging die Verbindung von byzantinischen Sanktuarium mit basilikalem Schiff verloren. Auf alten Stichen ist sie jedoch noch zu sehen).
Kultur der Toleranz
Auf dem Gebiet der Sprache war ebenfalls eine Verschmelzung wahrzunehmen: Aus dem Vulgärlatein, gemischt mit anderen Bestandteilen, entstand die italienische Sprache, in der sich sehr schnell eine einheimische Dichtkunst entwickelte, die Vorbild für den Minnesang und das höfische Epos wurde.
Das Auffallende an dieser so einzigartigen Kunst Siziliens ist, dass sie keine Nachfolge fand. Das liegt nicht etwa daran, dass sie – wie bei manchen Kunsthistorikern zu lesen – eklektizistisch, also unoriginell, nur nachahmend und nicht schöpferisch war, sondern an der geschichtlichen Konstellation, die sich in Sizilien ergeben hatte: Nur hier war es im Zeitalter von Intoleranz und Glaubenskriegen, Kreuzzügen und päpstlichem Suprematsanspruch, Auseinandersetzung von Orthodoxie und Katholizismus sowie allgemeiner Ab- und Ausgrenzung möglich, solch gegensätzliche Einflüsse zusammenzubringen und zu verschmelzen. Die Verschmelzung war gleichzeitig eine Grundlage der Existenz des Normannenreichs. Die Aufweichung dieser historischen Konstellation war der Keim des Untergangs der normannisch-arabischen Kunst.
Niedergang
Schon mit dem Übergang der Herrschaft auf die Staufer entfielen mehrere Motive für die Toleranz, durch die solch Erstaunliches geschaffen wurde: Der Anteil des Byzantinischen und Arabischen schwand zugunsten des Lateinischen, dem Papsttum wurde die religiöse Toleranz zunehmend unerträglich und der Mittelpunkt des Reiches verlagerte sich vom Zentrum der Verschmelzung – Palermo – hinweg.
Der Untergang des Stauferreichs und die Belehnung des Hauses Anjou durch den Papst brachte den Untergang der normannisch-arabischen Kunst: die Muslime wurden ausgerottet, das byzantinische Element schwand, wie auch die Bedeutung des byzantinischen Kaisertums immer mehr abnahm. Sizilien wurde zunehmend ein Nebenschauplatz der Geschichte. Nach der Sizilianischen Vesper wurde Sizilien aragonesisch, und als Aragòn im spanischen Königreich aufging, ein spanisches Vizekönigtum in Sekundogenitur – eine stets nur noch ausgebeutete Provinz, in der nichts der Normannenzeit Vergleichbares mehr geschaffen wurde.
3 Patricolo und Goldschmidt
Giuseppe Patricolo rekonstruiert ein untergegangenes Zeitalter
Der palermitanische Architekt Giuseppe Patricolo (1834 – 1905) beschäftigte sich als Erster mit den Bauten im byzantinisch-arabisch-lateinischen Mischstil seiner Heimatstadt. Obwohl konservativ eingestellt, gehörte er damit zur Avantgarde der Denkmalpflege, denn das Mittelalter (wie bereits der von Historikern und Kunstgeschichtlern kreierte Name suggeriert) war für die Kollegen seiner Zunft eine undefinierte und unergiebige Epoche zwischen Antike und Renaissance. Zunächst beschäftigten ihn besonders die Kirchen aus der Normannenzeit, die in den langen Jahren des bourbonischen Niedergangs wenig gepflegt, oft umgebaut und teilweise abgerissen worden waren. Aber sie standen für eine Zeit, in der Sizilien – ganz anders als unter den Bourbonen – kulturell und machtpolitisch führend in Europa war. Die über 800 Jahre alten historischen Bauten boten einem an der Historie interessierten Architekten ein reiches Betätigungsfeld.
Patricolos Erstlingswerk war die Rekonstruktion der Kirche Santissima Trinità di Delia, einer Privatkapelle auf dem Landgut der Familie Saporito in der Nähe von Castelvetrano (an der Südküste Siziliens). Im Auftrag dieser adligen Familie untersuchte er das Bauwerk, entdeckte die Zusammenhänge mit den Normannenbauten in Palermo, wurde zunehmend von dem einzigartigen Normannenstil fasziniert und begann ihn genauer zu erforschen. Seine Studien mündeten in der „stilreinen“ Rekonstruktion des genannten Bauwerks, wobei Patricolo – ähnlich seinen europäischen Kollegen des Historismus – äußerst unbekümmert vorging. Ziel war die „Rückgewinnung“ des Gebäudes, wie es zur Erbauungszeit vielleicht einmal ausgesehen hatte, die Veränderungen aus späteren Zeiten wurden dabei als den „Originaleindruck“ störend empfunden und ohne Skrupel entfernt. Solcher Purifizierung fielen viele Barockdekorationen in Kirchen zum Opfer, außerdem wurden auch frühere (oft qualitativ hochwertige) Umbauten aus der Gotik und der Renaissance rückgängig gemacht, um das Gebäude in einen hypothetischen „Originalzustand“ zurückzuversetzen.
Patricolo erntete in einer nationalistischen, geschichtsbegeisterten Zeit zunehmendes Lob für seine Rekonstruktionen und wurde mit der Restaurierung fast aller palermitanischen Normannenkirchen beauftragt: S. Maria dell’Ammiraglio, S. Cataldo, S. Spirito, La Magione; Kirche und Kreuzgang von S. Giovanni degli Eremiti; später auch mit der Cuba, der Kapelle des Maredolce, der Cappella dell’Incoronata und der Cappella Palatina. Vieles an diesen Bauwerken war im Laufe der Zeit bis zur Unkenntlichkeit verbaut und verändert worden und Patricolo tat alles, den alten Zustand wieder herzustellen, auch wenn er gelegentlich übers Ziel hinaus schoss. Der Glockenturm von S. Giovanni degli Eremiti ist eine reine Erfindung von ihm und die Färbung der normannischen Kuppeln in leuchtendem Rot – heute ein Markenzeichen Palermos – beruht auf Patricolos Erkenntnis, dass ihr Putzmörtel Ziegelmehl enthielt. Dessen Anteil am Verputz hätte aber günstigstenfalls einen schwachen Rosaton erzeugt.
Adolph Goldschmidt entdeckt die normannischen Paläste
1893 besuchte der junge deutsche Gelehrte und Kunsthistoriker Adolph Goldschmidt zum ersten Mal Palermo. Hier machte man ihn auf einen Komplex mittelalterlicher Bauwerke aufmerksam, der schlagartig sein Interesse weckte: die normannischen Königspaläste. Während die sakralen Gebäude des Mittelalters wegen ihrer kontinuierlichen Nutzung im Prinzip erhalten blieben und somit Architektur und Innenausstattung ihrer Zeit bewahrten, war das in der Profanarchitektur anders. Eigentümerwechsel, wirtschaftlicher Niedergang – aber auch Boomzeiten mit ausgiebiger Neubautätigkeit – Nutzungsänderung und Modernisierung waren Faktoren, die deren Erhaltung fast unmöglich machten. In Palermo lernte Goldschmidt jedoch bisher unbekannte mittelalterliche Gebäude kennen, deren große Anzahl und Erhaltungszustand (wenn auch oft nur in Teilen) die zeichnerische Rekonstruktion des Originalzustands ermöglichten.
Was Goldschmidt außerordentlich faszinierte, war der Baustil dieser Gebäude, der gravierend von der in Europa vorherrschenden Romanik abwich: Man konnte glauben, sie wären während der Epoche der Araber in Sizilien entstanden, denn es gab arabische Inschriften, Muqarnasgewölbe, unverkleidete halbrunde Kuppeln auf den Dächern kubischer, mit Blendarkaden verzierter Gebäude, Hamams und Quellgrotten. In unglaublich schneller Zeit verschaffte sich Goldschmidt einen Überblick über die gesamte Quellenlage und nahm zu einheimischen Fachleuten Kontakt auf. So gewann er die Erkenntnis, dass all diese Gebäude nicht durch die Araber, sondern in der Blütezeit des normannischen Königtums (seit Roger II. von Sizilien) entstanden waren. 1898 brachte er eine Veröffentlichung zu diesem Thema heraus, die zum großen Teil heute noch Gültigkeit hat und den hohen Stellenwert betont, die diese einzigartige Kunst des Mittelalters hat*.
*”Die normannischen Königspaläste in Palermo”, Zeitschrift für Bauwesen, Berlin 1898
Seit Goldschmidts Besuch sind 120 Jahre vergangen, die sich auf die Objekte seines Fachgebiets teilweise segensreich und teilweise verhängnisvoll ausgewirkt haben. Manche Paläste sind, weiterhin vernachlässigt, bis zur Unkenntlichkeit verfallen, so dass Goldschmidts akribische Untersuchungen mit Vermessung, Grundriss und Rekonstruktionszeichnung die letzten Zeugnisse ihrer Existenz sind. Andererseits wurde ihr Wert erkannt (als Beispiel einer nur hier existierenden, arabisch-normannischen Architektur), was zur Erforschung der Gebäude, Beseitigung späterer Einbauten und umfassender Restaurierung bzw. Rekonstruktion führte.
Goldschmidt ging allen Hinweisen auf diese spezielle königliche Architektur in den Quellen nach und versuchte, die dort genannten Orte zu identifizieren. So gewann er folgendes Bild: Nach der Konsolidierung ihrer Herrschaft errichteten die Normannen den noch heute benutzten großen Königspalast am Rande der südwestlichen Altstadt. Er lag im Gebiet der Zitadelle (kasr)* der arabischen Eroberer, der Vorgänger der Normannen.
*Noch heute wird der Corso Vittorio Emanuele, der auf den Normannenpalast zuführt, im Volksmund Cassaro genannt, in Anlehnung an al-kasr.
Außerhalb der Stadtmauern legten sie einen großen Park an (begonnen vielleicht auch schon von den Arabern), in dem eine Anzahl von Lustschlössern entstand: Favara, Menani, Cuba, Zisa und kleine Cuba. Der Park mit dem Namen Genoard (Paradies) enthielt Wasserläufe, Fischteiche sowie exotische Pflanzen und diente auch zur Hege von Jagdwild. In diesem Ambiente praktizierten die normannischen Herrscher einen Lebensstil, der sich – ganz im Kontrast zum übrigen Europa – an orientalischen Vorbildern orientierte und mit der Architektur ihrer Paläste korrespondierte.
Den Palast von Altofonte und die Torre Alfaina, zu der die kleine Cuba als Gartenpavillon gehörte, kannte Goldschmidt noch nicht, die übrigen Orte waren leicht identifizierbar denn zum großen Teil tragen sie noch heute ihre mittelalterlichen Namen (Palazzo dei Normanni, Cuba, Zisa, Cubula), die Favara konnte er aufgrund der Lagebeschreibungen mit dem jetzt Castello di Maredolce genannten Schloss gleichsetzen und das unter dem (auch schon auf das Mittelalter zurückgehenden) Namen Uscibene bekannte Gebäude identifizierte er mit Menani. Letzteres verblieb seit Goldschmidts Zeiten in Privatbesitz und ist mittlerweile – bis auf die Kapelle – durch Vernachlässigung, Umbauten und Abriss – nicht mehr als Lustschloss zu identifizieren, so dass Goldschmidts Aufzeichnungen heute von erheblichem Wert sind.
4 Das Zentrum der Normannenherrschaft
Der Normannenpalast
Der Palazzo Reale mit der Cappella Palatina ist das größte, schönste und bedeutendste Kunstwerk, das die arabisch-normannische Kunst hervorgebracht hat, auch wenn er sich heute als malerisches Ensemble im Stil ganz unterschiedlicher Epochen präsentiert. Er entstand nach der normannischenen Eroberung Siziliens innerhalb der alten arabischen Zitadelle (qasr), nicht aber auf dem Baugrund eines Vorgängerbaus. Die Normannen wählten den Standort an der südöstlichen Ecke der Befestigungsmauern des qasr, weil man diesen Platz aufgrund der geographischen Lage (erhöht, auf einem Felsen) gut verteidigen konnte. Im Verlaufe mehrerer Jahrzehnte entstand ein unregelmäßiger Gebäudekomplex, der vier – durch starke Mauern verbundene – Türme und eine in der Mitte frei stehende Palastkapelle umfasste. (Als Namen der Türme sind uns Torre Pisana, La Gioaria, Torre Chirimbi und Torre Greca überliefert). Vom Aussehen dieses Palastes vermitteln einige – ungenaue – Zeichnungen aus dem Spätmittelalter nur eine unvollkommene Vorstellung. Die einschneidenden Baumaßnahmen in Renaissance und Barock, bei denen drei der vier Türme zu großen Teilen abgerissen, die Schlosskapelle im Innern des Komplexes eingebaut und an der Stadtseite ein dominanter barocker Flügel errichtet wurden, haben das mittelalterliche Aussehen außen fast völlig zum Verschwinden gebracht.
Dennoch bietet das Innere mit der perfekt erhaltenen Kapelle, den mittelalterlichen Prunkräumen (sog. Rogerzimmer) und einer Fülle von mittelalterlichen Sälen, Fortifikationen, Kellerräumen und Verließen noch eine erstaunliche Fülle von Resten der normannisch-arabischen Architektur. Nähert man sich dem Gebäude von der Piazza del Plebiscito her, so fällt als erstes ein hoher, mit den typisch normannisch-arabischen Blendarkaden versehener Turm auf, die ehemalige Torre Pisana, der einzige in voller Höhe erhaltene Bauteil des alten Normannenpalastes. Links daneben nimmt man einen niedrigeren Bauteil in gleicher Formensprache wahr, er enthält das sogenannte Rogerzimmer und muss deshalb ein Teil der Gioaria sein, in der sich nach alten Quellen die königlichen Gemächer befanden. Mehr Relikte aus dem Mittelalter bekommt man aus dieser Perspektive nicht zu sehen, geht man jedoch um den Komplex herum, oder, besser noch, hat man die Gelegenheit, die Kellerräume zu besichtigen, kommt man schnell zu der Erkenntnis, dass im Innern dieses Konglomerats von Bauteilen unterschiedlichster Epochen die Grundstrukturen des ursprünglichen Normannenpalastes noch erhalten sind.
Als Adolph Goldschmidt 1893 seine bahnbrechende Untersuchung der arabisch-normannischen Epoche in Palermo begann, begab er sich zuerst in die die Keller des Gebäudes um aus den erhaltenen Resten einen Plan der mittelalterlichen Struktur zu erstellen. Seine Erkenntnisse – verfeinert durch neueste Erkenntnisse – sind heute noch gültig. Demnach ist die Torre Pisana noch vollständig, daneben die Gioaria in den größten und wichtigsten Teilen und westlich dahinter die Torre Chirimbi außen bis zur Dachhöhe erhalten. Lediglich über die Lage der Torre Greca muss man mutmaßen, ob sie sich im Westen, bei dem großen Bollwerk mit den Kasematten oder im Südosten, dort wo jetzt der Neubaukomplex steht, befunden hatte. Direkt in der Mitte des Komplexes von befestigten Türmen erhob sich freistehend, auf zwei Etagen, die Palastkapelle. Ihr Baubeginn bedeutet auch den Beginn der arabo-byzantinisch-mitteleuropäischen Kunstform, die sich nur hier, in der Hauptstadt des neu geschaffenen normannischen Königreiches Sizilien entwickeln konnte. Rogers Krönung fand in der alten Kathedrale statt, einem bescheidenen, vor gerade einer Generation dem christlichen Ritus zurückgegebenen byzantinischen Gebäude, das über 100 Jahre als Moschee gedient hatte.
Die Palastkapelle
Nachdem die Herrschaft der Normannen durch die Krönung gefestigt war, ging es nun darum, das neue Königreich und seinen Herrscher als den übrigen europäischen Monarchien ebenbürtig darzustellen. Dazu wurden erstklassige Künstler aus dem nordafrikanisch-fatimidischen Raum und aus dem Kernbereich des byzantinischen Kaiserreichs angeworben. Zusammen mit den vom Herrscher mitgebrachten mitteleuropäischen Künstlern sollten sie eine neue Kunstform entwickeln, die das Beste der Kunst der hier zusammentreffenden Ethnien aufnehmen, gleichzeitig aber auch etwas völlig Neues und nie zuvor Dagewesenes schaffen sollte. Welcher Ort war für die Präsentation einer solchen Kunst besser geeignet als die königliche Schlosskapelle, in der der König als Staatsoberhaupt an sakralen Zeremonien teilnahm? Da die Kapelle gleichzeitig dem katholischen und orthodoxen Ritus diente, verschmolz sie in ihrem Grundriss den byzantinischen Zentralraum, der mit einer Kuppel überdeckt war, mit dem lateinischen Basilika-Raum. Die Verschiedenartigkeit der beiden Räume wird durch ihre deutliche Trennung voneinder akzentuiert: Der Basilikaraum endet in drei großen Bögen, das Sanktuarium mit der Zentralkuppel ist – auf höherem Niveau gelegen – durch einige Treppenstufen von ihm getrennt. Diese Kombination der Grundrisse bestimmt von nun an den Kirchenbau in Sizilien, lediglich in der Kathedrale von Cefalù (deren Baustil mehr der nordeuropäisch-normannischen Kunst verpflichtet ist) findet sich eine Ausnahme.
Auch bei der Ausschmückung des Inneren der Kapelle ließ der König Künstler der unterschiedlichen Kulturkreise wirken. Während die geschnitzte Holzdecke mit ihren muqarnas, persischen Malereien und arabischen Inschriften von islamischen Handwerkern gefertigt wurde, arbeiteten an der Ausschmückung des Gebäudes mit Mosaiken zunächst einmal ausschließlich byzantinische Werkleute. Sowohl die arabischen als auch die byzantinischen Werke präsentieren sich auf höchstem künstlerischem Niveau. Das legt den Schluss nahe, dass die Künstler direkt aus den Herkunftsländern ihrer Kultur kamen, an der Qualität der Kunstwerke gemessen, sogar aus den dortigen Kunstzentren, d. h. aus Kairo und Konstantinopel. Aus Sizilien selbst – oder dem übrigen Europa – können sie kaum gekommen sein, denn es fehlen jegliche Hinweise auf einheimische Vorläufer oder Vorbilder dieser Kunst, die ab 1140 schlagartig und höchst vollendet einsetzt. Von islamischer Architektur vor Roger ist auf Sizilien so gut wie nichts erhalten (abgesehen von den spärlichen Resten einer sehr schlichten Moschee in Segesta) und byzantinische Mosaiken tauchen erst nach Rogers Krönung in Sizilien auf.
Die Kapelle ist dreischiffig mit angesetztem byzantinischem Sanktuarium. Die drei Schiffe werden durch leicht spitzbogige Arkaden auf Granit- und Marmorsäulen unterteilt. Säulen wie auch Kapitelle sind wiederverwendete antike, der hohe ästhetische Anspruch wird dadurch deutlich, dass die Säulen, die wohl nicht einheitlich für den ganzen Raum beschaffbar waren, in Granit- und Marmorform abwechseln, ebenso wie die Kapitelle nach größtmöglicher Ähnlichkeit ausgesucht wurden. Die Verwendung des Spitzbogens geht nicht auf nordeuropäische Vorbilder zurück: die Bögen sind nur leicht angespitzt und ähneln mehr den nach 900 im islamischen Raum vorkommenden (z.B. in der Ibn-Tulun-Moschee in Kairo). Der gesamte Raum ist überreich dekoriert, das beginnt mit dem durch farbige Marmorinkrustationen bzw. Mosaiken verzierten Fußboden, setzt sich über die abwechselnden antiken Säulen mit vergoldeten Kapitellen und über die lückenlos mosaizierten Hochschiffwände fort bis zur rein arabischen Holzdecke. Griechische, lateinische und arabische Inschriften, verschlungene islamische Mosaikmuster, ein romanischer Osterleuchter, eine Krypta im selben Stil, ein orthodoxer Ambo nebst Kanzel und überall byzantinische Mosaiken – es entsteht ein überwältigender Eindruck der geglückten Verschmelzung der Kulturen.
Die Mosaiken und die Holzdecke
Die zwei bedeutendsten Kunstwerke der Kapelle, die byzantinischen Mosaiken und die arabische Holzdecke, verdienen, hier etwas genauer behandelt zu werden. Bei genauer Betrachtung des gesamten Mosaikzyklus fallen sofort deutliche Unterschiede auf: Im Sanktuarium finden sich vorwiegend Heiligenfiguren mit griechischen Inschriften, dabei dürfte es sich um die ältesten, von rein griechischen Werkleuten gefertigten Bilder handeln. Auf den Hochschiffwänden sieht man erzählende Darstellungen mit lateinischen Inschriften, sie schreibt man der Zeit von Rogers Sohn Wilhelm I. zu, wo bereits einheimische Künstler in der Mosaikkunst ausgebildet waren. Da sie offensichtlich von der Malerei herkamen, rücken sie vom streng-hierarchischen byzantinischen Stil mit den strikt vorgegebenen Posen und Physiognomien der Heiligen ab und erzählen biblische Geschichten mit bewegten Figuren. Zwischen all dem findet man immer wieder Darstellungen, die weniger Kunstfertigkeit zeigen oder stilistisch gar dem Barock nahestehen. Hier handelt es sich um das Ergebnis früherer Restaurierungen und Umbauten. Selbst dies zeigt den hohen Stellenwert der Cappella Palatina, nämlich, dass man sie zu allen Zeiten ihrer über 850-jährigen Geschichte immer wieder so restaurierte, dass der ursprüngliche Eindruck erhalten blieb.
Die überreiche Ausschmückung des Gebäudes mit Mosaiken liegt an der hohen Wertschätzung, die man dieser Kunst im byzantischen Reich entgegenbrachte: Da die Bilder aus Stein bestanden, waren sie gleichsam für die Ewigkeit gemacht und der goldene Hintergrund der Bilder hob alle Darstellungen auf eine göttliche Ebene. Auch war die Herstellung der Mosaiksteinchen teuer, dazu musste farbiges Gestein in kleine Würfel geschnitten oder Glasplättchen mit der für das Kunstwerk nötigen Farbe versehen werden. Die Zusammensetzung eines Mosaiks erforderte ein Team von gut ausgebildeten und aufeinander eingespielten Werkleuten. Die Mosaiksteine wurden in speziellen Werkstätten vorbereitet und dann zum Ausführungsort transportiert. Auf die zu mosaizierende Wand wurde eine erste Putzschicht für eine möglichst glatte und senkrechte Oberfläche aufgetragen. Darüber strich man dann zonenweise eine weitere, langsam abbindende Schicht, in die der Künstler mit großer Geschicklichkeit eine Skizze einritzte und gegebenenfalls auch Farben aufbrachte. Die spezielle Zusammensetzung dieses Mörtels blieb selbstverständlich geheim, dank seiner langsamen Aushärtung konnten anschließend auch die Mosaiksteine eingefügt werden, wobei der Meister ständig die von Helfern ausgeführten Details kontrollierte. Köpfe von Figuren wurden dagegen oft separat hergestellt und im Ganzen in das Werk eingefügt.
Rein byzantinische Mosaiken hatten ein festes Bildprogramm, auch das Aussehen der heiligen Personen war vorgeschrieben. So besaßen byzantinische Künstler einen Vorrat an Musterkartons, aus dem sie das Aussehen ihrer Figuren bezogen. Für eigenständige künstlerische Erfindung blieb in dieser Kunstrichtung wenig Raum, so dass der Mosaizist all seine Anstrengung in eine möglichst hochwertige, fehlerlose Ausführung der Bilder legte. Dies kann man in den Mosaiken der Cappella Palatina immer wieder nachvollziehen. Im Allgemeinen wurde in der Kuppel, die ja den Himmel repräsentierte, Christus in der Mitte und das himmlische Gefolge, kreisförmig angeordnete Erzengel, dargestellt. Im unteren Bereich befinden sich die (irdischen) Propheten, die die Ankunft des Retters angekündigt hatten. Eigentlich war die Halbkuppel der Mittelapsis der Platz für die Heilige Jungfrau, jedoch wurde dort Christus dargestellt, wenn die Kirche keine Kuppel hatte (Cefalu und Monreale). Im Sanktuarium waren Szenen aus dem Zwölf-Feste-Zyklus der byzantinischen Liturgie dargestellt.
Ganz in arabischem Stil ist die Holzdecke gehalten, die das gesamte Langschiff überwölbt. Die Wölbung entsteht durch geschnitzte, raffiniert zusammengesetzte muqarnas, so genannte Stalaktiten. Bedeckt ist sie mit arabischen qufi-Inschriften und erstaunlichen, eindeutig von islamischer Hand stammenden, Gemälden, wie man an der orientalischen Physiognomie der Dargestellten erkennen kann. Das bis auf wenige Ausnahmen im islamischen Kulturkreis gültige Bilderverbot wurde hier also vernachlässigt.
5 Das Castello di Maredolce (Favara)
Ursprung
Das Castello di Maredolce befindet sich östlich von Palermo, unweit der Küste, zu Füßen des Monte Grifone. Es ist eines der Lustschlösser der normannischen Könige in arabischem Stil. Sein Name leitet sich von dem künstlich angelegten – von den Quellen des Monte Grifone gespeisten – Süßwassersee ab, an dessen Ufer es gelegen war. Es geht höchst wahrscheinlich auf ein Schloss oder eine Befestigungsanlage des arabischen Emirs Giafar zurück, das in mittelalterlichen Quellen erwähnt wird und dessen Name fawwarah (ital. Favara) = Quelle sich wohl auf die das normannische Wasserbecken speisenden Wasserläufe bezieht. Nach neuesten Erkenntnissen ist das Mauerwerk des arabischen Bauwerks (eines qasr, wie solche Wehranlagen auf arabisch heißen) in den unteren Lagen des heutigen Maredolce erhalten, erkennbar an den deutlich größeren Quadern.
Das große Wasserbecken sowie das heutige Erscheinungsbild des Schlosses – so arabisch es auch aussehen mag – stammen jedoch definitiv aus der Zeit des normannischen Königs Roger II. und seiner Nachfolger. Romuald von Salerno (1115 – 1181) schreibt dazu: „Im Jahr 1153 … ließ König Roger (…) an dem Platz, der Fabara genannt wird, nachdem er viel Erde ausgehoben …, ein schönes vivarium (= Behälter für Lebendiges) anlegen, in welchem er Fische verschiedener Arten, die aus unterschiedlichen Gebieten geholt worden waren, aussetzte. Er ließ auch neben eben diesem Fischteich einen recht schönen und ins Auge fallenden Palast errichten.“
Die Anlage
Das Castello di Maredolce ist ein höchst interessantes Beispiel für die Verschmelzung von arabischen, byzantischen und romanischen Elementen. Das Schloss war auf drei Seiten von dem oben erwähnten See umgeben und richtete seine Fassade auf den aus Palermo ankommenden Besucher aus. Das Gebäude ist zweigeschossig angelegt, lediglich die an der Fassade liegenden Räumlichkeiten (Kapelle und Staatsräume) umfassen beide Geschosse. Die Fassade ist mit den – für die normannische Architektur in Sizilien typischen – geschossübergreifenden Blendarkaden geschmückt, in denen sich kleine, spitzbogige Fenster befinden.
Die Blendarkaden überziehen das Mauerwerk nicht gleichmäßig, sondern beziehen sich auf die dahinter liegenden Räume. Die Kapelle ist durch eine kleine, mit orientalischen Dekorationselementen verzierte Kuppel deutlich zu erkennen. Im Innern zeigt sie sich als einschiffiger Raum, an den – von einem Spitzbogen abgeteilt – das Presbyterium angefügt ist. Dieses ist wie ein byzantinischer Zentralraum gehalten und mit der erwähnten Kuppel bedeckt.
Von der Eingangsseite gesehen, schließt sich rechts an die Kapelle ein 12m langer, großer überwölbter Raum an, der unschwer als Vestibül auszumachen ist. Nach außen öffnet er sich in einem großen Portal, zur Kapelle hin gibt es einen Durchgang. Über dem Durchgang zur Kapelle sieht man eine eigentümliche Faltkuppel (persischer Art). Rechtwinklig vom Vestibül abgehend befindet sich ein weiterer großer, mit einem Kreuzgewölbe überspannter Raum. Aus der Tatsache, dass dieser Raum eine durch zwei eingestellte Säulen akzentuierte und mit einem (niedrigeren) Tonnengewölbe versehene Nische besitzt, kann man schließen, dass es sich hierbei um den Thronsaal handelt. Auf der Rückseite der Nische befinden sich drei der in diesem Schloss so raren Schmuckelemente aus Stuck.
Links von der Kapelle liegt die mit einem großen Spitzbogen überspannte Einfahrt in den Innenhof des Schlosses.
Wie aus spärlich erhaltenen Resten ersichtlich, befand sich im Innenhof eine Art Kreuzgang mit Gewölben, die sich auf dem Mauerwerk des zweiten Geschosses noch teilweise abzeichnen. Vom Kreuzgang gehen die übrigen Räume des Schlosses ab – kleine kreuzgewölbte Kammern, deren Funktion man nicht mehr erkennen kann. Lediglich der in der Südostecke befindliche große Raum mit großem, doppelbogigem (jetzt vermauertem) Seitenfenster und einem zum See führenden Portal lässt sich vielleicht als Sommersalon deuten. (s. u.).
Um drei Flügel der Favara zog sich der erwähnte Fischteich herum, nur die nach Palermo gewandte Seite mit Kapelle und Empfangssaal blieb landfest. Das wird durch den ca. 2 m hohen Sockel aus besonders großen Quadern deutlich, auf dem das Schloss auf den Seeseiten steht. Der Teich ist auch an den noch zugeschütteten Teilen durch den gemauerten Rand, der mit wasserabstoßendem Mörtel bedeckt ist, gut erkennbar. Im Teich befand sich eine große dreieckige Insel (in der Form Siziliens), die an der Ecke des Sommersalons nahe an das Schloss heranreichte. Vom Salon aus – er besitzt eine große Türöffnung zur Wasserseite – konnte man vermutlich ein Boot besteigen, um zur Insel überzusetzen oder eine Lustfahrt zu unternehmen. Die Form der Türöffnung deutet darauf hin, dass man evtl. eine Zugbrücke zum Wasser niederlassen konnte.
Wechselhaftes Geschick
Unter den Normannen und Staufern blieb das Schloss königlicher Sommersitz, bis es König Friedrich III. von Aragòn im Jahre 1328 den Rittern des Deutschen Ordens überließ. Das geschah im Austausch gegen einen Teil des Gartens der Magione (wo sich Kirche und Sitz des Ordens in Palermo befanden). Die Ordensritter wandelten das Gebäude in ein Hospital um und passten es den Krankenhausbedürfnissen an. Zur gleichen Zeit diente das Becken des Maredolce wegen seines Wasserreichtums dem Anbau von Zuckerrohr.
Nach 1460 vergab der spanische Vizekönig den Palast in Erbpacht an die Familie Bologna, denen er bis zum Ende des XVI. Jh. gehörte. In der Zwischenzeit zu einem reinen Landwirtschaftbetrieb geworden, ging der Komplex im XVII. Jh. an den Herzog von Castelluccio als neuem Eigentümer über (mit der Familie Lo Giudice als Mitbesitzer). Da die Gebäude weiterhin ausschließlich für landwirtschaftliche Zwecke genutzt wurden, ließ der Herzog durch den Architekten Cadorna zweckdienliche Umbaumaßnahmen durchführen. Der Teich des Maredolce, in der Zwischenzeit zu einem mückenverseuchten Sumpfgebiet verkommen, wurde zugeschüttet und komplett als Zitrusplantage genutzt.
Nachdem das jahrzehntelang vernachlässigte Gelände von den alten Besitzern verlassen worden war (es wurde zu dieser Zeit castellaccio = Schlossruine genannt) teilten es die neuen privaten Besitzer in viele kleine, ärmliche Wohnungen auf. Aufgrund der Untersuchungen von Goldschmidt wurde im Jahre 1913 der kunsthistorische Wert der Favara und des Parks von Maredolce erkannt. Aber erst in den 40er Jahren erfolgten unter Mario Guiotto erste Restaurierungs- und Konsolidierungsmaßnahmen an der Kapelle; der Rest des Komplexes blieb vernachlässigt.
Ausblick
Nach dem Beschluss zur Enteignung und Überführung des Gebäudes in Staatseigentum betraute man die staatliche Altertümerverwaltung (soprintendenza beni culturali artistici) mit der Restaurierung, jedoch zog sich allein der Prozess der Enteignung bis 1992 hin. Wieder einige Jahre später wurden die nötigen Restaurierungsarbeiten zur Wiedergewinnung eines großen Teils des Schlossareals angeschoben, aber bis heute noch nicht beendet. Z. B. ist das Gelände des Maredolce teilweise noch von der Zitrusplantage bedeckt, was verhindert, dass man das ganze Ausmaß des Fischteiches erkennt. Auch das Schloss präsentiert sich noch in einem unvollendeten Zustand, da man bisher erst die Außenmauern restauriert hat und große Teile des Innenbereichs in dem bisherigen Zustand starker Vernachlässigung belassen hat. Eingezwängt in die Wohnquartiere des palermitanischen Bezirks Brancaccio liegt das Schloss im Zauberschlaf und ist in der Stadt weitgehend unbekannt, obwohl es von den Kiezbewohnern liebevoll „u casteddu“ (das Schlösschen) genannt wird.
Noch immer ist die Fassade durch ein Lager für Propangasflaschen teilweise verdeckt, auf der rechten Seite kann man um die Anlage herumgehen und läuft dabei innerhalb des ehemaligen Wasserbeckens. Die Seitenfassade ist niedriger als der vordere Teil und weist im Erdgeschoss große quadratische Fenster, im Obergeschoss mit einem Blendbogen eigefasste kleine Rechteckfenster auf. Biegt man von der Seitenfassade zur Rückfassade ab, sieht man an der Ecke das oben erwähnte große Rundbogenportal, von dem aus die Lustschiffe bestiegen wurden.
Die weitergehenden Planungen für das Castello di Maredolce sehen die vollständige Restaurierung des Innern und die Neuanlage des künstlichen Sees vor. Vielleicht wird ja das eher trostlose Vorstadtviertel Brancaccio durch die Anlage eines Parks aufgewertet, in den man auch die aus normannischer Zeit noch erhaltene dreibogige Quelleinfassung der fawwarah einbeziehen könnte, die am Berghang liegt, jenseits der Autobahn, die das Gelände durchschneidet. Dadurch wäre ein einmaliges und unvergleichliches Kleinod mittelalterlicher Baukunst wiedergewonnen, das von der Verschmelzung unterschiedlicher Kulturen, wie sie nur an diesem Orte so stattfinden konnte, kündet. Es würde wieder an den von den Normannen geschaffenen Park „Genoard“ ((arab. jannat al-ard = irdisches Paradies) anknüpfen und auch die Verse von Abd al Rahman al-Itrabanishi, dem arabischen Sekretär Rogers II. könnte man wieder nachvollziehen:
„Favara am doppelten See, du vereinigst in dir alle Wünsche,
den lieblichen Anblick und die wundervolle Aussicht.
Deine Wasser teilen sich in neun Läufe, o herrliche verzweigte Ströme!
Wo deine beiden Seen sich treffen, dort lagert die Liebe,
und an deinem Kanal schlägt die Leidenschaft ihre Zelte auf.
0 herrlicher See, an dem die beiden Palmen stehen,
und königliche Herberge, vom See umgeben!
Das klare Wasser der beiden Quellen gleicht flüssigen Perlen …
Die Orangen auf der kleinen Insel sind glühendes Feuer auf smaragdenen Zweigen.
Die Zitrone hat die Blässe eines Liebhabers,
der sich die Nacht über vor Sehnsucht verzehrt hat,
und die beiden Palmen scheinen zwei Liebende,
die sich aus Furcht vor dem Feind eine feste Burg errichtet haben …“
6 Das Castello dell’Uscibene (Scibene)
Die Suche nach Al-Menani
Adolph Goldschmidt ordnete bei seiner Untersuchung der normannischen Königspaläste den 2 km südwestlich der Porta Nuova gelegenen Gebäudekomplex, der damals den Namen Sibè oder Sirbene trug, dem Schloss Rogers II., Al-Menani, zu. In der Literatur wird dieser Name jedoch nur einmal erwähnt und taucht auch als Bezeichnung für ein Grundstück oder ein Gebäude des arabisch-normannischen Stils nirgendwo in Palermo wieder auf. Daher wird sich nicht schlüssig beweisen lassen, dass das Castello dell’Uscibene (oder Scibene, wie es heute heißt) mit Al-Menani identisch ist. Schließlich ist der Name Uscibene – schon Jahrhunderte im Gebrauch – ebenfalls arabischen Ursprungs (er bedeutet sinngemäß etwa: Palast oder Wohnsitz, Ort der Ruhe und der Stille). Womit Goldschmidt aber absolut richtig lag, war die Zuordnung des Gebäudes zu der Gruppe von Palästen, die ab der Zeit Rogers II. unter Verwendung des normannisch-arabischen Stils entstanden.
Die Baulichkeiten
Was Goldschmidt noch vorfand, war ein aus drei Bauteilen bestehendes zweistöckiges Gebäude, nach Osten (zum Meer hin) ausgerichtet, dessen Mittelteil sich in einem großen Spitzbogen nach außen hin öffnete. Der Raum hinter dem Spitzbogen war eine aus drei Nischen bestehende Quellgrotte (s.u.) die von zwei quadratischen Räumen flankiert war und hinter der ein unregelmäßig geformter Gang verlief. Auf der rechten Seite lag ein verfallener Trakt mit zwei Wohnräumen, dessen Dekorationen in spätnormannische Zeit weisen und der gegenüber dem Mittelbau etwas zurückgesetzt ist. Auf der linken Seite, quer zum Mitteltrakt stehend und vorspringend, lag ein tonnengewölbter Raum mit einem Brunnen, den Goldschmidt als Baderaum identifizierte.
Im zweiten Geschoss dieses Komplexes – etwas hinter der Quellgrotte – stand die Palastkapelle, die als einzig sichtbarer Bauteil auch heute noch erkennbar ist, durch Trümmeraufschüttung heute allerdings auf Erdgeschossniveau. Auf diesem Niveau sah Goldschmidt 1893 noch weitere Mauerreste, die heute allesamt verschwunden sind.
Die Quellgrotte war ein quadratischer Raum mit drei Nischen, die beiden seitlichen mit persischen Faltkuppeln, die mittlere, die eigentliche Quellgrotte, mit einer Ausflussöffnung in der Wand und einer mit (beschädigten) Stuckmuqarnas ausgekleideten Spitztonne. In die vorderen Ecken der drei Nischen waren jeweils kleine Säulen eingestellt (heute verschwunden). Glücklicherweise gibt es von diesem, vollständig der islamischen Architektur entlehnten Raumtypus noch zwei weitere (und obendrein gut erhaltene) Beispiele: die Quellgrotte der Zisa und der 3-Nischen-Saal in dem (heute in Privatbesitz befindlichen und deshalb nur wenig bekannten) normannischen Königsschloss von Caronia, Provinz Messina. Die arabische Anmutung der Quellgrotte bewog Goldschmidt, eine Entstehung in arabischer Zeit nicht auszuschließen, was wir heute – aufgrund des völligen Fehlens von Bauten aus arabischer Zeit in Palermo – nicht aufrechthalten können. Obendrein stammt der, diesem so ähnlich sehende 3-Nischen-Saal im Schloss von Caronia ebenfalls aus der Zeit Rogers II.
Erzbischöfliche Residenz
Der Uscibene wurde vom königlichen “Solatium” (Lustschloss) zur Bischofsresidenz, nachdem ihn König Wilhelm II. 1177 inclusive der umgebenden Ländereien dem Bischof von Palermo übergeben hatte. Die Neugründung des Bistums Monreale und die Ausstattung desselben mit palermitanischem Kirchenbesitz hatte Bischof Walter von Palermo erheblich verärgert und die Übergabe des Uscibene sollte die Kirche von Palermo für einen Teil der Verluste entschädigen.
Teilweise wurde diese Donation 1211 von Friedrich II. noch einmal bestätigt. Offenbar blieb das Grundstück auch in den folgenden Jahrhunderten noch in Kirchenbesitz, wenn auch der Palast durch Umnutzung und Verfall zu großen Teilen verschwand. 1651 finden wir in dem Buch von Giordano Cascini über die hl. Rosalia noch den Hinweis, dass der Fischteich des Palastes noch vorhanden war: „außer der Zisa … gibt es noch einen anderen Palast mit seinem ebenfalls kleinen Fischteich, in der selben Richtung gelegen, genannt Scibé“.
Der geistliche Gelehrte Antonino Mongitore, der in der Barockzeit viele im Umland Palermos liegende Monumente nach Jahrhunderten der Vergessenheit wiederentdeckte, schreibt in einem Bericht über die “Kirche der Madonna dello Scibene”: „Im Park, der Scibene heißt, früher dem Erzbischof von Palermo gehörig und jetzt (1726) dem Collegio della Compagnia di Gesù, sieht man ein Kirchlein der Hl. Jungfrau, in der man am 8. September feiert” “… „Das Mauerwerk der Kirche ist sehr alt und scheint aus der Zeit der Sarazenen zu stammen, vielleicht wurde es nach seiner Fertigstellung zu einer Kirche umgebaut”. “… „Die gleiche Altertümlichkeit zeigen auch ein Turm, einige nahe gelegene Zimmer und unterirdische Bäder, die ich dort 1701 gesehen habe …”
Verfall
Vom Kirchenbesitz gingen die Reste des Palastes in private Hände über, was zur Folge hatte, dass durch ruinöse Eingriffe während vieler Jahre totaler Vernachlässigung und schuldhafte Zerstörung durch unvernünftige Baupolitik heute von dem Palast nichts mehr erkennbar ist. Der einzige noch sichtbare Bauteil ist die Kapelle, in strengen Konstruktionsformen, einfach und ohne dekorativen Schmuck. Das einzige Verzierungsmotiv sind die Blendarkaden, die wie an allen Monumenten der normannischen Epoche, zur Belebung der Mauerflächen dienen und der große Bogen als Eingangsprospekt. Heute wird sie als Lager für landwirtschaftliche Geräte und Hausrat genutzt.
Der unterirdische „Quellensaal“ (oder was von ihm noch übrig ist) wird als Waschplatz genutzt, die anderen Bauteile sind verschüttet oder voll von Müll jeder Art. Der Fischteich konnte nur mit Schwierigkeiten – unter genauester Erkundung der Örtlichkeit – identifiziert werden; möglicherweise war er in verschiedenen, abgestuften Terrassen konzipiert, die das abfallende Gelände vom „Schloss“ bis auf die Ebene ausglichen.
2006 bekundete das zuständige „Assessorato della Regione Siciliana“ die Absicht, das, was von dem Monument noch übrig ist, zu enteignen – für einen Betrag von 270 000 € – und mit der Restaurierung zu beginnen. Bis heute sind von all dem nur gute Absichten geblieben, sonst nichts.
7 La Zisa
Die Prächtige
Die Zisa ist nach dem Normannenpalast der größte der normannischen Palastbauten. Sie blieb bis weit in das 19. Jh. bewohnt und hat sowohl im Innern als auch außen viel vom Erscheinungsbild der Entstehungszeit bewahrt. Das Gebäude ist ein rechteckiger Block von 36,40 m Länge und 19,60 m Breite, bei einer Höhe von 25 m. Auf den beiden Schmalseiten befinden sich zwei schmale Anbauten (Risalite), die sich bis zum Dach heraufziehen und die von zwei Türmchen gekrönt sind. Im Innern sind sie leer und dienen der Klimatisierung des Gebäudes. Die beiden Obergeschosse sind außen durch die üblichen Blendarkaden gegliedert, zwischen dem ersten und zweiten Obergeschoss verläuft ein die Horizontale betonendes Gesims. Das Erdgeschoss enthält an der Fassade nur drei große spitzbogige Öffnungen, wobei die mittlere höher ist und in das erste Obergeschoss hinein reicht. Alle drei Portale besaßen die für die normannisch-arabische Architektur typischen, in die Ecken eingestellten Säulen, wovon nur noch diejenigen des Mittelportals erhalten sind. Dieses Portal hat als einziges einen Unterzug aus verschiedenfarbigen Steinen, was den orientalischen Charakter des Gebäudes unterstreicht. Die schmalen, in den größeren Räumen doppelbogigen Fenster wurden bei den späteren Umbauten durch rechteckige ersetzt und auch bei der Restaurierung so belassen. Lediglich im zweiten Obergeschoss befinden sich rechts und links des Mittelfensters noch zwei Originalfenster. Das Obergeschoss wird von einem Zinnenkranz gekrönt, der im Spätmittelalter in einen arabischen Fries mit kufischen Lettern, wie er teilweise noch an der Cuba erhalten ist, hineingebrochen wurde. Wie dort stand in dem Fries der Name des Erbauers, im Falle der Zisa wohl Wilhelms I., der mit diesem Bau sicherlich die Schlossbauten seines Vaters Roger übertreffen wollte.
Begibt man sich zum großen Portal, so sieht man, dass sich in der Mitte des Erdgeschosses, jenseits einer schmalen Vorhalle, die in unterschiedlicher Höhe die gesamte Breite des Schlosses durchmisst, eine große Quellgrotte befindet. Ähnlich der Anlage im Castello dell’Uscibene – nur viel größer – besteht sie aus drei Nischen, aus deren mittlerer das Wasser über eine kleine treppenförmige Kaskade – über der ein Adler in Mosaik eingelegt ist – herausfließt und über einen durch den Raum verlaufenden offenen Kanal nach draußen geleitet wird, wo sich direkt vor dem Portal ein Teich befand. Dieser ist nicht mehr vorhanden, aber in seinen Grundmauern noch erkennbar, genauso wie ein rechteckiger Kiosk in seiner Mitte. Die rechteckigen Nischen der Quellgrotte sind von muqarnas überwölbt, in die Ecken sind wieder kleine Säulchen eingestellt. Oberhalb der Quellöffnung und unterhalb der muqarnas ist ein breites Mosaikband angebracht, auf dem man, umschlungen von Ornamenten, drei Medaillons sieht, die rechts und links je zwei Pfauen unter einer Dattelpalme und in der Mitte zwei Jäger unter einem (stilisierten) Ölbaum zeigen. Das Mosaik setzt sich als schmales Ornamentband nach rechts und links auch über die anderen Nischen fort. Am korbbogigen Eingang zur Grotte ist anstelle des Ornamentbandes ein Stuckfries angebracht. Dieser Fries besteht aus einem mit Blattwerk verzierten arabischen Schriftband zwischen je zwei sich umwindenden Stricken, bekrönt von einer Reihe aufrecht stehender Blätter und flankierte den Korbbogen auf beiden Seiten. Leider wurde bei dem barocken Umbau der der obere Teil zerstört und durch Malerei ersetzt. Den Anfang und das Ende der Verse, soweit erhalten, hat Amari übersetzt, in ihnen wird in begeisterten Worten der Palast und der König, Wilhelm II. gepriesen.
Auf deutsch übersetzt lautet die Inschrift:
„So oft du willst, sieh das Besitztum hier,
das schönste des herrlichsten Königreichs der Welt,
das Meer und das beherrschende Gebirge,
dessen Gipfel von Narzissen gefärbt ist.
Du wirst den großen König des Jahrhunderts sehen
im schönen Wohnsitz,
ihm ziemt die Pracht, ihm ziemt die Freude,
hier ist das irdische Paradies, das sich den Blicken öffnet,
Hier ist der Mostaisz* und dies das Schloss El Aziz.“
*“Mostaisz“ („der nach Herrlichkeit Strebende“) ist nach Amari der Titel Wilhelms II. Der Verweis auf Wilhelm II. muss nicht irritieren, denn der Erbauer der Zisa, Wilhelm I. starb kurz nach Vollendung des Palastes.
Das Ganze wirkt ausgesprochen arabisch – von den Goldmosaiken einmal abgesehen – als eine Anlage, die in einem sehr heißen Klima Schatten, Kühle und Erfrischung bringen sollte. Diesem Zweck ordnen sich auch die anderen Räume des Erdgeschosses unter, mit nur kleinen Fensterschlitzen und dicken Mauern. Beim Durchschreiten des Erdgeschosses sieht man bereits, dass das gesamte Gebäude streng achsensymmetrisch gehalten ist, eine Tatsache, die bei der Rekonstruktion des ursprünglichen Zustands sehr hilfreich war, denn man konnte einen original erhaltenen Befund problemlos auf die andere Seite übertragen. Über die Treppensituation des mittelalterlichen Gebäudes wissen wir nichts, da die späteren Treppeneinbauten den Originalbefund verwischt haben. Deshalb hat man bei der Rekonstruktion und dem Rückbau der barocken Treppen schlichte Eisentreppen eingezogen, über die man die Obergeschosse erreicht.
Die weiteren Räume im Erdgeschoss und auch in den Obergeschossen sind auf beiden Seiten des zentralen Saals angeordnet. Im ersten Obergeschoss sind die beiden Seiten über einen schmalen Gang an der Rückseite des Gebäudes miteinander verbunden, da auf der Vorderseite der in das Obergeschoss hineinragende mittlere Portalbogen einen Durchgang und auch die Anlage eines zentralen Saals verhindert. Im zweiten Obergeschoss befindet sich, direkt in der Mitte, identisch mit den Maßen des Quellensaals im Erdgeschoss, wiederum ein großer Saal. Da dessen Fußboden zur Mitte hin geneigt ist, wird angenommen, dass er früher oben offen war und hier das Regenwasser eingefangen wurde. (Sog. Impluvium). In vielen Räumen der Obergeschosse existieren unterschiedlich ausgebildete Gewölbe mit muqarnas.
Die Kapelle der Zisa ist nicht in das Gebäude integriert, sondern liegt in nördlicher Richtung etwa 30 m daneben. Sie war mit dem Schloss über eine Flucht kreuzgewölbter Zimmer verbunden, auf deren Dach eine Terrasse angelegt war, über die man sie erreichen konnte. Direkt neben der Kapelle sind davon noch einige Räume erhalten, an der Zisa sind sie abgebrochen, so dass diese heute allseitig frei steht. 1803 errichtete man direkt neben der Kapelle die Chiesa di Gesù, Maria e Santo Stefano und integrierte die Zisakapelle als Sakristei. In den 1950er Jahre, als die Zisa leerstand, diente diese Kirche als Kino und die Kapelle als Baumateriallager. Die großen Restaurierungsarbeiten der Zisa erstreckten sich auch auf die Kapelle und brachten ihre alte Schönheit zurück. Wie die Kapelle der Favara ist sie einschiffig, mit abgetrenntem Sanktuarium in Form eines byzantinischen Zentralraums und der Besonderheit, dass die beiden Kreuzarme mit arabischen muqarnas überwölbt sind.
Privatisierung
Auch nach der Normannenzeit blieb die Zisa Besitz der Könige und diente als zeitweilige Residenz. Kaiser Friedrich II. bezeichnete sie beispielsweise als „palatium nostrum.“ Auch von Karl von Anjou wurde sie 1278 noch unter seinen Schlössern erwähnt. Unter den Herrschern von Aragòn begann die Vergabe des Gebäudes an Höflinge, darunter um 1450 an Antonio Beccadelli, aufgrund seiner Herkunft aus Palermo auch Panormita genannt, einen berühmten italienischen Humanisten und Hofpoeten Alfons des Großmütigen von Aragòn. 1489 wurde Vizekönig Fernando Acuña als Bewohner in den Akten erwähnt. Der Bolognese Fra Leandro Alberti besuchte den Palast im folgenden Jahrhundert und beschrieb ihn aufs Genaueste in seinem Buch „lsole appartenenti alla Italia“, das er 1567 zuerst drucken ließ. Diese Beschreibung ist heute von großem Wert, denn sie erfolgte vor den tiefgreifenden Umbauten in der Zeit des Barock. Alberti sah den Quellenraum, den Teich und den darin stehenden Kiosk noch unbeschädigt. Die Rekonstruktion zum jetzigen Zustand wäre ohne sein Werk gar nicht möglich gewesen.
Im Jahre 1636 wurde die Zisa Eigentum der spanischen Familie de Sandoval, die erhebliche Umbauten vornehmen ließ und deren Wappen immer noch über dem mittleren Bogen der Fassade prangt. Im Nordteil des Gebäudes wurde ein voluminöses barockes Treppenhaus eingebaut, für dessen Konstruktion man wichtige tragende Wände entfernte. Auf dem Dach schloss man die offenen Räume und errichtete auf der Dachterrasse ein zusätzliches Geschoss. Im 19. Jh. ging der Palast an die wohlhabende palermitanische Familie Notarbartolo, die das Gebäude in einzelne Wohnungen aufteilte und vermietete. Dies beschleunigte die Abnutzung und den Verfall erheblich. Allmählich entwickelte sich ein Bewusstsein für den kulturhistorischen Wert der Anlage und der Staat betrieb die Enteignung der Besitzer zum Zwecke der Restaurierung. Dennoch war das Gebäude bis 1951 bewohnt und stand dann nach dem Enteignungsverfahren leer. Die Restaurierung verlief äußerst schleppend, erst durch den Einsturz des barocken Treppenhauses 1971, bei dem auch große Teile des mittelalterlichen Mauerwerks verloren gingen, wurde die Öffentlichkeit wach gerüttelt. In der Ägide des Bürgermeisters Leoluca Orlando, der europaweit durch seinen Kampf gegen die Mafia bekannt wurde, forcierte man die Restaurierung und entfernte fast alle nachmittelalterlichen Einbauten. 1991 konnte endlich die Eröffnung als Museum für islamische Kunst erfolgen.
Mittlerweile hat man auch die früher trostlose Umgebung der Zisa saniert und einen islamischen Park mit Wasserläufen davor angelegt, bei dem allerdings etwas zuviel Beton verbaut wurde. Durch die sehr gelungene Restaurierung der Zisa wurde ein unschätzbar wertvolles Kulturgut wiedergewonnen, leider ist die Bedeutung noch nicht genügend an die Öffentlichkeit gedrungen, denn die Besucherzahlen halten sich in engen Grenzen.
8 La Cuba
Der Corso Calatafimi, Palermos längste Straße, verbindet die Stadt mit Monreale. 500 Meter hinter der Porta Nuova befindet sich auf der linken Seite ein ausgedehntes Polizei-Kasernengelände. Fuhr man früher mit dem Monrealebus hier vorbei, sah man über der Kasernenmauer kurz ein hohes normannisches Gebäude mit den typischen gestuften Blendarkaden aufragen. Das Gebäude gab zwar dem umliegenden Stadtviertel seinen Namen Cuba, blieb aber Jahrzehnte lang für Besucher unzugänglich. Begehrte man an dem nahe gelegenen Tor Einlass, wurde man von einem Uniformierten schroff abgewiesen. Erst mit der Aufnahme der normannischen Bauten Palermos ins UNESCO-Welterbe kann jeder das besagte Tor passieren und befindet sich dann auf einem trostlosen, betonierten Kasernenhof, auf dem sich das Gebäude erhebt. Der Gegensatz zum Ambiente, in dem sich die Cuba zur Erbauungszeit befand, ist größer nicht denkbar. Vor den Toren der Stadt lag ja damals der von den Normannenherrschern angelegte Park Genoard, zu deutsch Paradies, mit Fischteichen, Tiergehegen, gestalteter Natur und einer Kette von Lustschlössern.
Das Schloss
La Cuba, erbaut von Wilhelm II. im Jahr 1180, war eines davon, inmitten eines künstlich angelegten Wasserbeckens gelegen, dessen Tiefe noch an den massiven Quadern ablesbar ist, auf denen das Gebäude steht sowie an der Höhe seines Eingangs über dem Boden. Es ist eines der letzten Bauwerke der normannischen Epoche, ein rechteckiges Gebäude von 31,15 m Länge und 16,80 m Breite. In der Mitte jeder Seite ragen vier Risalite hervor, die aber nicht, wie bei der Zisa, mit Türmchen gekrönt sind. An der nördlichen Schmalseite befand sich der einzige Zugang vom Festland aus, da das Gebäude nur an dieser Stelle nahe genug am Ufer stand, so dass man es über eine Brücke betreten konnte. Heute ist der künstliche See verschwunden und hat sich in einen Kasernenhof verwandelt. Die Außenwände des Gebäudes sind mit spitzbogigen Blendarkaden geschmückt und signalisieren eine Mehrstöckigkeit, die im Innern kaum eine Entsprechung findet. Große Doppelfenster öffnen sich im unteren Bereich der Cuba.
Am Dachgesims befindet sich, wie bei La Zisa eine umlaufende arabische Inschrift in kufischen Lettern. Sie ist jetzt stark beschädigt, auch teilweise zerstört, konnte aber zu Zeiten des sizilianischen Historikers und Orientalisten Michele Amari (1806 – 1889) in großen Teilen noch gelesen werden. Darin ist auf Arabisch der Name von Wilhelm II. zu lesen, die Jahreszahl 1180 und der Beiname „al-Musta’izz“, das heißt „der nach Herrlichkeit Strebende“.
„(Im Namen Allahs) des gnädigen Barmherzigen.
Verweile, halte still und staune! Du wirst erschaun das herrliche Gemach
Des herrlichsten der Könige der Erde, Wilhelms II.,
Nicht gibt’s ein Schloss, das seiner würdig sei
und nicht genügen die Säle …
Allah sei gelobt in Ewigkeit und möge Er ihn in Fülle erhalten
und ihm sein ganzes Leben lang Nutzen bringen.“
Wie bei La Zisa bekommen wir durch die Inschrift wieder einen Beleg dafür, dass der Initiator dieses arabischen Gebäudes der normannische König gewesen ist, in diesem Falle Wilhelm II., zur Spätzeit der normannischen Herrschaft auf Sizilien. Die fremdartige islamische Kunst wird – wie schon bei Roger II. – bewusst eingesetzt um den Anspruch zu unterstreichen, der „herrlichste der Könige der Erde“ zu sein.
Inneres
Durch den ersten Blick ins Innere wird klar, dass es sich bei der Cuba um kein Wohnschloss handeln kann, hat es doch viel zu wenige nutzbare Räume – im Prinzip nur drei, den Saal in der Mitte und je einen an den Schmalseiten, wo sich der Bereich für den Service befand. Es war eher ein großer Pavillon, in dem sich der König tagsüber aufhielt, Festen und Zeremonien beiwohnte, sich ausruhte und an schwülen Sommertagen die Kühle genoss. Die Mitte des Gebäudes nimmt ein einziger großer Saal ein, heute schaut man von hier in den freien Himmel. Zur Zeit der Normannen wird er wohl von einer Kuppel überspannt gewesen sein, worauf nicht zuletzt der Name des Gebäudes verweist, denn qubba steht im Arabischen für Kuppel. Allerdings befindet sich im Boden des Saals ein Impluvium in Form eines achtzackigen Sterns, das offensichtlich als von Regenwasser gespeistes Brunnenbecken diente, weshalb man sich hier auch einen oben offenen Gartensaal vorstellen könnte. Aber es spricht doch mehr dafür, dass die Cuba zum Aufenthalt während der Sommerhitze gedacht war, wo man den Schatten bevorzugte und das Wasserbecken Kühle sowie die Biforen Luftzug in das Gebäude brachten.
Die wechselhafte Geschichte hat vom Originalbestand des Gebäudes wenig übrig gelassen, Reste von Muqarnas, teppichartige Wandmuster und sich überkreuzende geometrische Linien, alles aus dem Formenkanon der islamischen Kunst. Im dreizehnten Jahrhundert ging die Cuba an das Haus Anjou über und später an Peter von Aragon und seit dem Jahre 1320 in den Besitz von Privatleuten. Um 1350 muss ihr Bekanntheitsgrad in Italien aber noch so groß gewesen sein, dass sie in Boccaccios Decamerone in der sechsten Novelle des fünften Tages als der Ort diente, an dem der Aragonier Friedrich II. seine Geliebte Restituta verbarg. Während der Pest von 1575/76 nutzte man sie als Lazarett und das blieb so bis 1626. Ab 1646 nahm der Komplex eine Kompanie burgundischer Söldner auf, die während der spanischen Herrschaft als Leibgarde der Vizekönige dienten.
Die militärische Nutzung zog sich bis 1921 hin, dann wurde die Cuba vom Kriegsministerium an das Unterrichtsministerium verkauft. Es kamen Pläne auf, das Schloss „in seiner früheren Pracht“ wiederherzustellen und man begann mit dem Abriss aller späteren Veränderungen. Bedingt durch finanzielle Zwänge kam man aber nicht bis zur Restaurierung der dekorativen Elemente im Innern und der Außenhülle. 1936 wurden die Arbeiten abgebrochen und die Baustelle unvollendet liegen gelassen. Über fünfzig Jahre lang verblieb die Cuba in Vergessenheit und fand aufgrund ihrer Lage innerhalb der Polizeikaserne keine adäquate Nutzung. Erst Ende der 1980er Jahre führte das erneut aufkommende Interesse an der einmaligen sizilianischen Architektur des Mittelalters und der Wunsch, ein drohendes ruinöses Ende des Gebäudes abzuwenden, wie es 1971 beim Einsturz der Zisa vorgekommen war, zum Beginn einer langen Kampagne von Studien, Materialanalysen und Konservierungsarbeiten, die 1996 zur endgültigen Öffnung für die Öffentlichkeit führten.
9 La Cuba soprana und die piccola Cuba (Cubula)
Landhäuser und Bauspekulation
Rechts und links des Corso Calatafimi, der Straße von Palermo nach Monreale, bauten sich ab dem 16. Jh. die wohlhabenden Palermitaner ihre Sommerhäuser. Zwischen der Brise vom Meer und den vom Berg herunter wehenden Winden fanden sie hier – außerhalb der Stadt und im Grünen – im Sommer Erholung vor der Hitze der Stadt. Bereits im 12. Jh. hatten die Normannen in der gleichen Gegend ihren Park Genoard und ihre Lustschlösser errichtet. Diese waren im Laufe der Jahrhunderte umgebaut und umgenutzt worden, herunter gekommen und zusammen mit dem paradiesischen Park der Vergessenheit anheim gefallen. So entstand die kuriose Situation, dass an der gleichen Stelle zum zweiten Mal Bauten entstanden, die dem Rückzug vom Trubel der Stadt und dem Genuss des Lebens dienten. Nur waren diese Lusthäuser der Renaissance und des Barock von der Größe und Ausstattung her mit den Palästen der Normannen nicht zu vergleichen. In der Regel einstöckig oder höchstens zweistöckig waren sie viel bescheidener und auch nur mit Gärten anstatt mit einem Park umgeben.
Die hemmungslose, von der Mafia betriebene Bauspekulation hat seit den 50er Jahren das Umland Palermos vor den Toren der Stadt verwüstet. Mit dem Niedergang des Adels und des wohlhabenden Bürgertums nach Gründung der Republik Italien kauften Immobilienhaie in großem Stil landwirtschaftliche Flächen, herunter gekommene Villen und Landsitze auf und klotzten riesige Mietskasernen für die Flüchtlinge aus den verfallenen Elendsquartieren der beständig wachsenden Großstadt in die einstige Idylle. So hat sich die Stadt gleichsam in ihr schönes Umland hineingefressen (das dessen ungeachtet immer noch als Conca d’Oro, die goldene Muschel, bezeichnet wird). Bezahlt wurde das Ganze vielfach von den Sozialämtern, da die meisten der neuen Bewohner sich die Mieten in den Neubauten gar nicht leisten konnten.
La Cuba soprana
Geht man auf der Höhe des Corso Calatafimi 575 durch die 8geschossige Wohnbebauung hindurch, findet man auf ihrer Rückseite – ganz aus der Zeit gefallen – ein Stück altes Palermo, das bis auf die Zeiten der Normannen zurück geht. Hinter den Hochhäusern hat sich die Villa Napoli und ihr Garten erhalten, letzter Rest der hier einstmals zahlreich vorhandenen Landhäuser. Als das einstmals hübsche Haus mit seiner beeindruckenden Freitreppe errichtet wurde, stand hier – bereits in Ruinen – ein normannisches Bauwerk, das der Verteilung des Wassers im Park Genoard diente. Es bestand aus einem wahrscheinlich zweistöckigen quaderförmigen Turm mit drei spitzbogigen Öffnungen auf der Nordostseite. Aufgrund seines typisch normannischen Baustils benannte man es Cuba soprana (obere Cuba) um es von dem nicht allzuweit entfernt liegenden Palazzo della Cuba zu unterscheiden.
In seinen Fundamenten ist ein komplexes System zur Ableitung und Verteilung des Wassers, das aus einer nahe gelegenen Quelle stammt, verborgen. Es kommt über einen Kanal, der über den heutigen Außenhof verläuft, in das Innere des Gebäudes in der Nähe des südöstlichen Bereichs hinein und fließt in drei strahlenförmigen Kanälen nordöstlich nach außen weg. Dass es sich hier um ein Wasser-Bauwerk handelt, ist in der Tat durch die Einfassung des Kanals zu erkennen, ob es sich hier aber – wie beim Maredolce – um den Zufluss zu einem künstlichen See handelt, lässt sich nicht mehr nachweisen.
Das ursprüngliche Gebäude wurde unter der Herrschaft Wilhelms II. errichtet und im 15. Jahrhundert zum Wehrturm namens „Torre Alfaina“, gelegen in einem Landgut, umgebaut. Die Namen Cuba soprana und Torre Alfaina verschwanden, als im Jahr 1758 der Jurist Don Carlo Napoli das Anwesen erwarb, um seine Landvilla zu bauen. Die noch stehenden normannischen Reste wurden in die nordöstliche Schmalseite integriert. Sie wenden sich einem ganz entzückenden arabisch-normannischen Bauwerk zu, das alle Veränderungen auf dem Areal bis heute überstanden hat.
La piccola Cuba (Cubula)
Ca. 100m nördlich, ganz am Rande des Gartens, steht ein kleiner Kiosk im arabischen Stil. Es handelt sich um einen Würfel mit vier spitzbogigen Öffnungen, der mit einer Kuppel bedeckt ist. Im Innern zeigt er die arabischen Trompen, die den Übergang vom Quadrat des Würfels ins Rund der Kuppel vermitteln. Das Gebäude hat die gleiche Form wie die Kirchtürme von S. Giovanni degli Eremiti und S. Giorgio dei Lebbrosi. Aber auch als Kiosk dürfte er kein Unikat gewesen sein, denn an der Zisa hat man die Fundamente eines ähnlichen (allerdings rechteckigen) Baus ergraben und auch zur Architektur der Cuba würde solch ein Pavillon passen.
Seit 1995 ist die systematische Restaurierung der barocken Villa und der erhaltenen Teile der mittelalterlichen Mauern beschlossen; unter der Leitung der Regionalen Aufsichtsbehörde für Kultur- und Umwelterbe von Palermo zog sich der Prozess leider jahrelang hin. Es ist zu hoffen, dass nach der Erarbeitung eines Nutzungskonzepts für das Casino Napoli die Baulichkeiten, der Garten und der Kiosk für die Öffentlichkeit wieder nutzbar gemacht werden, dem durch die mafiöse Baupolitik gebeutelten Stadtviertel Cuba würde das gut bekommen.
10 Altofonte
Das Ambiente
Der Entschluss der Gemeinde von Altofonte, die Reste des Lustschlosses von Roger II. anzukaufen, zu restaurieren und in ein kommunales Museum umzuwandeln, rechtfertigt es, auch dieses Objekt in die Liste der arabisch-normannischen Bauwerke Siziliens aufzunehmen, obwohl bisher – mit Ausnahme der Kapelle – nur wenig davon sichtbar ist.
Die kleine Gemeinde, 11 km von Palermo entfernt, befindet sich in privilegierter Lage und in einer beherrschenden Position im Tal des Flusses Oreto gegenüber von Monreale. Sie liegt an den Hängen eines bewaldeten Bergrückens („Monte Moarda“) und überblickt das riesige Tal der „Conca d’Oro“. In dieser einst bevorzugten Gegend – nahe einer ergiebigen Quelle namens Altofonte – die aufgrund ihrer strategisch günstigen Lage außerdem die Kontrolle über den natürlichen Zugangsweg nach Palermo aus dem Val di Mazzara ermöglichte, ließ Roger II. sein Lustschloss errichten, um dort mit seinem Gefolge während der sommerlichen Ruhezeiten zu verweilen oder im Park der Jagd nachzugehen.
Dieser war Teil des ausgedehnten Systems zusammenhängender Parkanlagen, die die normannischen Könige Siziliens für die Jagd und die Sommerfrische anlegten und dabei die anglo-normannische Jagdtradition mit arabisch-byzantinischer Lebensform verbanden, in der luxuriöse Lusthäuser und Paläste zur Erholung und zum Schutz vor der Sommerhitze vorgesehen waren. Altofonte war Teil des Parco Nuovo (Neuer Park), den Roger II. nach erfolgreicher Umstrukturierung des Parco Vecchio (Alter Park), der früher dem Emir Giafar gehörte, anlegte. (Der alte Park wurde auch als Fawwara oder Maredolce bezeichnet).
Das Solatium
Das Lustschloss (von den Normannen als „solatium“ bezeichnet) bestand aus einem zentralen Hof, umgeben von einzelnen Räumen, die von einem Portikus erschlossen wurden; entsprechend der zeitgenössischen islamischen Typologie solcher Bauten. Von dem ursprünglichen Schloss sind nur noch einige Räume mit Kreuzgewölben im Erdgeschoss des späteren Klosters und drei Bögen eines Portikus erhalten an dem noch Zierscheiben mit zweifarbigen Intarsien erkennbar sind. Dies ist ein Schmuckmotiv fatimidischer Bauten in Nordafrika, das auch im normannisch-arabischen Stil vorkommt. (Vielleicht ist das Gebäude ja identisch mit dem Schloss al-menani, das Adolph Goldschmidt fälschlich mit dem Scibene identifizierte).
Einen Kilometer vom Palast entfernt, an der Mündung des Valle di Fico (im Stadtteil „Biviere“), ließ Roger II. starke, mit wasserfestem Zement verputzte Mauern errichten, die das Wasser des Tals aufstauten und einen kleinen See oder ein so genanntes Vivarium bildeten, in dem seltene Fischarten gehalten und in dem Bootsfahrten und Seeschlachten veranstaltet wurden, ganz genau so, wie er es auch im Park des Maredolce praktizierte.
Die Kapelle
in die östliche Umfassungsmauer der Reste des Palastes ist eine kleine byzantinische Kapelle auf dem Grundriss einer Kreuzkuppelkirche eingefügt, in der sich eine königliche Loggia befindet. Ihre Kuppel steht auf einem hohen zylindrischen Unterbau in der Mitte der Vierung und ist mit einer konischen Kappe abgedeckt. Wie fast alle normannischen Kirchen Siziliens weist auch diese, dem Erzengel Michael geweihte Kapelle den explizit arabisch-normannischen Baustil auf: Sie vereint zunächst einmal byzantinische Motive, wie das nach Osten ausgerichtete Presbyterium mit dem basilikalen Grundriss im Westen. Ersteres ist durch einen Bogen vom Kirchenschiff getrennt und tatsächlich musste nach griechischem Ritus das Presbyterium, in dem der Ritus vollzogen wurde, deutlich vom Rest der Kapelle getrennt sein. Rechts und links der zentralen Apsis befinden sich die Nebenapsiden – nur angedeutet als Nischen in der Wandstärke, quasi als Symbol der Prothesis und des Diakonikons byzantinischer Kirchen. Diese dienten zur Aufbewahrung des Heiligen Geräts und der Vorbereitung des Priesters.
Auch andere Motive des arabisch-normannischen Stils tauchen auf, wie die sphärische Zwickelverbindung der kleinen Kuppel mit der Vierung und außen die Reihe von Sägezahnziegeln um die zylindrische Trommel der Kuppel. (Wie bei der Moschee von Sfax aus dem 9. Jh. und der Cattolica von Stilo). Darüber hinaus knüpft die wellenförmige Mantelüberdachung an die „basilianische“ (griechisch-orthodoxe) Architektur Kalabriens an. Eine Besonderheit ist der durchgehende Mittelbogen, der das Presbyterium vom Schiff trennt und wo sich die königliche Loge befindet.
Man geht heute davon aus, dass dieses, doch alle Merkmale arabisch-normannischen Stils aufweisende, Bauwerk aus der Zeit stammt, als der Palast Ende des 13. Jh. zum Kloster umgebaut wurde. Dies erklärt auch den sichtbaren Rücksprung in der Nordansicht, wo die Wand unerklärlicherweise von einem sehr starken Abschnitt zu einem anderen dünneren übergeht. Die alte Palastkapelle musste vielleicht, wie die im Maredolce, ganz in die Außenwände der Klostermauern integriert werden und mit ihnen einen Körper bilden. Deshalb trug man sie ab und führte sie neu auf, aber die Experten sind dennoch davon überzeugt, dass die Kapelle Rogers und die heutige das gleiche Aussehen hatten.
Offiziell als Akt der Frömmigkeit gründete der Aragonese Friedrich III. 1306 im „Solatium“ des Parks das Kloster Santa Maria d’Altofonte und schenkte es spanischen Zisterziensermönchen. Für die neue Zweckbestimmung veränderte man das normannische Jagdschloss tiefgreifend. Darüber hinaus stattete der König das neue Kloster mit Einkünften so gut aus, dass es in eine echte Baronie umgewandelt wurde und gewährte noch weitere Privilegien wie das Recht der Insassen, (sonst verbotene) Waffen zu tragen und eine Festung im Casale di Sala di Partinico zu bauen, das bereits dem Kloster gehörte. Zweck dieser Maßnahmen war, das Kloster als aragonesisches Herrschaftsinstrument einzusetzen, mit Loyalität zum Königshaus und auch, weil es durch die Seelsorge die geeigneten Instrumente besaß, das Volk ruhig zu halten und geringste Schritte zur Rebellion im Keim zu ersticken. Im Jahr 1764, mit dem Tod des letzten Abtes, Giuseppe Barlotta, wurde das Kloster aufgehoben und Ferdinand von Bourbon übertrug es im Jahr 1799 mit allen Einkünften an den Konvent der Magione.
11 Die Kathedrale von Palermo
Ursprünge
Die ursprüngliche Kathedrale von Palermo, erbaut im Jahr 592, wurde von den Arabern nach der Invasion Siziliens in eine Moschee mit angeschlossener Koranschule (Medrese) umgewidmet. Das muss nach 831 erfolgt sein und die Insel verblieb dann 240 Jahre lang unter muslimischer Herrschaft, bis es normannischen Rittern gelang, das Land zurück zu erobern und, nach Belehnung durch den Papst, zunächst eine Grafschaft und später ein Herzogtum zu gründen. Dieser multiethnische Staat setzte sich aus Arabern, den unter ihrem Regime im Lande verbliebenen, meist griechischsprachigen Einheimischen, zugewanderten Juden und Italienern zusammen und es war eine großartige Leistung der Normannen, als kleine französischsprachige Herrenschicht ein solches Völkergemisch, in dem griechisch, mittellateinisch, hebräisch und arabisch gesprochen wurde, zusammen zu halten und das Land zum modernsten und reichsten Staat Europas zu entwickeln. Als erstes wurde der römische Katholizismus als Staatsreligion etabliert, denn vom Papst hatten die Eroberer die Legitimation ihrer Herrschaft erhalten. Stets ihrer Minderheitsrolle bewusst, verzichteten sie von Anfang an auf den Zwang zur Bekehrung ihrer neuen Untertanen. Sie praktizierten eine auf Toleranz basierende Herrschaft, in der jeder loyale Staatsbürger seinen eigenen Glaubensvorstellungen anhängen konnte. Bestimmte Zeichen mussten jedoch gesetzt werden, deshalb weihten sie die von den Arabern usurpierte alte Kathedrale wieder dem christlichen Glauben, allerdings nun dem Katholizismus und nicht mehr der Orthodoxie. Arabern und Orthodoxen war es aber gestattet, sich eigene Gotteshäuser zu bauen.
Der altehrwürdige Dom sah 1130 die Krönung des Normannen Roger II. zum König von Sizilien. Die Normannen hatten ein Schisma der katholischen Kirche, bei dem es zwei Päpste gab, geschickt ausgenutzt um ihr Herzogtum zum Königtum aufzuwerten. Im letzten Drittel desselben Jahrhundert beschädigte ein Erdbeben die Kirche schwer, so dass der Erzbischof 1184 einen für ein Königreich repräsentativen Neubau anordnete. Im gleichen Jahr hatte Rogers Enkel Wilhelm II. das von ihm finanzierte Erzbistum Monreale zur Verbesserung seines Machtstatus gegenüber der Diözese Palermo gegründet. Die beiden so nah beieinander liegenden Erz-Kathedralen konkurrierten heftig miteinander, u. a. deswegen, weil Palermo Rogers Grablege war und Monreale die künftige für Rogers Sohn und Enkel (Wilhelm I. und II.) werden sollte.
Der Dombau unter Erzbischof Walter
In Palermo entstand zwar ein monumentaler Dom im normannisch-arabischen Stil, der die Kultur aller auf Sizilien ansässigen Ethnien miteinander verschmolz, aber es war auch offensichtlich, dass die beiden Bauten, mit denen sich das neu entstandene Königreich identifizierte, die Pfalzkapelle im Normannenpalast und der Dom von Monreale waren. In erster Linie war es die prachtvolle Ausstattung und vollständige Mosaizierung im Innern, die diese beiden Kirchen auszeichnete, die Kathedrale von Palermo sah dagegen viel schlichter aus. Wie viele Normannenbauten in Sizilien, war sie eine dreischiffige Säulenbasilika mit flacher Holzdecke, an die das Sanktuarium auf byzantinischem Grundriss angefügt wurde. Blendarkaden, Steinintarsien und sich überkreuzende Rundbögen fügten dem Gebäude das „arabische“ Flair hinzu. Vier schlanke Türme akzentuierten die Ecken und ein alter Befestigungsturm vor der Westfassade wurde mit Schwibbögen mit der Kathedrale verbunden um als Glockenturm zu dienen.
Bauherr der Kathedrale war Erzbischof Walter, dessen Beiname Offamilio einige Historiker dazu geführt hat, ihn als Engländer (Walter of the Mill) zu identifizieren, ein Irrtum, der aus den Sekundärquellen leider nicht mehr zu tilgen ist. Bereits 1887 hat ein deutscher Gymnasiallehrer darauf hingewiesen, dass der Beiname des Bischofs auf den griechischen Titel protofamiliarios zurück geht, den enge Vertraute eines mittelalterlichen Herrschers trugen. Als Erzieher der Kinder Wilhelms I., als Kanzler Wilhelms II. und später als Leiter der Hauptstadtdiözese entsprach dieser Titel voll und ganz Walters Tätigkeit, einige Urkunden unterzeichnete er zudem mit dem Beinamen familiarius. Während seiner Kanzlerschaft traf das normannische Königshaus eine folgenreiche Entscheidung: Um im Streit der Stauferkaiser mit dem Papst (es ging um den Vorrang der weltlichen oder geistlichen Macht sowie um die Grenzen des Heiligen Römischen Reichs) nicht zerrieben zu werden, versuchte es, seine Position durch eine dynastische Verbindung mit dem Kaiserhaus zu verbessern. Die Normannen galten von jeher als Beschützer des Papsttums, zusätzlich wollten sie sich über eine Eheschließung mit den Staufern auch dessen Gegner annähern.
Verwickelte Familiengeschichte
Roger II. (der Großvater des amtierenden Normannenkönigs Wilhelm II.) hatte eine nachgeborene Tochter Konstanze hinterlassen, die im Jahre 1186 noch unverheiratet, aber bereits 32 Jahre alt war. (Für mittelalterliche Verhältnisse war sie eine „alte“ Braut und obendrein behauptete die päpstliche Kurie, die strikt gegen diese Verbindung war, man hätte sie für den Zweck der Verheiratung extra aus einem Kloster „herausgerissen“.) Diese Konstanze wurde nun mit Friedrich Barbarossas Sohn und Erben Heinrich VI. – 10 Jahre jünger als die Braut – vermählt. Es wurde vereinbart, dass die Staufer beim Aussterben der normannischen Dynastie erbberechtigt sein würden, jedoch sollte Sizilien nie Bestandteil des Heiligen Römischen Reiches werden.
Bereits drei Jahre später trat der völlig unerwartete Erbfall ein, denn Wilhelm II. verstarb mit gerade einmal 36 Jahren ohne Nachfolger, ein Jahr später auch Friedrich Barbarossa. Die normannische Partei am Hofe war aber strikt gegen einen Übergang der Herrschaft auf die Staufer, deshalb wählte sie anstelle Heinrichs ganz schnell einen unehelichen Nachkommen Rogers II. zum neuen König. Erzbischof Walter als Einfädler der dynastischen Verbindung und Vertreter der „deutschen“ Partei verstarb ebenfalls noch in diesem Jahr, so dass der neue König, Tancred von Lecce, erst einmal unbehelligt regieren konnte, weil Heinrich VI. damit beschäftigt war, seine Nachfolge in Deutschland zu sichern. Doch auch Tancred starb schon 1194, im fünften Jahr seiner Herrschaft, und nichts konnte mehr verhindern, dass Heinrich sein süditalienisches Erbe antrat.
Er fiel in Sizilien ein, rächte sich an der Familie des normannischen „Verräters“, plünderte das Land skrupellos aus und schickte unermessliche Reichtümer in den Norden. Von den Franzosen, die den Normannen nahe standen, erhielt er dafür den Beinamen „le Cruel“ (der Grausame). Doch auch ihm war nur eine dreijährige Regentschaft vergönnt, denn bereits 1197 erlag er der Malaria und hinterließ seine normannische Witwe mit dem erst dreijährigen Thronfolger Friedrich II. Sowohl im Heiligen Römischen Reich als auch in Sizilien hatten diese Ereignisse fatale Folgen: Im Norden brach sofort ein Nachfolge-Konflikt zwischen Staufern und Welfen auf, was dazu führte, dass die Stauferpartei anstelle des designierten minderjährigen Thronfolgers sehr schnell dessen Onkel Philipp zum König wählte um die Herrschaft ihrer Dynastie zu erhalten. Im Süden dagegen wollte die Normannenpartei nach wie vor keinen Staufer als König von Sizilien (obwohl der Prätendent doch zur Hälfte normannisches Blut in seinen Adern hatte!). Während die Kathedrale in Palermo ihrer Vollendung entgegen ging, schürzten sich die Ereignisse in Deutschland. Nach der Ermordung Philipps wurde ein Welfe dessen Nachfolger im Reich: Otto IV., Sohn Heinrichs des Löwen. Kaum im Amt, legte er sich augenblicklich mit dem Papst an. Deshalb übernahm dieser in Sizilien die Vormundschaft für Friedrich II., der nach Konstanzes Tod 1198 Vollwaise geworden war. Mit diesem Schachzug wollte der Papst einen Übergriff Ottos auf das Südreich verhindern. Otto regierte bis zu seinem Tode glücklos und Friedrich II. trat nach Erreichen der Volljährigkeit schließlich dessen Nachfolge an.
Der mittelalterliche Bau und seine Veränderungen
Wegen der städtebaulichen Situation in der Innenstadt hat der Dom von Palermo nicht das charakteristische Aussehen der anderen beiden Normannendome in Cefalù und Monreale. Weder ist er auf eine Ansicht von Westen her ausgelegt, da er dort an einer engen Straße liegt, noch besitzt er eine monumentale Doppelturmfassade. Seine Schauseite zeigt nach Süden, entlang der Hauptstraße Palermos, des Cassaro, wo ein repräsentativer Stadtplatz angelegt wurde. Ihm wendet sich der unter der Herrschaft der Aragonesen 1453 angelegte dreibogige Portikus in den Formen katalanischer Gotik zu. Dessen Säule auf der linken Seite stammt evtl. noch aus der früheren sarazenischen Moschee, denn sie trägt eine Kartusche mit eingemeißelten Koranversen.
Trotz erheblicher Umbauten im 15. und 18. Jh. ist gerade an der Südseite der Kathedrale noch viel von der originalen normannischen Architektur erhalten: Entlang dem Längsschiff ein breites Schmuckband mit wunderbaren Intarsien sowie die originalen Obergadenfenster, die ebenfalls mit kunstvollen Steinintarsien gerahmt sind, die Außenmauern des ehemaligen Sanktuariums und die Untergeschosse der Ecktürme. Geht man weiter nach Osten, so stößt man dort auf spektakuläre islamische Ornamentik: Intarsierte Kreuzbögen, die die drei Apsiden schmücken, Schmuckrosetten und orientalische Fenster mit Fächerbögen.
Betritt man jedoch das Innere, ist man ziemlich ernüchtert. Bis auf die Königsgräber ist dort nichts mehr aus dem Mittelalter erhalten, stattdessen kühle klassizistische Architektur und jede Menge Ausstattung aus dem Barock. In den langen Jahrhunderten nach der Herrschaft der Staufer, als das Königreich Sizilien zum Vizekönigtum unter spanischen Königen heruntergekommen war, hatte man wenig zur Erhaltung des Doms getan. 1767 war das Bauwerk stark einsturzgefährdet, weshalb König Karl III. seinen bereits 67jährigen Hofarchitekten Ferdinando Fuga mit der Restaurierung beauftragte.
Dieser hatte zwar bemerkenswerte Bauwerke wie die Fassade von S. Maria Maggiore in Rom und das Armenhaus (Albergo dei Poveri) in Neapel geschaffen, hier erntete er jedoch keinen Lorbeer. Er riss das gesamte normannisch-arabische Interieur heraus, veränderte den Grundriss, indem er aus der nur in Sizilien vorkommenden Kombination von basilikalem Langhaus und griechisch-orthodoxem Sanktuarium ein lateinisches Kreuz mit Querschiff machte und zog mächtige Gewölbe ein.
Aus einem einzigarten Kunstwerk wurde dadurch ein banaler Allerweltsbau, gekrönt von einer schwächlichen Kuppel. Teile der normannischen Konstruktion blieben aber hinter Zwischenwänden erhalten, die für die Herstellung des neuen Grundrisses hochgezogen wurden. Begibt man sich im Bereich des ehemaligen Sanktuariums hinter solche Wände, dann stößt man noch auf arabische Muqarnas und insbesondere die Laufgänge, die in die Seitenwände eingelassen sind, ein original französisch-normannisches Motiv, das nur noch im Querschiff der Kathedrale von Cefalù und ansonsten in Frankreich anzutreffen ist. Auch die Bündelpfeiler im Mittelschiff, bestehend aus jeweils vier Granitsäulen, könnten noch aus dem Normannenbau stammen.
Die Königs- und Kaisergräber
Konstanze Roger Friedrich II
Früher östlich im Sanktuarium aufgestellt, befinden sie sich heute westlich in der ersten Kapelle des südlichen Seitenschiffs: Drei fast identische Prunksarkophage aus Porphyr sowie ein aus Porphyrplatten zusammen gesetzter einfacher Sarg unter säulengestützten Marmorbaldachinen, die üppig mit Goldmosaiken eingelegt sind. Seit der Antike gilt der purpurfarbene Porphyr als kaiserlicher Stein und die drei ähnlichen Sarkophage (inklusive eines vierten für Wilhelm I., jetzt im Dom von Monreale) stammen aus normannischer Zeit. Zwei dieser Särge wurden von den Staufern usurpiert, deshalb entstand die paradoxe Situation, dass ausgerechnet Roger II. nicht in einem der von ihm in Auftrag gegebenen Sarkophage ruht, sondern in dem einfachsten der vier. In der hinteren Reihe finden wir König Roger II. von Sizilien und seine Tochter Konstanze, vorn liegen die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Heinrich VI. und Friedrich II. Gewiss sollte durch die Unterbringung gerade dieser Personen in einer gemeinsamen Grablege die Verbindung des Normannenstaats mit den Staufern und deren legitimer Anspruch auf das Südreich demonstriert werden. Auch das Königreich Aragón ist in diese Legimitationskette eingebunden: Rechts neben den Prunksarkophagen steht in einer Wandnische der antike römische Sarkophag mit den Überresten der Constanze von Aragón, der ersten Gemahlin Friedrichs II. Sie war die Großtante Peters III. von Aragón, der Sizilien nach dem missglückten Zwischenspiel Karls von Anjou erbte, weil er mit der Tochter des vorletzten Staufers Manfred verheiratet war. (Mehr über die Ereignisse, die als „Sizilianische Vesper“ in die Geschichte eingingen, unter S. Spirito). Und ein weiterer Aragonese (der allerdings unbedeutende Peter II. von Sizilien) liegt in dieser Grablege – kurioser Weise im Sarg Friedrichs II. wobei niemand sagen kann, wie er da hineinkam.
Großes Aufsehen erregten die verschiedenen Graböffnungen, zuerst die von 1781, während des Domumbaus. Ohne viel Pietät begutachtete man die Leichname, stellte fest, dass der von Friedrich II. hervorragend erhalten war (wahrscheinlich das Ergebnis ausgefeilter Einbalsamierungstechnik) und entnahm verschiedene Gegenstände, von denen einige auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Erhalten blieb die „Krone der Konstanze“, eine offensichtlich byzantinischen Vorbildern nachempfundene Männerkrone, die Friedrich II. seiner Frau mit ins Grab gelegt hatte. Sie ist jetzt ein Prunkstück des Domschatzes.
Es folgten noch weitere Öffnungen, die letzte erst kürzlich, in der man mit modernsten Methoden wie gentechnischen Untersuchungen und chemischen Analysen neue Erkenntnisse gewinnen will, z. B. zur Identifizierung der Überreste und zur Todesursache Friedrichs II. Gerüchte über eine hinterhältige Vergiftung des Kaisers durch die römische Kurie waren Jahrhunderte lang nie verstummt, doch geht man heute eher von einer Krebserkrankung aus. Oberste Priorität lag bei der letzten Graböffnung allerdings in der sicheren und dauerhaften Konservierung der Grabanlage. Weitere Gräber befinden sich in der normannischen Krypta, die als Grablege der palermitanischen Erzbischöfe dient. Hier liegen u.a. der Erbauer des Doms Gualtiero Offamilio und ein unehelicher Sohn Friedrichs II., Federico d‘Antiochia, der die Klerikerlaufbahn eingeschlagen hatte.
Normannische Bauten in der Umgebung der Kathedrale
In unmittelbarer Nähe des Doms befinden sich weitere normannische Gebäude, die im Zusammenhang mit dem Bischofssitz und der Herrscherfamilie stehen. An der Nordwestecke der Kathedrale liegt ein schlichter romanischer Kapellenbau mit einem vorgelagerten Balkon aus späterer Zeit. Hierbei handelt es sich um die Krönungskapelle (Cappella dell’incoronazione), in der 1130 die Zeremonie zur Erhebung Rogers II. zum König vollzogen wurde. Sie steht auf rechteckigem Grundriss mit Apsis und Vorhalle und ist reich durchfenstert – mit acht Öffnungen auf jeder Seite, in zwei Reihen angeordnet. Manche Historiker halten das kleine Gebäude für den Überrest des Originalgebäudes aus dem 6. Jh., in dem die Krönung stattfand, eine in die Mauer eingelassene Säule am Eingang und ein angefangenes Gewölbe sollen ein Indiz dafür sein. Jahrhunderte lang erhielten alle Könige von Sizilien hier ihre Weihe.
Anschließend präsentierten sie sich auf dem angrenzenden Balkon, der Loggia dell’incoronazione, dem Volk. Das wenig ansprechende Aussehen dieses Gebäudes erklärt sich aus Umbauten während der Renaissance, als die leichten normannischen Spitzbögen durch einen schweren Architrav und plumpe Balustraden ersetzt wurden. Überdies wurde es in den Kämpfen des Risorgimento 1860 durch die spanischen Bourbonen zusammengeschossen und erst in Zeiten, als die Krönung keine Rolle mehr spielte, lieblos wieder aufgebaut.
Hinter der Kapelle befindet sich ein Hof mit der würfelförmigen, archaisch anmutenden, Kirche S. Cristina la Vetere, auf griechischem Kreuz erbaut von Erzbischof Walter, von der man annimmt, dass sie ebenfalls dem Kult um das Königtum diente. Heinrich VI. übergab sie den Zisterziensern, denen die Hohenstaufen ja nahe standen.
Außerdem gibt es noch ganz in der Nähe des Doms S. Maria Maddalena, eine im Hof einer Kaserne liegende Normannenkirche, die man nur in Begleitung eines Soldaten besichtigen darf. Auch sie gehörte zum Komplex der Kathedrale und wurde von Erzbischof Walter unter Verwendung des Baumaterials eines nahe gelegenen Vorgängerbaus errichtet. Sie diente wohl der Bewahrung der königlichen Sarkophage während des Baus der Kathedrale. Doch als diese endlich fertig gestellt war, wurden die Gräber auf zwei Standorte verteilt: Monreale und Palermo.
12 Santa Maria dell’Ammiraglio und San Cataldo
An der barocken Hauptachse von Palermo, der Via Maqueda, öffnet sich kurz vor den Quattro Canti – dem Mittelpunkt der Stadt – die Piazza Bellini. Sie trägt ihren Namen nach dem bedeutendsten Komponisten, den Sizilien hervorgebracht hat, Vincenzo Bellini, nach dem auch das kleine Barocktheater im hinteren Bereich des Platzes benannt ist. Hier befinden sich gleich zwei bedeutende Bauwerke im arabisch-normannischen Stil, die Kirchen S. Maria dell‘Ammiraglio und S. Cataldo. Sie stehen heute erhöht oberhalb des kleinen Platzes und sind über eine Treppe erreichbar. Zuerst fallen die drei roten, sehr arabisch aussehenden Kuppeln von San Cataldo ins Auge, während das byzantinische Erscheinungsbild von Santa Maria dell‘Ammiraglio von einer Barockfassade teilweise verdeckt wird.
Santa Maria dell’Ammiraglio
Der Admiral
Sie hat ihren Namen von Georgios Antiochenos, dem Großadmiral König Rogers II. Im Normannenreich hatte dieser Titel (ammiratus) noch nicht die Konnotation des Befehlshabers einer Flotte, sondern war – abgeleitet vom arabischen Titel Emir – die Bezeichnung für ein hohes Regierungsamt, bei Georgios als ammiratus ammiratorum (Emir der Emire) für den obersten Regierungsbeamten. Als solchem konnte ihm vom König auch der Oberbefehl über eine Flotte angetragen werden, was bei Georgios mehrfach vorkam. Wie sein Name besagt, stammte er aus Antiochia in Syrien und war orthodoxer Christ. Über verschiedene Stationen bei islamischen Herrschern Nordafrikas, zuletzt in Mahdia gegenüber von Sizilien, kam er in die Dienste Rogers II. dem er 30 Jahre lang in veratwortungsvoller Position diente. Die Expansion des Normannenreichs nach Nordafrika und der Überfall auf Konstantinopel mit der Beschießung des kaiserlichen Palastes mit Brandbomben gehen auf ihn zurück.
Gegen Ende seines Lebens stiftete Georgios die Kirche Santa Maria zum Zwecke seines eigenen Totengedenkens. Gemäß seinem orthodoxen Glauben ist sie in rein byzantinischem Stil gehalten: Ein quadratischer Kreuzkuppelbau mit einem Narthex (Vorhalle) im Westen, davor ein ummauerter Garten (Paradies) mit einem Turm im Westen, durch den man das Areal auch betrat. Dieser Turm wird durch die barocke Fassade zu stark dominiert, muss aber zur Erbauungszeit außerordentlich prächtig ausgesehen haben, als die mittlerweile herausgefallenen Steinintarsien noch intakt waren. Durch das Fehlen einer Bekrönung (wahrscheinlich eine arabische Kuppel) wirkt er leicht fragmentarisch.Von seinen vier Geschosse sind die oberen beiden mit Säulengruppierungen an den Ecken verziert, was ein wenig an die Türme der Kathedrale von Laon im Heimatland der normannischen Eroberer erinnert, die etwa zur gleichen Zeit im Bau war.
Das byzantinische Bauwerk
Das Innere des Kernbaus ist verschwenderisch mit Mosaiken auf Goldgrund ausgestattet. Sie sind die frühesten ihrer Art in Sizilien und von höchster Qualität. Die Inschriften sind alle griechisch, was den Schluss nahelegt, dass die Bilder von byzantinischen Mosaizisten gefertigt wurden. Gewisse Ähnlichkeiten mit dem Bildprogramm im Kloster Dafni bei Athen und in den Kirchen Konstantinopels lassen vermuten, dass die Handwerker von dort stammten. Von ihnen haben die Einheimischen gelernt, die später im Dom von Monreale arbeiteten und die Bilder dann mit lateinischen Inschriften versahen. Von großer Bedeutung sind die beiden Darstellungen, die zur Kirchenweihe im Innern des Narthex angebracht und beim barocken Umbau an den jetzigen Standort verbracht wurden, leider beschädigte man dabei das Mosaik mit dem Admiral schwer. Er liegt zu Füßen der Madonna, der er die Kirche geweiht hat und sieht dabei ein wenig aus wie eine Schildkröte, da insbesondere im unteren Teil des Mosaiks viel Originalsubstanz verloren gegangen ist.
Besser erhalten ist das Gegenstück dieses Bildes, die Krönung König Rogers durch Jesus. Roger trägt dabei das Ornat des byzantinischen Kaisers und wird direkt vom Gottessohn gekrönt, ganz ohne einen Papst oder Bischof. Die griechischische Inschrift nennt seinen Titel auf Lateinisch: Rogerios Rex. Diese fast schon vermessene Präsentation des normannischen Königtums zeugt einerseits vom starken Selbstbewusstsein der Normannen, die hier in Sizilien einen beispiellosen Aufstieg von Strauchdieben zu Monarchen vollzogen. Andererseits sollte es aber von der weniger schmeichelhaften Tatsache ablenken, dass seine Legitimation auf die angemaßte Lehnsherrschaft des Papstes zurück ging und die Krönung durch einen Gegenpapst erfolgte.
Arabisches
Das arabische Element der sizilianischen Kulturverschmelzung ist in Santa Maria dell’Ammiraglio durch die gestuften Blendarkaden am Außenbau, die islamischen Trompen (Überleitungen vom Quadrat des Mitteljochs in den Kreis der Kuppel) im Innern und die exorbitante Holztür aus dem 12. Jh. präsent. Das wundersamer Weise erhalten gebliebene, mit feinsten Schnitzereien versehene Kunstwerk findet Gegenstücke nur im islamischen Spanien in Cordoba und Granada. Es ist jetzt in der Nordwand des Erweiterungsbaus verbaut, gehörte aber mit ziemlicher Sicherheit zum ehemaligen Hauptportal im Narthex.
Im ehemaligen Paradies stehen auch noch zwei Säulen mit arabischen Inschriften, links vom Eingang die Worte „Sieg, Eroberung, Größe und Glück“, rechts Auszüge aus zwei Suren des Korans, die jedoch eine Entsprechung in der Bibel haben. Die Verwendung der arabischen Sprache in einer Kirche ist in Sizilien nicht verwunderlich, denn neben Griechisch und Latein gehörte Arabisch zu den drei Amtssprachen des Normannenstaats, wie wir an der Inschrift bezüglich einer Wasseruhr im Hof des Normannenpalastes bereits gesehen haben. Hebräisch und normannisches Französisch waren weitere hier übliche Sprachen, wobei man nicht vernachlässigen sollte, dass sich zu dieser Zeit aus dem Vulgärlatein bereits das Italienische zu entwickeln begann und hier zuerst als Dichtersprache benutzt wurde.
Umbauten
Der byzantinische Kirchenkomplex wurde im Laufe der Jahre zahlreichen Veränderungen unterworfen. Gegen Ende des 12. Jh. stiftete Eloisa Martorana ein an die Kirche angebautes katholisches Kloster, worauf ihr Name auch auf die Kirche überging und diese Schritt für Schritt ihre orthodoxe Ausrichtung verlor. Im Barock vergrößerte man den quadratischen Zentralbau, indem man das mit Säulen bestandene Paradies einwölbte, der Kirche zuschlug und sie dadurch in eine dreischiffige Basilika verwandelte. Da man dabei die originalen Säulen verwendete, wirkt der Umbau an dieser Stelle nicht so gravierend, wie im Chor, wo die byzantinische Apsis mitsamt ihrer Mosaiken zerstört und ein vergrößertes rechteckiges Sanktuarium angefügt wurde. Auch außen sorgten die Veränderungen für ein völlig neues Erscheinungsbild, da der Südseite (zur Piazza Bellini hin) eine barocke Fassade vorgeblendet wurde, die das byzantinische Aussehen der Kirche stark verunklärt.
Giuseppe Patricolo versuchte im 19. Jh. vieles vom originalen Aussehen des Bauwerks zurückzugewinnen, zerstörte dabei aber viel Barockes. Heute ist die Kirche im Besitz der albanischen Gemeinde Palermos, deren Gotteshaus durch die Bombardierungen des Zweiten Weltkriegs zerstört wurden. Albaner gibt es in Apulien und Sizilien seit mehreren Jahrhunderten, da insbesondere die griechisch-orthodoxen Mitglieder dieses Volkes aus dem osmanischen Reich nach Italien flohen. Sie ließen sich in eigenen Dörfern nieder, in denen sie bis heute ihre Sprache und Religion pflegen. Durch die Übergabe an die Albaner ist Santa Maria dell’Ammiraglio wieder dem Griechisch-orthodoxen Ritus zurück gegeben worden.
San Cataldo
Der Nachfolger des Großadmirals, Maio von Bari, ließ aus den gleichen Gründen wie dieser eine eigene Kapelle zum Totengedenken errichten. Es scheint, als hätte er dabei eine Vorahnung gehabt, wurde er doch bereits 1160 (aufgrund seiner intriganten Politik) bei der „Verschwörung der Barone“ ermordet. (Der nicht zeitgenössische, abwertende Beiname des regierenden Monarchen, Wilhelm der Böse, ging nicht zuletzt auf Maios Regierungshandeln zurück). Hatte sich sein Vorgänger Georgios bei S. Maria dell’Ammiraglio auf den byzantinischen Kulturkreis bezogen, dem er entstammte, orientierte sich Maio bei S. Cataldo an seiner Heimat Apulien. Das wird schon aus der Wahl des Kirchenpatrons ersichtlich, eines Bischofs von Tarent. In Apulien gibt es eine lange Tradition von Kirchenbauten, bei denen das Langschiff mit einer Reihe von Kuppeln überdacht ist, in der Regel von drei, wie in Molfetta und Valenzano. Dem folgt auch San Cataldo, nur ist das Aussehen der Kuppeln im Gegensatz zu den apulischen ganz und gar arabisch, sowohl von außen als auch von innen. Ihre so charakteristische, leuchtend rote Farbe geht allerdings erst auf das 19. Jh. zurück (siehe S. Giovanni degli Eremiti). Auch die gestuften Blendarkaden, das filigran durchbrochene Kranzgesims und die ebenfalls durchbrochenen Alabasterplatten (Transennen) in den Fenstern weisen islamische Schmuckformen auf. (Die Transennen wurden allerdings von Patricolo rekonstruiert, nach nur einem einzigen erhaltenen Exemplar, das im islamischen Museum in der Zisa aufbewahrt wird).
Im Laufe der Jahrhunderte war San Cataldo ganz und gar hinter barocken und klassizistischen Umbauten verschwunden. Lange vor der Restaurierung bereits profaniert, diente das ehemalige Gotteshaus im 19. Jh. als Postamt. In einer Radikalkur legte Patricolo 1883 die normannischen Bauteile frei und trug alle Umbauten ab. Bei weiteren Baumaßnahmen nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg wurde die Piazza Bellini tiefer gelegt, so dass die beiden normannischen Bauwerke – erstmalig in ihrer langen Geschichte – jetzt isoliert auf einer Terrasse stehen. Bei der Neugestaltung der Piazza Bellini fand man westlich von S. Cataldo Reste der phönizischen Stadtmauer, die in den Platz integriert wurden.
Das nach Vernichtung jeglicher Ausstattung ganz kahle Innere von S. Cataldo muss einst genau so prächtig gewesen sein, wie S. Maria dell‘Ammiraglio nebenan, jetzt zeugen aber nur noch die aus antiken Bauwerken entnommenen Säulen und ihre ganz verschiedenartigen Kapitelle, der Fußboden mit Marmorinkrustationen in byzantinischem Stil und der original erhaltene Altar davon. Die für den normannischen Stil so charakteristischen, in Ecksituationen eingestellten Säulchen in der Apsis von S. Cataldo sind nur historisierende Zutaten. Echt ist dagegen noch das Epitaph, das Silvestro di Marsico, Großadmiral Maios Nachfolger, als nächster Besitzer der Kapelle 1161 seiner Tochter Matilda setzte. Es ist jetzt in die Wand eingelassen und noch gut lesbar.
13 San Giovanni degli Eremiti
Geschichte
/In der Nähe des Palazzo dei Normanni befindet sich mit San Giovanni degli Eremiti nicht nur das unverwechselbare Wahrzeichen Palermos sondern auch eine Ikone des arabisch-normannischen Baustils. Die kleine Kirche liegt im Herzen des historischen Palermo, umgeben von uralten Mauern in einer abgeschiedenen stillen Oase, aus der Palmwedel und die arabesken Kuppeln gen Himmel ragen. Schon im 6. Jh. wurde hier ein gregorianisches Kloster gegründet, geweiht dem heiligen Hermes (Ermete). Der Beiname der Kirche bezieht sich wohl eher auf diesen heute unbekannten Heiligen als auf irgendwelche Eremiten. Nach langen Jahren des Niedergangs und der muslimischen Fremdherrschaft wurde es im 12. Jahrhundert durch den normannischen König Roger II. wieder aufgebaut und mit Benediktinern besiedelt. Die prestigeträchtigen Ämter, die der Abt am Hof innehatte, darunter das des Hofkaplans und Beichtvaters des Königs, zeigen die Bedeutung des Klosters.
Normannische Architektur
S. Giovanni ist ein in jeder Hinsicht ungewöhnliches Gebäude: Auf T-förmigem Grundriss errichtet, ist die Kirche komplett mit Kuppeln überwölbt, fünf an der Zahl. Das Äußere ist schlicht und weist noch nicht die Schmuckformen auf, die später unverzichtbar für ein normannisches Bauwerk werden, wie Blendarkaden, Kreuzbögen und Steinintarsien. Seit Giuseppe Patricolo 1882 die Originalsubstanz aus späteren Überbauungen gleichsam herausgeschält hat, ist im Innern wie auch außen jegliche Dekoration verloren gegangen. Einzig das Obergeschoss des Turms weist die charakteristischen gestuften Blendarkaden auf, aber dieses ist nicht original sondern wurde von Patricolo nachträglich hinzugefügt. So beruht der Zauber der Kirche einzig und allein auf dem Zusammenspiel einfachster geometrischer Formen wie Kubus, Quader und Kreis. Dazu kommt der Spitzbogen an Fenstern, Türen, Arkaden und den drei Bögen, die die Vierung abtrennen und nicht zu vergessen die Trompen, die zwischen dem Quadrat des Joches und dem Kreis der Kuppel vermitteln.
Moschee?
Bei seinen „Freilegungsarbeiten“ der normannischen Architektur stieß Patricolo auf einen ebenfalls mittelalterlichen zweischiffigen Saal, der mit dem südlichen Teil des Querschiffs von S. Giovanni quasi verschränkt ist. Er hat außen anstelle der spitzbogigen Fenster der übrigen Bauteile nur einfache Schießscharten, was man von der Straße aus sehr gut sehen kann. Patricolo schloss aus diesem Befund, dass es sich hierbei um den muslimischen Vorgängerbau der Kirche handeln musste, eine kleine Moschee. In dem Garten vor dem Saal sah er den Hof der Gebetsstätte und in Gewölbeansätzen an der Außenwand des Kirchenschiffs den Rest einer Säulenhalle. Fortan sprach man von der „sala araba“ und deklarierte das ganze als islamische Anlage des 10. Jh., wollte aber nicht wahrnehmen, dass sich „arabisches“ und normannisches Mauerwerk kaum voneinander unterscheiden. Andererseits hat die Theorie einer Moschee aufgrund der Ausrichtung des Saales nach Mekka und dem Fund islamischer Gräber auf dem Gelände ebenfalls eine gewisse Plausibilität. Künftige Ausgrabungen im Garten sollen eine endgültige Klärung bringen.
Orientzauber
Ein weiterer Ort, den den Zauber dieses Ortes bestimmt, ist der Kreuzgang. Er weist die entwickelten Formen der späten normannischen Romanik auf und ist somit der jüngste Teil der Anlage. Doppelsäulen mit Akanthuskapitellen tragen die mit einer Blende versehenen Spitzbögen. Im Quadrat des Kreuzgangs befinden sich Blumenbeete und ein romantisches Brunnenhäuschen. Die exotische Bepflanzung des gesamten Gartens evoziert die Atmosphäre von Tausendundeiner Nacht. Palmen und Zitrusbäume, zusammen mit Mispel-, Lorbeer- und Olivenbäumen formen ein unvergleichliches Ambiente.
Gegenüber der Südseite von S. Giovanni steht schon die nächste normannische Kirche, S. Giorgio in Kemonia, deren Name sich auf den alten Fluss Kemonia (heute verlandet) bezieht. Sie wurde in der Barockzeit quasi neu erbaut, aber an ihrer Nordseite haben sich einige vierfach abgetreppte Spitzbogenblenden vom Originalbau erhalten.
14 San Giovanni dei Lebbrosi und Ponte dell’Ammiraglio
Älteste normannische Kirche Palermos?
Die Kirche von San Giovanni, genannt “dei Lebbrosi”, gilt als ältestes normannisches Bauwerk von Palermo, doch gibt es keine sicheren Belege für das Datum ihrer Gründung. Erst durch Tommaso Fazello (1558) und andere – noch jüngere – Historiker wurde der Bau der Kirche Robert Guiscard und seinem Bruder Roger von Hauteville nach der Belagerung von Palermo (1071-72) zugeschrieben und zwar an einer Stelle, an der sich die islamische Burg „Yahia“ befunden haben soll. Ihren heutigen Beinamen „dei lebbrosi“ verdankt sie einer Leprakolonie, die ihr kurz nach der Mitte des 12. Jahrhunderts angegliedert wurde. Das Erscheinungsbild der heutigen Kirche entspricht stilistisch genau dieser Zeit (80 Jahre nach der angeblichenGründung, stellt sie also zeitgleich neben San Giovanni degli Eremiti und San Cataldo.
Durch verschiedene Ausgrabungskampagnen hat man versucht den Widerspruch zwischen den Quellen und dem aktuellen Befund aufzuklären, 2020 begann eine weitere Untersuchung. Tatsächlich existieren islamische Mauerreste an diesem Platz, wohl zu einem Geäude gehörend, das ähnlich dem Vorgängerbau des Lustschlosses Maredolce, ein Wehrbau war. Vielleicht handelte es sich dabei um so genannte Ribats, mit muslimischen Glaubenskämpfern bestückte Burgen, wie sie uns aus Nordafrika bekannt sind und die hier zur Verteidigung der Hauptstadt dienten.
Der Sieg über die islamischen Gotteskrieger könnte auch ein plausibles Motiv für die Gründung einer christlichen Kirche so weit außerhalb der Stadt sein. Und dass man die Leprastation ausgerechnet hier ansiedelte, erscheint ebenso plausibel, denn Lepröse mussten isoliert von den Gesunden untergebracht werden und benötigten seelsorgerischen Beistand. Die Diskrepanz zwischen Gründungsjahr und Baustil der Kirche würde dadurch aufgelöst, wenn man einen Neubau oder eine Renovierung anlässlich des Krankenhausgründung in Betracht zieht.
Die Architektur
Nähert man sich der Kirche von Westen, so glaubt man vor einer dreischiffigen Basilika zu stehen, von Osten sieht sie dagegen wie ein byzantinischer Kreuzkuppelbau aus.
Zusammen mit den arabisierenden Kuppeln, den Blendarkaden um die spitzbogigen Fenster mit ihren durchbrochenen Transennen (verziert mit verzwickter islamischer Ornamentik), wird aus S. Giovanni dei Lebbrosi ein hervorragendes Beispiel für den arabisch-normannischen Stil. Dass der Turm, der demjenigen von S. Giovanni degli Eremiti so täuschend ähnlich sieht, nur eine historistische Zutat der Restaurierung von 1925 – 1930 ist und die Transennen Nachbildungen einer einzigen originalen, spielt dabei keine große Rolle.
Betritt man das Bauwerk durch die asymmetrische, vielfach umgebaute Eingangshalle, ist man beeindruckt von der strengen Einfachheit der nackten Mauern und des offenen Dachstuhls. (Vor 1925 war das Innere allerdings barockisiert). Vier spitzbogige Arkaden ruhen auf achteckigen gemauerten Pfeilern anstelle von Säulen. Das ist der Tatsache geschuldet, dass Säulen im Mittelalter meist antiken Gebäuden oder deren Ruinen entnommen wurden. Da S. Giovanni so weit von der Stadt entfernt lag, scheute man den Transport dieser schweren Objekte und begnügte sich mit den Pfeilern.
Ebensolche stehen auch in der Vierung und tragen die Kuppel, die das Zentrum des Presbyteriums überwölbt. Die Ecknischen (Trompen), die zwischen der quadratischen Vierung und dem Rund der Kuppel vermitteln, weisen die für Palermos normannische Kuppelbauten charakteristische Form auf. Der über das Bodenniveau erhöhte Presbyteriumsbereich hat den Grundriss einer byzantinischen Kreuzkuppelkirche und wird durch drei Apsiden abgeschlossen. Den östlichen Kreuzarm mit der Hauptapsis hat man durch vier in die Ecken eingestellte Säulchen mit antiken Kapitellen akzentuiert.
Ponte dell’Ammiraglio
Seit der Zeit der Alten Römer führt der Landweg nach Palermo über die von Messina kommende Küstenstraße. Auch das Heer der normannischen Eroberer nahm diesen Weg um die Hauptstadt der Muslime auf Sizilien einzunehmen. Wie oben bereits ausgeführt, hatten die Araber bei S. Giovanni dei Lebbrosi ein Grenzfort zur Sicherung der Straße errichtet. Um in die Stadt hineinzukommen, musste man aber auch noch den Oreto überqueren, einen damals wasserreichen und – genau wie heute – während der Frühjahrsniederschläge reißenden und gefährlichen Fluss. Obwohl jetzt den größten Teil des Jahres ausgetrocknet, hat man ihn im 20. Jh. in eine betonierte Rinne gezwängt und obendrein seinen Lauf verändert um der Überschwemmungen Herr zu werden. Diese Maßnahme hat das Problem zwar beseitigt, aber gleichzeitig die östlichen Stadtteile stark verschandelt. Das betrifft auch die Admiralsbrücke, eine beeindruckende Konstruktion aus der Zeit der Normannen, die durch die Verlegung des Flussbetts landfest gemacht wurde. Sie ist eines der bedeutendsten mittelalterlichen Bauwerke dieser Art, steht aber heute, abseits der Hauptstraße (des Corso dei Mille), unbeachtet in einer vernachlässigten Grünanlage.
Während der Regierungszeit Rogers II., als mit der Gründung des Königreiches überall repräsentative Neubauten im arabisch-normannischen Stil aufgeführt wurden, veranlasste der Großadmiral Georgios Antiochenos ihre Errichtung. Sie ist erstaunlich lang, weil man beim Bau den ständig wechselnden Lauf des Flusses in mehreren Flussbetten berücksichtigte. Durch zwölf in der Breite variierende, spitzbogige Öffnungen konnte sich das Wasser seinen Weg suchen. Wie alle normannischen Großbauten ist sie aus sauber zugehauenen Kalksteinen gefügt und hat durch die steilen Rampen und spitzen Bögen ein ausgesprochen arabisches Aussehen. Die Auffüllung des Flussbetts mit Erde beeinträchtigt allerdings ihre Monumentalität; gleichsam versunken in der Geschichte liegt sie verloren und ohne Zweckbestimmung inmitten der weiten Piazza.
Ihren letzten geschichtlichen Auftritt hatte sie, als Garibaldis Schar der Tausend in der Schlacht am Ponte dell‘Ammiraglio 1861 die bourbonischen Truppen schlug und damit den Risorgimento, Italiens Einigung einläutete. Die Namensgebung des Corso dei Mille erinnert noch heute an die Garibaldiner.
15 Santo Spirito del Vespro
Erzbischof Walter von Palermo holte zwischen 1173 und 1178 den Zisterzienserorden nach Sizilien und gründete außerhalb von Palermo, aber noch westlich des Flusses Oreto, das Kloster Santo Spirito. Zur Besiedelung kamen Mönche aus dem kalabresischen Sambucina, der ersten Niederlassung des Ordens im normannischen Königreich. Die Kirche ist heute der letzte Rest der zisterziensischen Anlage, denn der Konvent erlebte einen Niedergang im 16. Jh., weshalb die Baulichkeiten dem Hospital von Palermo übergeben wurden. Dieses trat sie an die Augustiner und 1573 an die Olivetaner ab. Auf Anordnung des aufgeklärten Vizekönigs Domenico Caracciolo wurden die Klostergebäude 1782 abgerissen um einen Friedhof anzulegen (genannt „Cimitiero di Sant’Orsola“) und die ehemalige Klosterkirche diente von nun an als Friedhofskapelle. Die Aufklärung forderte die Anlage von Großfriedhöfen außerhalb des Stadtgebiets aus hygienischen Gründen. Man fürchtete das Aufsteigen „miasmatischer Dünste“ aus den Gräbern und verbannte deshalb die Toten aus dem Bereich der Lebenden.
Architektur
Inmitten der Friedhofsanlage von S. Orsola erhebt sich der Bau von S. Spirito in eindeutig arabisch-normannischem Stil. Das ist außen an der Verwendung verschiedenfarbigen Gesteins bei der Umrahmung der Spitzbogenfenster (mit abwechselnden Tuff- und Lavasteinquadern) und den verschränkten Kreuzbögen an der Apsis zu erkennen. Der kompakte Ostteil mit drei Apsiden signalisiert, dass hier wie bei den meisten normannischen Kirchen, ein byzantinisches Presbyterium angebaut ist. Eine Kuppel hat das Gebäude nicht, wahrscheinlich aus Gründen der von der Ordensregel verlangten äußersten Einfachheit.
Das nüchterne Innere mit offenem Dachstuhl ist dunkel und weist in den vier Jochen des westlichen Bereichs drei Schiffe auf, die von spitzbogigen Arkaden auf runden gemauerten Pfeilern unterteilt werden. Das anschließende Presbyterium ist um eine Stufe erhöht, hier befinden sich drei weitere Joche, allerdings auf quadratischen Pfeilern, die von den drei Apsiden abgeschlossen werden. Mit der Erhöhung des Presbyteriums und der Verwendung unterschiedlich geformter Pfeiler werden die zwei verschiedenen Bauteile, die die normannische Architektur zusammenführt (das basilikale Langhaus und der byzantinische Zentralraum) auch im Inneren erkennbar.
Nach Bellaflore ist der Bauplan von Santo Spirito, der sich von der trditionellen Zisterzienserarchitektur unterscheidet, für die meisten sizilianischen Kirchen der Normannenzeit typisch, während die Verwendung der rechteckigen und runden Pfeiler wohl eher auf einem Mangel an geeigneten Säulen beruht. Auf jeden Fall ist die Architektur dieses zisterziensischen Bauwerks (wie auch die der Badiazza in Messina, die viele Ähnlichkeiten mit ihr aufweist), sowohl im Bauplan als auch im Dekor arabisch-normannisch.
Die Restaurierung des Architekten Patricolo im Jahr 1882 beseitigte die Anbauten und Eingriffe, die das Gebäude im 16. bis 18. Jahrhundert erlitten hatte und brachte die mutmaßlichen ursprünglichen Stilelemente zurück. Die normannische Fassade, die bereits vorher verloren gegangen war, wurde nicht rekonstruiert, die barocke aber dennoch abgerissen – was der Kirche ein merkwürdiges, unvollendetes Aussehen verleiht.
Die sizilianische Vesper
Vorgeschichte
Am Ort von Santo Spirito del Vespro lokalisiert die populäre Überlieferung den Ausbruch der sizilianischen Vesper, ein Ereignis mit europaweiten Auswirkungen, weshalb es hier etwas detaillierter beschrieben werden soll. Unter staufischer Herrschaft hatte sich der bereits 200 Jahre andauernde Konflikt um den Supremat kirchlicher oder weltlicher Macht ultimativ zugespitzt. Der Vatikanstaat fühlte sich vom Stauferreich im Süden und dem ebenfalls staufischen Kaisertum umklammert und wollte diesen Zustand mit allen Mitteln beenden, wozu auch die Verhängung des Kirchenbanns über Kaiser Friedrich II. gehörte. Diese ursprünglich schärfste Waffe des Papsttums war durch übermäßigen Gebrauch inzwischen stumpf geworden, so dass der Kaiser selbst nach seiner förmlichen Absetzung durch den Papst im Jahre 1245 und der Proklamation zweier Gegenkönige unbehelligt weiter regierte. 1250, nach seinem überraschenden Tod, trat sein (ebenfalls gebannter) Sohn Konrad IV. das Erbe in Sizilien an und konnte sich hier auch durchsetzen. Allerdings starb er, erst 26jährig, schon 1254 und hinterließ seinem zweijährigen Sohn Konradin eine ungesicherte Anwartschaft auf die Herrschaft sowohl in Sizilien als auch im Reich.
Sein Halbbruder Manfred, ein illegitimer Sohn Friedrichs II., übernahm nun das Königreich Sizilien, wurde aber vom Papst als Usurpator angesehen. Das Papsttum fühlte sich als Lehensherr über Sizilien, obwohl dieses vor der Eroberung durch die Normannen formal Teil des byzantinischen Kaiserreichs war. *) Der Papst belehnte deshalb Karl von Anjou, den Bruder Ludwigs IX. von Frankreich 1263 mit dem Königreich Neapel, der daraufhin gegen die Staufer in den Krieg zog und Manfred besiegte. Der Staufer fiel auf dem Schlachtfeld von Benevent und der Anjou erhielt nach dem Sieg auch noch die sizilianische Krone.
*) Der byzantinische General Georgios Maniakes hatte, zwar schon mit normannischen Kriegern, 1037 die erste Rückeroberung des Landes von den Arabern bewirkt, jedoch ging diese anschließend wieder verloren
Karl von Anjou
Der extrem ehrgeizige Karl sah seine sizilianischen Gebiete lediglich als Sprungbrett für seine Interessen im gesamten Mittelmeerraum, wozu für ihn in erster Linie die „Rückeroberung“ des lateinischen Kaiserreichs von Konstantinopel *) zählte. Auch die ehemaligen Kreuzfahrerstaaten im Orient wollte Karl unter seine Herrschaft bringen. Für diese Zwecke plünderte er sein neues Herrschaftsgebiet rücksichtslos aus und machte die Franzosenherrschaft sowohl beim Adel als auch beim Volk extrem unbeliebt. Dazu kam noch sein Vorgehen gegen die Muslime, die während der Normannenzeit und teilweise auch unter den Staufern gleichberechtigte Staatsbürger gewesen waren. Jetzt wurden sie enteignet, vertrieben oder als Ungläubige in Pogromen getötet und diese Ereignisse markierten gleichzeitig das Ende der arabisch-normannischen Kulturverschmelzung. Die negativste Resonanz in Europa erfuhr jedoch sein Vorgehen gegen Konradin, den letzten Staufer. Dieser hatte nach Erlangung der Volljährigkeit versucht seine Krone zurückzuerobern, war aber 1268 von Karl bei Tagliacozzo geschlagen worden. Ihm glückte zunächst die Flucht, doch wurde er gefangen genommen und an Karl von Anjou ausgeliefert. Der ließ den 16jährigen noch im selben Jahr auf dem Marktplatz von Neapel enthaupten, was allgemeines Entsetzen auslöste, vergriff er sich doch damit an einem nach mittelalterlichen Vorstellungen rechtmäßigen Thronprätendenten.
*) Das hatten die Kreuzfahrer 1204 dem byzantinischen Kaiser kurzfristig entrissen.
Der Aufstand
In den fogenden 14 Jahren angevinischer Herrschaft verschlechterte sich das Ansehen der Franzosen beim sizilianischen Volk beständig, sicherlich auch befördert durch Propaganda des byzantinischen Kaisers und Peters III. von Aragon, der eine Tochter Manfreds geheiratet hatte und als Prätendent auf den sizilianischen Thron vom einheimischen Adel unterstützt wurde. Als Auslöser des Aufstands gegen die Franzosen gilt ein Vorfall, der sich angeblich anlässlich des Abendgottesdienstes, der Ostermontagsvesper, am 30. März 1282 vor der Kirche Santo Spirito ereignete. Ein Franzose soll einer Sizilianerin zunahe getreten sein, worauf deren Angehörige den „Ehrverletzer“ sofort töteten. Daraufhin brachen überall in Palermo und im Königreich Rebellionen aus, bei denen die Franzosen gezielt umgebracht wurden. War sich der Lynchmob unschlüssig, ob ein Verdächtiger wirklich Franzose war, musste dieser das für französische Zungen nicht reproduzierbare Wort ciciri nachsprechen, was dann zu seiner eventuellen Identifizierung und Ermordung führte.
Diese Unruhen mündeten in den Vesperkriegen, in deren Verlauf Peter III. in Sizilien landete und aus der Hand des Adels die Königskrone erhielt. Karl von Anjou wurde auf sein neapolitanisches Teilreich zurückgeworfen, wo er die Macht bis zu seinem Tod 1285 behielt; seine Erben regierten so lange, bis die Nachfolger Peters die beiden Gebiete 1442 unter spanischer Regentschaft wieder vereinigten. Karls „Weltreichspläne“ hatten sich durch diese Ereignisse endgültig zerschlagen, allerdings war auch der Traum eines toleranten, interkulturellen und multiethnischen Sizilien ausgeträumt. Die Sizilianische Vesper gilt auf der Insel als Volksaufstand der Sizilianer gegen die ungerechte französische Herrschaft, was besonders durch den patriotischen Historiker Michele Amari popularisiert wurde und wird in Italien als erster Vorläufer des Risorgimento, des Kampfesfür die italienische Einheit und Freiheit gesehen. Doch erst der „Corso dei Mille“ von Giuseppe Garibaldi durch Sizilien und Italien leitete 1860 die tatsächliche Einigung Italiens ein, in der die Bewohner des Südens schon sehr bald wieder hintan standen.
16 La Magione und Santa Maria della Speranza
Santissima Trinità della Magione
Die Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit, allgemein bekannt als La Magione, steht südlich der weitläufigen gleichnamigen Piazza in einem wenig anziehenden Stadtviertel. Nach den (in dieser Gegend besonders verheerenden) Luftangriffen von 1943 wurde bei so genannten Sanierungen in den 60er Jahren weitere Bausubstanz abgerissen und dadurch eine riesige Stadtbrache geschaffen. Erst in neuerer Zeit denkt man über eine Wiederbebauung und Aufwertung der Gegend nach, die mit dem Klosterkomplex von La Magione ein wichtiges normannisches Baudenkmal aufzuweisen hat.
Geschichte
Die Kirche wurde zusammen mit einer Abtei Ende des 12. Jahrhunderts von Matheus von Salerno, dem Kanzler des letzten Normannenkönigs Tancred von Lecce, gegründet. Der war 1190 eiligst auf Betreiben von Matheus gekrönt *) worden, als das Normannenreich durch die Heirat Heinrichs VI. mit der Tochter Rogers II., Konstanze eigentlich an die Staufer fallen sollte. Da die Normannenpartei am Hofe keinen Deutschen als König wollte, präsentierte sie mit Tancred einen Kandidaten aus dem regierenden Königshaus Hauteville, obwohl der von illegitimer Geburt war.
*) Nach dem Zeugnis von Riccardo di San Germano „est per ipsum Cancellarium coronatus Rege“.
Der Komplex der Abtei lag damals in einem dünn besiedelten Gebiet („infra moenia in civitate panormi“) innerhalb der Mauern der Stadt Palermo und war von einem großen Garten („viridarium magnum“) umgeben, der so weitläufig war, dass er in Zeiten der Hungersnot mit Weizen bepflanzt wurde, um die Bevölkerung zu ernähren.
Matheus von Salerno benannte die Abteikirche nach der Heiligen Dreifaltigkeit, keine zufällige Wahl in einer Zeit, in der dieses Konzept aus unterschiedlichen theologischen und philosophischen Sichten diskutiert und dessen Ablehnung als häretisch angesehen wurde. Aus demselben Grund wurde die Abtei auch den Zisterziensern übergeben, da dieser Mönchsorden – in jenen Zeiten der einflussreichste innerhalb der katholischen Kirche – ein Bollwerk der Verteidigung des katholischen Dogmas der Heiligen Dreifaltigkeit war.
Nachdem es ihm endlich gelungen war, die sizilianische Thronfolge anzutreten, vertrieb der Stauferkaiser Heinrich VI. 1197 die ihm feindlich gesinnten Zisterzienser und überließ die Abteigebäude dem Deutschen Ritterorden („ordo hospitalis Sanctae Mariae theutonicorum Jerusalem“), dessen Mitglied er auch selbst war. Die Kirche nahm den Titel „Mansio Sanctae Trinitatis“ an und wurde zum Haus des Deutschen Ordens, („mansio theutonicorum“), woher der Name Magione stammt. Die Ordensritter vergrößerten das Kloster durch ein Hospital für deutsche Pilger ins Heilige Land. Dieses zog aber im Jahre 1328 ins Castello Maredolce um, das König Friedrich III. von Aragòn den Rittern im Austausch gegen einen Teil des Gartens der Magione überlassen hatte.
Den Deutschrittern gehörte der religiöse Komplex noch bis 1492, dann wurde er ihnen entzogen und für fast zwei Jahrhunderte so genannten Kommendaräbten (in commenda = in Obhut) übergeben. (Der erste unter ihnen war Kardinal Rodrigo Borgia, der spätere Papst Alexander VI.) Diese Äbte nahmen viele Veränderungen an dem Bauwerk vor, die schließlich die mittelalterliche Struktur größtenteils verdeckten. Im Jahre 1787 übergab Ferdinand III. von Bourbon die Kirche mit all ihren Besitztümern dem „Konstantinischen Orden des Heiligen Georg“.
In den mehr als acht Jahrhunderten ihres Bestehens wurde die Kirche zahlreichen Restaurierungen unterzogen, darunter die wichtigsten im 19. Jh. von Giuseppe Patricolo und Francesco Valenti, die der Kirche ihr ursprüngliches Aussehen weitmöglichst zurückbrachten, aber auch Wertvolles aus Renaissance und Barock zerstörten. Im oben genannten alliierten Bombenangriff, der das ganze Stadtviertel in Schutt und Asche legte, wurde sie schwer beschädigt, teilweise neu aufgebaut und erneut restauriert.
Das Bauwerk
Die von Handwerkern und Künstlern – auch islamischer Herkunft – vermutlich anstelle einer Moschee errichtete Kirche ist eines der letzten Bauwerke im arabisch-normannischen Stil und hat in reduzierter Form das gleiche architektonische Konzept wie die Kathedralen von Palermo und Monreale. Ihr Äußeres weist eine reiche Vielfalt an dekorativen Motiven auf und zeigt die unverkennbaren Merkmale des arabisch-normannischen Baustils.
Die Fassade besitzt drei spitzbogige, mehrfach abgestufte Portale mit bossierten Quadern, einem größeren in der Mitte, das auch der Eingang zur Kirche ist und zwei kleineren seitlichen. Darüber befinden sich fünf unterschiedlich große Fenster, drei in der Mitte als Blenden und die zwei an den Seiten offen, während das Obergeschoss ein Fenster in der Achse mit dem Hauptportal und zwei flankierende Blenden aufweist.
Die Seiten werden durch mehrfach abgestufte Blendbögen strukturiert. Der östliche Teil des Gebäudes (Presbyterium) ist wie üblich ein separater Bauteil auf dem Grundriss eines byzantinischen Zentralbaus und endet in drei Apsiden, die mit einander überschneidenden Blendbögen geschmückt sind.
Das Innere der Kirche zeigt steile Proportionen und lässt die zwei unterschiedlichen Bauteile deutlich erkennen, den traditionellen Basilikatyp und das byzantinische Presbyterium. Das Langhaus hat drei Schiffe, die durch hohe Spitzbögen voneinander getrennt sind und auf monolithischen Säulen unterschiedlicher Höhe (und unterschiedlicher Provenienz) stehen, deren Kapitelle mit stilisierten Pflanzenmotiven in verschiedenen Formen und Verzierungen versehen sind. Im Bereich des um zwei Stufen erhöhten Presbyteriums wird das typisch normannische Motiv der in die Ecken eingestellten Säulchen vielfach wiederholt. Die Bomben des Kriegs zerstörten die einst prächtig bemalte Holzdecke, jetzt gibt es nur noch einen offenen Dachstuhl.
In der Vergangenheit muss die Kirche reich an wertvollen Artefakten und Kunstwerken gewesen sein, mit Tafelbildern, gemalten Ikonen und Wandverkleidungen aus Marmor und Stuck. Nach Patricolos Restaurierung finden wir sie heute fast kahl, mit nur wenigen Kunstwerken, darunter ein Steinkreuz mit dem Wappen des Deutschen Ordens an der Wand des linken Seitenschiffs.
S. Maria della Speranza
Die vergessene Kirche
Der Kunsthistoriker und Journalist Nino Basile (1866 – 1937) schrieb vor fast einem Jahrhundert: „Vor den Toren Palermos befinden sich völlig vergessene Überreste eines der ältesten christlichen Denkmäler, aus der glorreichsten Periode der christlichen Kunst …“ Er meinte damit die Überreste der normannischen Kirche S. Maria della Speranza, die auch heute noch im Bereich eines nicht öffentlich zugänglichen Busparkplatzes und einer Maschinenwerkstatt, in der Nähe des Corso Pisani im Dornröschenschlaf liegen.
Elio Tocco erinnert in seinem 1984 bei Sugarco erschienenen „Guida alla Sicilia che scompare“ (Führer durch das verschwindende Sizilien) an die historischen Ursprünge eines Ortes, der heute dem Verfall preisgegeben und für die Öffentlichkeit verboten ist: „An der Stelle, an der sich heute die wenigen Überreste der normannischen Kirche Santa Maria della Speranza befinden, stand 595 ein großes Frauenkloster, in das auf Anordnung von Papst Gregor dem Großen einige Nonnen aus dem Kloster San Martino delle Scale überführt wurden, die sich, wie es scheint, schwerer „Vergehen“ schuldig gemacht hatten… der Name des Klosters geht auf diese Episode zurück, auf die gerechte Hoffnung (speranza), die die Nonnen hegten, in die gute Klause von San Martino zurückzukehren“.
Baugeschichte
In arabischer Zeit wurde das Kloster Santa Maria della Speranza wahrscheinlich zerstört, denn die erhaltenen Strukturen des Gebäudes verweisen auf die zweite Hälfte des 12. Jh. Die normannischen Elemente, die heute noch erkennbar sind, finden sich in der Fassade: Die Überreste eines spitzbogigen Eingangsportals und zweier Blendfenster mit einer Umrahmung aus bossierten Quadern. Dieses typisch arabische Motiv wird, insbesondere in der normannischen Spätzeit, häufig verwendet und findet sich auch an den Portalen der Magione, in den oberen Ordnungen der Ecktürme der Kathedrale und im Turmeingang der Kirche Santa Maria dell’Ammiraglio.
Es scheint, dass die Kirche bereits 1576 verlassen und fast eine Ruine war, so dass Erzbischof Marullo sie einige Jahre später dem von ihm gegründeten Kleriker-Seminar zuschlug und sie zu einem Ort der Erholung für die Seminaristen machte, indem er den Garten mit Mauern umgab. Da das Seminar Schwierigkeiten hatte, das Anwesen zu erhalten, übergab er es 1697 in Erbpacht an Don Gerardo Magliocco, der die Kirche im Inneren in zwei Teile teilte und den hinteren Teil als Lagerraum nutzte, wie auf einer Zeichnung von Antonio Mongitore dargestellt. Danach folgten mehrere Besitzer aufeinander, wie Mongitore bis 1723 vermerkt.
Heutiger Zustand
Wiederentdeckt von Nino Basile, der die Überreste identifizierte, die jetzt in die Anlage des Casino Milletari aus dem siebzehnten Jahrhundert am Corso Pisani integriert waren, wurde der Wiederaufbau der Kirche an dem Ort, an dem es der Tradition nach ein von den Sarazenen beschädigtes gregorianisches Kloster gegeben haben soll, den ersten normannischen Rittern zugeschrieben, die Palermo von den Arabern zurück eroberten. Aber in jüngerer Zeit hat man aufgrund der Qualität der Steinbearbeitung und der Bossenquaderung der drei Spitzbögen eine spätere Datierung vorgeschlagen, nämlich auf die Herrschaft Wilhelms II.
Aktuell ist das gesamte Gebäude – das Anzeichen von Renovierungen aus dem sechzehnten Jahrhundert aufweist – von Rissen durchzogen, während das Innere völlig unzugänglich ist. Tocco dokumentierte vor 35 Jahren, dass die normannischen Strukturen als Lager genutzt werden, „vollgestopft mit Holz, Kisten und Maschinen, mit weiß getünchten Wänden, völlig verunstaltet“, eine Nutzung, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte wohl nicht geändert hat. Die einzige Möglichkeit, sich ein Bild des heutigen Zustands zu machen, ist über Google Earth, wenn man die Adresse Via Agostino Catalano Nr. 122 eingibt.
17 Monreale
Kathedrale
Geschichte
Das monumentale Ensemble in dem kleinen, südlich von Palermo gelegenen Bergort Monreale besteht aus der Basilika mit dem größten erhaltenen Mosaikenzyklus neben der Hagia Sophia in Konstantinopel, einem Benediktiner-Kloster mit einem prachtvollen Kreuzgang und einem Königspalast, der heute allerdings stark verbaut ist. Es wurde im zwölften Jahrhundert vom letzten legitimen Normannenkönig Siziliens, Wilhelm II., dem Guten, erbaut. (Die Beinamen der beiden Wilhelme sind nicht zeitgenössisch, aber treffend: Während Wilhelm I., der Böse, mit politischen Unruhen und der Niederschlagung eines Adelsaufstandes konnotiert ist, wird das Ansehen seines Sohnes für immer mit dem Wunderwerk von Monreale verbunden bleiben). Der Legende nach erschien dem König, als er sich nach der Jagd unter einem Baum ausruhte, im Traum die Jungfrau Maria. Sie forderte ihn auf, ihr zu Ehren eine Kirche zu bauen und zeigte ihm den Ort, an dem sein Vater einen Schatz versteckt hatte. Diesen sollte er für die Aufführung des Baus nutzen. In Wirklichkeit waren die Gründe für den Bau der Kathedrale von Monreale und die Schaffung eines weiteren Erzbistums rein politische.
Wilhelm II. (1153 – 1189) wurde nach dem Tod seines Vaters Wilhelm I. 1166 im Alter von nur dreizehn Jahren König. Als sein Vormund fungierte Walter von Palermo (Gualtiero Offamilio), Mitglied des Familiarenrats, der drei Jahre später zum Erzbischof von Palermo geweiht wurde. In den Jahren der Minderjährigkeit des Königs war es Walter gelungen, sich eine starke politische Autorität zu verschaffen, die den Unwillen des Papstes erregte, als Offamilio Kontakte zu Friedrich Barbarossa herstellte und eine dynastische Verbindung zwischen Staufern und Normannen einfädelte.
Als Wilhelm II. volljährig wurde und selbst die Regierungsgeschäfte übernahm, existierten zwei Parteien am Hof, eine stauferfreundliche mit Offamilio und eine königstreue mit dem späteren Kanzler Matheus von Salerno an der Spitze. Um Offamilios Macht zu schmälern, betrieb Wilhelm II. die Gründung einer neuen Erzdiözese in Monreale auf Kosten derjenigen im nahe gelegenen Palermo, die bis dahin der einzige Erzbischofssitz auf der ganzen Insel gewesen war. Weite Teile des palermitanischen Territoriums wurden Monreale zugeschlagen, wodurch Offamilio einen Großteil der Einkünfte aus dem ihm entzogenen Land verlor. Dagegen wurde der Abt-Erzbischof von Monreale dank der von Wilhelm II. gewährten Vergünstigungen in kurzer Zeit zum größten Landbesitzer nach dem Landesherrn.
Wilhelm II. begann ab 1174 mit dem Bau des Komplexes von Monreale, der in nur zehn Jahren fertiggestellt und zur neuen Grablege des normannischen Königshauses bestimmt wurde. Bereits 1176 wurde die der Jungfrau Maria geweihte Kirche vom Landesherrn an Benediktinermönche aus Cava dei Tirreni unter der Leitung des Abtes Theobald übergeben, der gleichzeitig auch zum Bischof geweiht wurde. Wenige Jahre später, im Jahr 1183, erhob Papst Lucius III. Monreale zum Erzbischofssitz; Walters Antwort auf diese Herausforderung war der Abriss der alten Kathedrale von Palermo aus dem 6. Jh. und der Bau einer neuen, größeren und reicheren, die 1185 geweiht wurde, obwohl noch viele Jahre für ihre Fertigstellung benötigt wurden.
Der Gewinner dieses merkwürdigen Wettkampfes der Kathedralen war dennoch Wilhelm II., dem mit der Schöpfung von Monreale die überzeugendste Demonstration normannischer Kultur und Staatsmacht in Sizilien gelang. Die Kirche ist eingebettet in ein architektonisches Gesamtprojekt, das den königlichen Palast auf der einen Seite und das Kloster auf der anderen Seite der Anlage platzierte. Als Zeichen des guten Zusammenwirkens der tragenden Mächte Kirche und Staat dienten die beiden Throne, des königlichen und des erzbischöflichen Sitzes, die im Presbyterium, rechts und links des Altars einander gegenüber stehen und sowohl vom Königspalast als auch vom Kloster aus direkt erreichbar waren.
Der Dom
An der Piazza Guglielmo II steht die Doppelturmfassade der Kathedrale, die auf französisch-normannische Vorbilder zurück geht. Der eine Glockenturm ist niedriger als der andere, da er 1807 durch einen Blitzschlag teilweise einstürzte. Die Wirkung der Fassade wird durch die dreibogige klobige Loggia mit ebensolcher Balustrade aus dem achtzehnten Jahrhundert stark beeinträchtigt, da sie die ineinander verschlungenen Bögen aus Kalkstein und Lava, ein typisch arabisches Dekorationselement, teilweise verdeckt.
Eine weitere Vorhalle, wesentlich eleganter und aus der Renaissance stammend, befindet sich am nördlichen Seitenschiff, von beiden führen großartige Bronzeportale ins Innere.
Die Bronzeportale
Das von arabisch-normannischen Ornamenten umrahmte Hauptportal im Westen birgt die berühmten Bronzetüren, die Bonannus von Pisa, Bildhauer und Architekt (u. A. des schiefen Turms), 1186 geschaffen und signiert hat. Die zwei Flügel, die zu den größten Exemplaren ihrer Art gehören (7,8 x 3,7 m), bestehen aus sechsundvierzig Relief-Tafeln mit biblischen Episoden, versehen mit kurzen Inschriften in Latein oder der gerade entstehenden italienischen Volkssprache. Verbunden sind die Tafeln durch einen mit Stegen unterteilten Bronzerahmen. Diese Konstruktionsweise hat zu der Annahme geführt, dass die Einzelteile in Pisa gegossen und erst vor Ort zusammen gesetzt wurden, was auch durch einheimische Handwerker bewältigt werden konnte.
Das von Mosaikbändern mit islamischen Mustern gesäumte Nebenportal ist etwas kleiner, besitzt aber ebenfalls ein wertvolles Exemplar der im Mittelalter so raren Bronzetüren. Es stammt von dem apulischen Erzgießer Barisanus von Trani, der weitere Werke dieser Art in Ravello und Trani hinterlassen hat. Er arbeitete mit Gussmodeln, die die Vervielfältigung der von ihm geschaffenen Bildtafeln ermöglichten, weshalb wir die gleichen Motive auch in Ravello und Trani finden. Barisanus legte die 24 Tafeln auf einem hölzernen Träger aus und nagelte sie mit Bronzenägeln und Rahmenbändern aus demselben Material fest. Sie sind keine reine Bilderbibel sondern zeigen Heiligenfiguren und heilige Geschichten sowie mythologische und profane Szenen.
Die Ostansicht
Im Gegensatz zur klassizistisch verbauten Westfront zeigt die Ostansicht mit den drei Apsiden dem von Palermo Kommenden die volle Schönheit des arabisch-normannischen Baustils: Polychrome Dekorationen, die durch den geschickten Einsatz von gelblichem Kalkstein, grau-schwarzer Lava und roten Ziegeln in horizontalen Bändern gebildet werden, überziehen die gesamte Ostpartie. Das Hauptmotiv sind einander überkreuzende Bögen, die von kleinen, auf hohen Sockeln ruhenden Säulen ausgehen. Sie werden durch Blendrosetten mit geometrischen Mustern unterschiedlicher Größe und Gestaltung bereichert.
Das Innere
Das 102 Meter lange Innere der Kathedrale von Monreale weist die für normannische Bauten charakteristische Kombination von basilikalem und byzantinischem Grundriss auf. Das grandiose Langhaus, dreimal breiter als die Seitenschiffe, wird durch 17 antike Granitsäulen und eine aus Zwiebelmarmor in drei Schiffe unterteilt. Die Verwendung der einen Säule aus anderem Material hat symbolische Bedeutung, die in diesem Bauwerk grundsätzlich eine große Rolle spielt: Ursprünglich an zweiter Stelle platziert, weist sie durch den weniger dauerhaften Marmor auf die geringere Rolle des Menschen innerhalb der durch den „ewigen“ Granit symbolisierten göttlichen Ordnung hin. (Bezeichnender Weise musste gerade diese Säule aus statischen Gründen ausgebaut werden und steht jetzt an erster Stelle). Die ebenfalls römischen Kapitelle der Säulen sind mit heidnischen Motiven verziert. Die Wiederverwendung von Material aus heidnischen Gebäuden im Dom soll zum Ausdruck bringen, dass der christliche Glaube letztendlich über den Unglauben triumphiert. Auch die traditionelle Ausrichtung von Kirchen hat eine symbolische Bedeutung: Der Eingang liegt im Westen, das Presbyterium mit dem Altar und den Apsiden im Osten, was dafür steht, dass die Gläubigen das Gotteshaus aus der Himmelsrichtung der Dunkelheit und Sünde, wo der Tag untergeht, betreten und in Richtung des Sonnenaufgangs voranschreiten, wo sie Jesus als Pantokrator (der alles Beherrschende) im Licht des ewigen Lebens begrüßt.
Das gegenüber dem Schiff erhöhte Presbyterium auf kreuzförmigem Grundriss ist der wichtigste Teil des Domes. In seinem Zentrum stehen die beiden Throne, während sich die königlichen Gräber im Querschiff befinden. Über dem nördlich etwas höher stehenden Königsthron aus reich verziertem Marmor mit gemeißelten Löwen, Greifen und Verzierungen aus kostbarem rotem Porphyr ist das Mosaik mit der Krönung Wilhelms II. angebracht. Wie schon in S. Maria dell‘Ammiraglio wird der Monarch von Jesus direkt gekrönt und trägt den byzantinischen Kaiserornat. Der schlichter gehaltene Bischofsthron steht südlich gegnüber und das entsprechende Mosaik zeigt die Übergabe der Kirche an die Jungfrau Maria. Ausgerechnet in diesem Teil der Kirche entstanden 1811, nach einem Brand des Dachstuhls, große Schäden. Die herunterstürzenden, verkohlten Dachbalken zerschlugen im Querschiff die königlichen Sarkophage – jedoch wurde alles Zerstörte akribisch rekonstruiert. Im südlichen Querarm ruht Wilhelm der Böse in seinem wieder zusammen gesetzten Porphyrsarg, einem der vier von Roger II. für die königliche Grablege beschafften Originale. Dahinter liegt Wilhelm der Gute in einem Marmorsarg aus der Renaissance. Auf der gegenüberliegenden Seite befinden sich im nördlichen Querarm die 1811 erneuerten Särge der Ehefrau Wilhelms I. und seiner beiden Söhne.
Das Presbyterium wird im Osten durch die drei Apsiden begrenzt. Der Blick richtet sich zuerst auf die monumentale Hauptapsis, wo der griechisch so bezeichnete ΙC Ο ΠΑΝΤΟΚΡΑΤΟΡ (Jesus Christus der alles Beherrschende) mit der rechten Hand den Segen spendet. Er tut das mit dem klassischen Gestus der byzantinischen Ikonen, bei dem Daumen, Ring- und kleiner Finger das trinitarische Zeichen machen, während der Zeigefinger und der Mittelfinger ein griechisches Kreuz bilden.
In der anderen Hand hält er ein zweisprachiges Buch (Lateinisch – Griechisch) mit der lateinischen Inschrift „EGO SU(M) LUX MUNDI. Q(UI) SEQIT ME N(ON) A(M)BULAT IN TENEBRIS“ (Ich bin das Licht der Welt. Wer mir folgt, wandelt nicht in der Finsternis). Darunter die Figur der Jungfrau mit dem Kind, mit der griechischen Inschrift „panacròntas“ (ganz unbefleckt), flankiert von Engeln und Aposteln. In die Ecken der Apsis sind Säulen aus ägyptischem rotem Porphyr eingestellt, einem kostbaren und raren Gestein, das nur Königen und Kaisern vorbehalten war. In den beiden Seitenapsiden sind die Apostelfürsten dargestellt, der heilige Petrus links und der heilige Paulus rechts.
Die Mosaiken
Die Mosaiken sind der wertvollste Schatz dieses an Kunstwerken so reichen Sakralbaus, sie bedecken die gesamten Wände außer der Erdgeschosszone, die (genau wie der Fußboden) mit intarsierten Marmorplatten verkleidet ist. In einer Zeit, in der die überwiegende Mehrheit der Bürger Analphabeten waren, stellte die Mosaikkunst (wie auch die Malerei und die Bildhauerei) die „Biblia pauperum“, dar, die Bibel der Armen und hatte den Zweck, bildlich darzustellen, was der Priester predigte und lehrte. Auf diese Weise konnte den illiteraten Gläubigen die Heilsgeschichte leichter vermittelt werden. 130 Einzeldarstellungen auf 6400 m2 erzählen die Geschichten des Alten Testaments und das Leben Christi und erläutern den göttlichen Plan für die Erlösung, beginnend mit der Erschaffung der Welt und des Menschen.
Die oberen Wände des Kirchenschiffs erzählen Episoden aus dem Alten Testament, von der Erschaffung der Welt bis zu Adam im irdischen Paradies (in der rechten Wand); von der Erschaffung Evas bis zu ihrer Vorstellung bei Adam (in der hinteren Fassade); von der Versuchung Evas bis zu Noah, der Anweisungen zum Bau der Arche gibt (in der linken Wand).
Auf der unteren Ebene der Wände des Kirchenschiffs finden wir auf der rechten Seite Episoden, die vom Bau der Arche Noah bis zu Abraham, der die drei Engel beherbergt, reichen; auf der linken Wand von der Opferung Isaaks bis zu Jakobs Kampf mit dem Engel. Es folgen die Geschichten des Neuen Testaments.
In den Apsiden der Seitenschiffe befinden sich die Figur des Heiligen Paulus und seine Geschichte (rechts) und die Figur des Heiligen Petrus und seine Geschichte (links).
Barockausstattung
Da die Kathedrale von Monreale immer hoch berühmt und auch für das regierende spanische Königshaus von Bedeutung war, wurde sie stets baulich unterhalten und auch mit neuen Kunstwerken ausgestattet. Diese können jedoch mit denen aus Siziliens Blütezeit nicht mithalten. Als Beispiel dafür mag der im Jahr 1773 auf Geheiß des Erzbischofs Francesco Testa aufgestellte neue Hochaltar dienen (anstelle des vorherigen, von dem wir keine genaue Beschreibung haben), ein protziges Werk aus Silber, hergestellt in Rom von Luigi Valadier.
Das Kloster und der Kreuzgang
Das Kloster
Durch die Gründung des neuen Bistums Monreale und die Errichtung der Kathedrale entstand ein großer Bedarf an Klerikern für die Abhaltung des Gottesdienstes, die Verwaltung des Bistums und die üblichen Aufgaben der Kirche wie Unterricht und Hospitaldienst. Dafür richtete Wilhelm II. neben dem Dom ein Kloster ein und berief 100 Benediktinermönche aus der Abtei Cava dei Tirreni bei Salerno zu seiner Besiedlung.
Über die Größe des Vorhabens informiert, gewährte Papst Alexander III. noch während des Baus sofort eine Reihe von Privilegien, wie die Befreiung des Klosters von der geistlichen Gerichtsbarkeit jeder anderen Behörde, das Recht, Güter jeglicher Art übereignet zu bekommen, die Befreiung von Steuern, das Recht auf Asyl, die Bischofsinsignien für den Abt und die geistliche Gerichtsbarkeit über das Territorium des Bistums und die dazu gehörigen Menschen. Die Erzdiözese von Monreale wurde durch diese Konzessionen zu einer der größten und reichsten im Königreich Sizilien.
Wie schon in der benachbarten Kirche entfaltete das normannische Königshaus auch beim Klosterbau alle denkbare Pracht. Angebaut an das südliche Seitenschiff des Doms entstand ein sehr großes Geviert von Gebäuden für die Bischofsresidenz, das Refektorium und Dormitorium der Mönche sowie die üblichen Funktionsräume eines Klosters. Sie gruppierten sich um den Kreuzgang, der zusammen mit den Mosaiken des Doms das zweite Wunderwerk von Monreale darstellt. Westlich daneben liegt ein weiterer, aber rechteckiger Hof für die Wirtschaftsgebäude. Der ganze Komplex war mit Mauern und Türmen befestigt, so dass er eine uneinnehmbare Festung oberhalb der Hauptstadt Palermo bildete.
Während der Bischofspalast immer wieder modernisiert wurde, verfielen die übrigen Klostergebäude, das riesige Dormitorium stand sogar bis vor kurzem ohne Dach. Nach einem Zustand der Vernachlässigung seit dem vierzehnten Jahrhundert wurde das Kloster in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts wieder aufgebaut, das barocke Portal am Eingang auf der Piazza Guglielmo ist aus dem Jahr 1747.
Kreuzgang
Der Kreuzgang blieb jedoch von allen Veränderungen verschont und präsentiert sich heute im gleichen Zustand, in dem ihn Wilhelm damals errichten ließ. Er wurde im arabisch-normannischen Baustil auf quadratischem Grundriss von 52 x 52 m errichtet, umstanden von einem Säulengang mit 26 Spitzbögen pro Seite, in dessen südwestliche Ecke ein kleineres, ebenfalls quadratisches Geviert eingestellt ist, der Brunnenhof. Die Ecken des Kreuzgangs werden durch Gruppen von reich skulptierten Vierersäulen und durch die Pracht ihrer Kapitelle und Kämpfer akzentuiert.
Doppelsäulen aus Marmor tragen die spitzbogigen Arkaden, alle verschieden, einige mit Mosaiken bedeckt, andere glatt; einige mit Skulpturen versehen, andere mit vegetabilen Steinmustern geschmückt. Auf ihren Sockeln sind die unterschiedlichsten Motive dargestellt: stilisierte Blätter, Rosetten, Löwentatzen, Tierköpfe, Menschen- und Tiergruppen, Frösche und Eidechsen. Ihre Ausführung weist qualitative Unterschiede im Vergleich mit den Kapitellen auf, so dass angenommen wird, dass sie einheimischen Handwerkern (s. u.) anvertraut wurde. Die aufwändigeren Skulpturen wurden wahrscheinlich an den wichtigsten Durchgängen (zur vita communis der Mönche wie Schlafsaal und Refektorium sowie an Ein- und Ausgängen) platziert.
Die Fülle von reich skulptierten Kapitellen ist in Italien einzigartig, sie tragen eine Unzahl figürlicher Motive mit biblischen Erzählungen. Die große Detailgenauigkeit, der Realismus und die ausgefeilte Technik lassen an eine Ausführung durch Bildhauer aus Südfrankreich denken, die zu dieser Zeit in der romanischen Plastik führend waren. Besonders eindrucksvoll sind die Kapitelle der vier Ecksäulengruppen:
- In der Nordwestecke mit Pflanzenmotiven und Raubvögeln.
- In der Südwestecke mit der Mission der Apostel, der Flucht nach Ägypten und der Darstellung im Tempel.
- In der Südostecke mit majestätischen Einzelfiguren u. a. Ecclesia und Synagoge sowie Konstantin und Helena zu beiden Seiten des Kreuzes.
- Die besonders schönen in der Nord-Ost-Ecke zeigen den Erzengel Gabriel, der der Jungfrau die Geburt Jesu ankündigt, die Gruppe der Heimsuchung mit Maria und Elisabeth,, die Verkündigung an die Hirten und die Anbetung der Heiligen Drei Könige.
Im Ostflügel des Kreuzgangs gibt es Darstellungen der Schöpfungsgeschichte, wie die Vertreibung von Adam und Eva aus dem irdischen Paradies (7. Kapitell, Ostseite), die Ermordung Abels und das Opfer Isaaks.
Im Südflügel erkennt man Motive aus der Antike: Ein auf einem Seepferdchen reitender Knabe und ein weiterer, der auf einer Meerjungfrau reitet. Ferner ein Mann, wahrscheinlich de persische Sonnengott Mithras, der einen Stier tötet.
Besonders bemerkenswert im Westflügel ist das 19. Kapitell (das „Weihekapitell“), auf dem der König seine Kathedrale der Jungfrau Maria darbringt.
Die einzige signierte Bildhauerarbeit ist das 12. Kapitell im Nordflügel mit der Inschrift am oberen Rand: “EGO ROMANUS FILIUS COSTANTINUS MARMORARIUS”.
Der Klosterbrunnen
Der ganz aus hellem Marmor bestehende Brunnen, auch Fontana del Re (Königsbrunnenen) genannt, hat ein rundes Becken, aus dem sich eine mit normannischem Zickzack-Ornament verzierte Säule erhebt. Ihre kugelförmige Bekrönung ist mit Figuren geschmückt, die sich den Künsten des Tanzes und der Musik zuordnen lassen. Aus zwölf löwenartigen Mäulern rinnt das Wasser in das Becken.
Auf den Kapitellen der vier Ecksäulen der Brunnenanlage sind verschiedene landwirtschaftliche (pastorale) Tätigkeiten dargestellt, die die zwölf Monate des Jahres symbolisieren, begleitet von lateinischen Inschriften mit dem Namen des dargestellten Monats. Der Kalender ist nach Jahreszeiten geordnet: Frühling im Osten, Sommer im Norden, Herbst im Westen und Winter im Süden.
Königspalast
Reste des Normannischen Königspalastes sind im ehemaligen Priesterseminar der Diözese an der Nordseite des Doms erhalten geblieben. Die Restaurierungen von 1923 und erst kürzlich noch einmal haben ein rechteckiges, dreistöckiges Gebäude frei gelegt, das der Zisa, einem anderen Palast aus Wilhelms Zeiten, recht ähnlich ist.
Es dient jetzt als Museum, in dessen Inneren einige Räume aus normannischer Zeit rekonstruiert wurden. Außen kann man in der engen Via Arcivescovado noch normannische Blendbögen und spitzbogige Fenster erkennen, entsprechend der Architektur der Cuba und Zisa.
Castellaccio
Fährt man von Palermo nach Monreale hinauf, sieht man schon von weitem auf dem Gipfel des Berges Caputo (766 m über dem Meeresspiegel), die Burg San Benedetto, das einzige Beispiel einer Klosterfestung im Westen Siziliens. Heute wird sie – mit dem pejorativen Suffix -accio belegt – Castellaccio genannt, weil sie seit Jahrhunderten ihres Daches beraubt ist und nur noch als Ruine existiert. Zur Entstehungszeit im zwölften Jahrhundert war sie jedoch ein machtvolles Zeichen für den neu geschaffenen Bischofssitz und das Kloster Monreale, zu deren Verteidigung sie diente. Schon lange vorher hatte dieser Platz als Ausguck gedient um vor den Schiffen der sarazenischen Piraten zu warnen, die vor der endgültigen Eroberung die Einwohner von Palermo und ihre Umgebung terrorisierten. Verschiedene Dokumente erwähnen den Castellaccio auch als Ort der Erholung oder Rekonvaleszenz für die Mönche des Klosters, denn insbesondere im Hochsommer herrschte auf dem Gipfel wegen des von der See kommenden Windes ein angenehmes Klima.
Es ist dennoch klar zu erkennen, dass der Hauptzweck der Burg militärisch war, wie an der Mauerstärke (durchschnittliche Dicke von 1,50 m), den vorspringenden Türmen, den Schießscharten mit großem Bedeckungswinkel, dem verwinkelten Zugang sowie der Abwesenheit jeglichen Zierrats ersichtlich ist. Der monumentale, lang gestreckte Komplex mit Abmessungen von 80 × 30 m und einer Fläche von 2295 m2 ist von Verteidigungsmauern aus behauenen Kalksteinblöcken umgeben, die mit sieben ziemlich regelmäßig angeordneten rechteckigen Türmen ausgestattet sind, an der westlichen Längsfront mit vier, auf der Ostseite mit nur drei. Das Ganze ist, dem fortifikatorischen Zweck entsprechend, mit wenigen Öffnungen versehen: zwei Eingangstüren im Norden, einige spitzbogige Monoforen und schmale, langgestreckte Schießscharten für Bogenschützen. Die Nordfassade stellt die monumentale Eingangssituation dar, sie enthält ein hohes Spitzbogenportal im Nordostturm und ein kleines Portal im stattlichen, zweistöckigen Saal daneben. Daran schließt sich südlich der Wohnbereich mit zahlreichen nicht mehr identifizierbaren Räumen an, die um einen langgestreckten Hof angeordnet sind. Es folgen ein quadratischer Hof, offensichtlich der Kreuzgang und im Südriegel die ihres Daches beraubte Kirche mit drei eindrucksvollen Apsiden auf ihrer Ostseite. Sie ist mit einem zusätzlichen Portal versehen um Gläubigen den Besuch ohne Störung der Klausur zu ermöglichen.
In den Unruhen nach der Sizilianischen Vesper, als die Anhänger Karls von Anjou gegen die Peters von Aragòn kämpften, wurde die Burg durch Truppen von Giovanni Chiaramonte erheblich beschädigt, aber angesichts ihrer strategischen Bedeutung auf Anordnung von Papst Urban V. rasch wieder hergestellt. Im sechzehnten Jahrhundert begann dann der langsame Verfall des Castellaccio, der sich bis 1898 fortsetzte, als Giuseppe Patricolo endlich die Restaurierung in Angriff nahm. Die Bedeutung der Anlage liegt heute darin, dass sie durch das Fehlen sonst üblicher Umbauten ein relativ unverfälschtes Bild einer Burg aus der Normannenzeit bietet. Seit einigen Jahren dient sie als Berghütte des Club Alpino Siciliano, der Wanderern einige Betten und rustikale Küche anbietet.
19 Der Dom von Cefalù
Geschichte
Das großartigste, was die Normannen in ihrem sizilischen Königreich schufen, sind die drei Dome von Cefalù, Monreale und Palermo. Während die beiden letzteren auf Wilhelm II., den letzten Normannenkönig zurückgehen, ist Cefalù eine Gründung Rogers II. Laut Gründungslegende geriet er in einen heftigen Sturm, als er mit dem Schiff von Salerno nach Palermo reiste und gelobte in seiner Todesangst, eine Kirche an dem Ort zu errichten, an dem er und seine Mannschaft sicher landen würden. Als er schließlich unversehrt in Cefalù auf sicherem Boden war, gab er 1131 den Auftrag, hier das versprochene Gotteshaus zu Ehren des Heilands und der Apostel Petrus und Paulus zu errichten.
Zuerst erneuerte man das bereits im neunten Jahrhundert erwähnte und in der Zeit der arabischen Herrschaft verschwundene Bistum Cefalù, stattete es mit großen Ländereien aus und bereicherte es mit Privilegien. Augustiner-Chorherren aus Bagnara Calabra waren für die Organisation der Gottesdienste zuständig, ihr Abt Jocelmo wurde der erste Bischof von Cefalú (1130 – 1150). Die Bauarbeiten begannen mit der Grundsteinlegung am Pfingstsonntag des Jahres 1131. Bei der Zeremonie waren der König selbst, der Erzbischof von Messina, dem die neue Diözese Cefalù unterstand, die übrigen Bischöfe des Landes und der sizilianische Adel anwesend.
Der Bau
Die Baugeschichte des Doms von Cefalù ist sehr komplex, mit Planänderungen und unerwarteten Rückschlägen. Das ursprüngliche Projekt sah einen gewaltigen Bau mit Doppelturmfassade im nordeuropäisch-romanischen Stil vor. Anders als in den Kirchen Palermos gibt es hier keine Verschmelzung des byzantinischer Zentralbaus mit dem romanischen Langhaus. Ganz wie die Bauten im Norden sollte Cefalù hoch aufragende Schiffe erhalten, die anstelle der in den Domen von Palermo und Monreale zu findenden Flachdecken aus Holz mit steinernen Gewölben überdeckt wurden. Obwohl es keine Nachweise von nordeuropäischen Bauhandwerkern gibt, ist es doch sehr plausibel, deren Mitwirkung an dem Bau anzunehmen. Die Ausführung der Ostteile mit Querschiff und Staffelchor ist im Norden Standard, kommt aber in Sizilien nur hier vor. Einzigartig sind auch die Laufgänge, die eingelassen in die Mauerstärke unterhalb der Dachzone, das Querschiff umlaufen. Sie sind ein konstituives Element der Normannenbauten in England und der Normandie, kommen aber im Süden nur hier und in Resten in den Ostteilen der Kathedrale von Palermo vor.
Wie bereits in der Cappella Palatina (und später in Monreale), sollten auch in dieser Großkirche Mosaiken die Wände und die Apsiden bedecken. Wie aus den vielen griechischen Beschriftungeersichtlich, waren dabei auch Handwerker aus Byzanz oder Griechenland tätig. Ihr Stil wird am silbrigen Glanz der Goldmosaiken und der strengen byzantinischen Ikonografie deutlich. Die einheimischen Meister bevorzugten einen lockereren, detaillierteren Erzählstil, wie man besonders gut in der Kathedrale von Monreale sehen kan
1145 müssen die Ostteile schon so weit fortgeschritten gewesen sein, dass Roger den Auftrag zu einer königlichen Grablege geben konnte. Das normannische Königtum Sizilien strahlte einen solchen Glanz auf Europa aus, dass ein repräsentabler Begräbnisort für seine Herrscher unabdingbar erschien. Es wurden zunächst zwei imperiale Porphyrsarkophage angefertigt, deren Hersteller sich bei der Wahl des „kaiserlichen Steins“ und der Form der Särge an byzantinische oder altrömische Traditionen anlehnten. Aufgestellt wurden sie unter reich mosaizierten Baldachinen auf sechs Mosaiksäulen im nördlichen und südlichen Querschiff und sollten die sterblichen Überreste der Könige aus dem Hause Hauteville aufnehmen.
Das Fragment
Als Roger II. 1154 überraschend verstarb, war der Dom von Cefalù bestenfalls im Osten fertig. Roger wurde deshalb nicht hier, sondern erst einmal in der Krypta der alten Kathedrale von Palermo beigesetzt. Seine Nachfolger Wilhelm I. und II zeigten wenig Neigung, das aufwändige Projekt außerhalb der Hauptstadt weiter zu finanzieren, hatten sie doch eigene Bauvorhaben wie die Lustschlösser und den Park Genoard sowie die Kathedrale von Monreale. So verlangsamten sich die Bauarbeiten und kamen schließlich ganz zum Erliegen. Gegen 1170 entschloss man sich, den Bau unter großen Vereinfachungen unaufwändig und schnell zu vollenden. Man verzichtete auf die monumentale Höhe, die Chor und Querschiff schon hatten sowie auf weitere Gewölbe und führte das Langschiff in reduzierter Höhe mit einer offenen Balkendecke zu Ende. Auch die Mosaizierung des Kircheninnern stellte man ein, so dass die Figur des höchst eindrucksvollen Pantokrators in der Apsis der einzige Höhepunkt der Mosaikausstattung bleibt. Unter Friedrich II. von Hohenstaufen entfernte man heimlich die royalen Porphyrsarkophage um sie für die imperiale Grablege im neuen Dom von Palermo zu verwenden.
Obwohl trotz alledem noch monumental, ist der Dom von Cefalù nur ein Fragment dessen, was hier einmal geplant war. Am besten kann man das nachvollziehen, wenn man das Gebäude an der Südseit so weit wie möglich umrundet. Hier ragen die Ostteile zu beeindruckender Höhe auf, bedeckt mit Bauschmuck, wie wir ihn von Kathedralen in England und der Normandie kennen: Lisenen, Blendbögen, Kreuzbogenfriese mit Zickzackmustern, Pilaster. Am Eindrucksvollsten ist die Übergangsstelle vom Querschiff zum Langschiff, wo außen die volle Höhe des Vierungsbogens aufragt, während er innen vermauert ist und den Blick auf das höhenreduzierte Langhaus freigibt. Der Kreuzgang des zur Kathedrale gehörenden Augustiner-Chorherrenstifts wurde bei den Restaurierungsarbeiten der letzten 20 Jahre rekonstruiert und bildet eine stimmungsvolle Oase der Stille. Bei diesen Arbeiten betrieb man auch die Purifizierung des Innenraums vom später aufgetragenen Barockstuck, was glücklicher Weise wieder eingestellt wurde, weil das Ergebnis doch zu trist aussah.
Als die Basilika 1267, wenige Monate vor der Einweihung des Doms von Monreale, endlich konsekriert wurde, war die Normannen- und Stauferzeit bereits abgelaufen. Unter den Anjou verschwanden die arabischen Einflüsse in Süditalien. Da ist es tröstlich, an der Domfassade, ähnlich wie in Monreale, ein letztes Mal ein arabisches Motiv, die sich überkreuzenden Blendbögen, auftauchen zu sehen.
20 Weitere Normannenbauten im Königreich Sizilien
Während Palermo voll von Bauten des arabisch-normannischen Stils ist, findet man sie in den anderen Teilen des Königreichs nur vereinzelt. Das mag daran liegen, dass die Bautätigkeit in der Hauptstadt vom Königshaus bestimmt wurde, dem ganz andere Ressourcen zur Verfügung standen als Landadligen oder kleineren klerikalen Gemeinschaften. Dennoch findet man arabisch-normannische Gebäude in allen Teilen des Landes, auch auf dem Festland, dort allerdings mit etwa 50-jähriger Verspätung, insbesondere wenn es sich um arabisch beeinflusste Kunst handelt. Das ist ein weiteres Indiz dafür, dass das arabische Element dieses Stils nicht von der ortsansässigen muslimischen Bevölkerung stammt, sondern von ausländischen Spezialisten, die vom Königshaus aus Nordafrika oder Ägypten herangeholt wurden. Da sie zunächst in der Hauptstadt wirkten, erscheint es einleuchtend, dass sie in der „Provinz“ erst später auftauchten.
1 Cefalà Diana
Der von einer zerstörten Normannenburg überragte kleine Ort Cefalà Diana liegt im Bergland zwischen Cefalù und Palermo. Hier befindet sich eines der erstaunlichsten Bauwerke aus der Zeit des normannischen Königreiches: Ein Hamam (Badehaus) in rein arabischem Stil. Mit dem Fall des Römerreiches war auch dessen Badekultur verschwunden, die sich in solch gewaltigen Bauwerken wie den Caracallathermen in Rom manifestierte. Nur in einem Staat wie dem römischen mit einer durch Ausbeutung von Sklaven und der Ressourcen anderer Länder betriebenen Wirtschaftsform konnten diese Anlagen errichtet und unterhalten werden. Nach dem Untergang des Imperiums wurde das unmöglich und sie verkamen zu den monströsen Ruinen, die heute noch antike Ausgrabungen dominieren. Im europäischen Mittelalter war die Erinnerung an den hohen römischen Standard von Hygiene und Körperkultur völlig verloren gegangen, aber die Araber, die seit der Expansion des Islam u. A. auf den Trümmern des Römerreiches eine neue Hochkultur entwickelt hatten, griffen diese Tradition wieder auf und passten sie ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten an.
Obwohl völlig arabisch aussehend und mit einer ebensolchen Inschrift versehen, ist das Bad von Cefalà Diana – wie die Schlösser La Cuba und La Zisa in Palermo – ein rein normannisches Bauwerk, das erst nach dem Sieg über die Araber in Sizilien entstanden ist. Dies wird u. A. durch die Tatsache gestützt, dass Muhammad-al-Idrisi, der berühmte arabische Hofgeograph König Rogers II., in seinen Reisebeschreibungen zwar Cefalà Diana erwähnte, nicht aber die Bäder, obwohl er solche an anderen Orten Siziliens für erwähnenswert hielt. Obendrein lässt die Nichterwähnung zu Rogers Zeiten darauf schließen, dass die Anlage unter Wilhelm I. und II. entstand, als der arabische Einfluss in der Baukunst der Normannen am größten war. (Siehe die oben genannten Lustschlösser). Das Gebäude präsentiert sich von außen als Konstruktion in Gussmauerwerk, von dem sich eine in Sandsteinblöcke eingemeißelte arabische Inschrift abhebt, die sich um drei Seiten des Bauwerks herumzieht. Auf einer der drei Seiten kann man noch die auf arabisch verfasste Formel „Im Namen des gnädigen und barmherzigen Gottes“ erahnen.
Das rechteckige Innere ist von einer mit Luftlöchern versehenen Spitztonne gedeckt. Eine Mauer mit drei Bögen, die auf zwei wieder verwendeten Säulen mit Terrakotta-Kapitellen ruhen, teilt den Innenraum in zwei unterschiedlich große Räume. Der vordere, viel größer als der andere, enthielt ein einziges großes Becken, von dem die große Treppe, die auf der Nordseite ins Becken führt, noch erhalten ist. Der Rest wurde im Lauf der Zeit stark verändert: Anstelle eines großen Beckens gibt es jetzt drei kleinere. Als Original kann man dagegen die Nischen, die zur Kleiderablage dienten und einige Abschnitte des Fußbodens ansehen. Der originale hintere Teil erhebt sich über den vorderen und enthält ein Becken, das als Sammelbehälter für das Thermalwasser dient, welches aus der Quelle am Boden sprudelt und durch einen Kanal ins Becken geleitet wird.
Die Thermalquelle, der Ursprung von Cefalà Diana, versiegte 1990, als die nahe gelegene Kommune Villafrati einen neuen Brunnen bohrte. Das Ausbleiben des Wassers sorgte für Fundamentschäden und bereitete noch andere Probleme, so dass man eiserne Verstärkungen anbringen musste, die jetzt im Innern an den Säulen und Kämpfern sichtbar sind. Ausgerechnet aus dem neuen Brunnen von Villafrati wird jetzt das Wasser, das wesentliche Element für die Schönheit dieses Ortes, künstlich dem Thermalbecken zugeführt.
2 Mazara del Vallo
Mazara del Vallo, eine hübsche kleine Hafenstadt an der Südküste Siziliens, wurde 1072 von den Normannen erobert. Davor war sie ganz und gar arabisch, der heutige, verwinkelte Grundriss der Altstadt soll noch auf diese Zeit zurückgehen. Die jetzigen Bewohner haben dieses Erbe voll und ganz angenommen und pflegen es durch das Anbringen von aus Tunesien importierten Fliesen mit islamischen Mustern an ihren Häusern. 1190 erhob Roger I. Mazara zum Bistum und ließ eine Kathedrale errichten, doch ist aus dieser Zeit nichts mehr erhalten, denn die drei verbliebenen normannischen Monumente tragen die Stilmerkmale der Zeit Rogers II. Es handelt sich dabei um nichts Sensationelles: Teile der Kathedrale, ein mittelalterliches Burgtor und das Kirchlein San Nicolò Regale. Von der mittelalterlichen Kathedrale sind die Apsis und Teile des Querschiffs als einziges erhalten geblieben, alles andere wurde im Barock verändert und das am Hafen stehende spitzbogige Tor ist nur ein kleiner Rest der Normannenburg, die sich einst hier befand.
Interessanter ist San Nicolò Regale, ein würfelförmiger Bau auf quadratischem Grundriss mit drei Apsiden und einer Kuppel. Das Äußere wird durch spitzbogige Blenden mit ebensolchen Fenstern gegliedert, die die Einteilung des Inneren widerspiegeln. Der Zinnenkranz ist eine spätere, aber noch mittelalterliche Ergänzung. Im Bereich vor dem Haupteingang befindet sich eine Terrasse, unter der die Reste eines Mosaikfußbodens aus römischer Zeit erhalten sind, Die Ähnlichkeit mit Santa Maria dell‘Ammiraglio in Palermo und SS. Trinità di Delia fällt sofort ins Auge, die ebenfalls Kreuzkuppelkirchen auf byzantinischem Grundriss sind. Während die Kirche in Palermo vom Großadmiral des Königs, einem orthodoxen Christen erbaut wurde, müssen es in der Provinz Basilianermönche gewesen sein, die hier viele Klöster unterhielten und die byzantinische Bauweise für ihre Kirchen verlangten. (Ein kleiner Exkurs über die Basilianer folgt am Ende dieses Kapitels).
Das heutige Erscheinungsbild von San Nicolò ist das Ergebnis einer umfassenden Rekonstruktionsmaßnahme. Im Barock hatte man das Kirchlein stark, ja fast bis zur Unkenntlichkeit verändert. Den quadratischen Grundriss verwandelte man in einen achteckigen, die mittelalterlichen Gewölbe wurden abgerissen und eine Barockdecke eingezogen. Obendrein baute man einen neuen Eingang direkt durch die Hauptapsis. Giuseppe Patricolo muss dieser Normannenbau unbekannt geblieben sein, denn es dauerte bis 1947, als erstmalig der Beschluss gefasst wurde, den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen. Bis die Maßnahmen schließlich in Angriff genommen wurden, vergingen dann noch weitere 40 Jahre. In den 80er Jahren war es nicht mehr möglich, ein historisches Gebäude so unbekümmert auf den Originalzustand zurückzubringen wie zu Patricolos Zeiten. Jetzt sollten die modernen Ergänzungen auch mit den Materialien der Moderne ausgeführt werden und deshalb bestehen die Gewölbe und die Kuppel aus Eisen und Plexiglas, was einen befremdlichen Eindruck im Innern hervorruft. Mittlerweile ist San Nicolò geschlossen und harrt einer erneuten Restaurierung, denn die weichen Tuffquader, aus denen das Gebäude besteht, werden von der Meeresluft zerfressen und die Terrasse, auf der sie sich erhebt, ist marode.
3 Exkurs: Basilianer
Als die Normannen ihr Reich in Sizilien erobert hatten, mussten sie mit Untertanen dreier unterschiedlicher Religionen auskommen, Orthodoxen, Katholiken und Muslimen. Dem Volk eine einheitliche Religion zu oktroyieren, war schlichtweg unmöglich, denn das hätte zu Aufständen geführt, die die Normannen als nur kleine Herrschaftsschicht nicht hätten niederhalten können. Schon ihre Vorgänger, die Araber hatten aus demselben Grund religiöse Toleranz praktiziert: Wer sich den staatlichen Regeln unterwarf und Steuern zahlte, konnte nach seiner Façon selig werden.
Diese Tradition führten die Normannen fort, hatten aber das Problem, dass sie ihre orthodoxen Untertanen nicht unter der religiösen Suprematie des byzantinischen Kaisers und der Patriarchen von Konstantinopel belassen konnte, weil Byzanz ihr Konkurrent und Gegner war und obendrein die Legitimation ihres Königtums vom Papst, also der katholischen Kirche, herkam. Ein Ausweg aus diesem Dilemma war über das Konstrukt des Basilianer-„Ordens“ möglich. Eigentlich kannte die Orthodoxie ja keine Mönchsorden, denn jede mönchische Gemeinschaft galt ihr als autark und war keinem Ordensoberen unterworfen. Aber im Normannenreich bezeichnete man nun alle griechischen Mönchsgemeinschaften, die nach den Regeln von Basilius dem Großen (Armut, Keuschheit und Gehorsam) lebten, als Basilianer. Liturgie, Kirchensprache und Heiligenverehrung blieben orthodox, aber den Supremat über alle griechischen Gläubigen hatte ab jetzt der Papst.
Diese Regelung überdauerte das Normannenreich und wurde auch nach dem Fall von Byzanz beibehalten. Sie betraf hauptsächlich Ostsizilien, Kalabrien und Apulien, wo das Griechentum am ausgeprägtesten war. Hier entstanden Bauten, in denen das Byzantinische dominierte, in großer Anzahl Kreuzkuppelkirchen, die gemäß der orthodoxen Liturgie eingerichtet waren. Mit der Zeit schwand aber die Dominanz des Griechischen, die Liturgiesprache wurde Lateinisch und schließlich hielt man nur noch an der griechischen Schrift fest, mit der nun lateinische Texte geschrieben wurden. Heutzutage gibt es nur noch ein einziges Basilianerkloster in Italien: Grottaferrata.
4 SS. Trinità di Delia
Auf dem Landgut der Familie Saporito bei Castelvetrano steht eine kleine normannische Kirche, die dem Typ der byzantinischen Kreuzkuppelkirche entspricht und aus der ersten Hälfte des 12. Jh. stammt. Sie war im Mittelalter Bestandteil eines basilianischen Klosters, auf dessen Grund und Boden das spätere Landgut entstand. Im Laufe der Jahrhunderte verschwand die Abtei (Reste davon könnten noch in den Gutsgebäuden verbaut sein), aber die neuen Eigner übernahmen die Kirche als Privatkapelle für den Gutsbesitzer.
Äußerlich ist die würfelförmige Kirche durch drei ausgeprägte Apsiden im Osten charakterisiert, die mit den drei Blendarkaden und einer Mitteltür im Westen korrelieren. Im Norden und Süden gibt es weitere Eingänge. Die Anzahl der vielen Türen in solch einem kleinen Bauwerk könnte durch den orthodoxen Ritus erklärt werden, bei dem Männer und Frauen im Gottesdienst getrennt saßen. Dementsprechend funktionierten die Eingänge, die beiden seitlichen für die Männer in den Seitenschiffen und die mittlere Tür für die Frauen, für die ein – von hölzernen Barrieren begrenzter – Teil im Zentrum reserviert war. Über der Mitte des Bauwerks erhebt sich eine gewölbte Kuppel, die auf einem quadratischen Tambour mit Ecktrompen ruht und von vier Seitenfenstern erhellt wird. Der Tambour wiederum wird von Spitzbögen getragen, die auf vier Säulen aus Cipollino-Marmor sowie rotem Granit ruhen, mit Kapitellen, die mit Akanthusblättern verziert sind. Die Arme des Kreuzes sind tonnengewölbt, während die quadratischen Eckräume mit Kreuzgewölben gedeckt sind.
Die Struktur des griechischen Kreuzes wiederholt sich auch in der Krypta, die über eine Außentreppe an der Ostseite zugänglich ist. Sie beherbergt die Familiengruft der Familie Saporito. 1880 wurde der palermitanische Architekt Giuseppe Patricolo vom Gutsbesitzer beauftragt, die verfallene und im Verlauf der Zeit ständig umgebaute Kirche zu restaurieren. Er hatte gerade die Einmaligkeit der arabisch-normannischen Architektur in Palermo entdeckt und war sehr angetan von der Idee, ein solches Bauwerk „stilrein“ wieder herzustellen. Da die Kirche bis dahin unbekannt und in Privatbesitz war, hatte er bei dem Projekt völlig freie Hand, er riss alles heraus, was seinen Vorstellungen von arabisch-normannischer Romanik widersprach und rekonstruierte das Ganze im Idealzustand. Für die Familiengrablege schuf er eine Marmorkopie eines der Kaisersärge in Palermo. Sein Restaurierungswerk erntete in Palermo höchstes Lob, fiel diese Rekonstruktion doch in eine Zeit, als man sich der vergangenen Größe Siziliens unter den Normannen und Staufern wieder zu erinnern begann. Patricolo wurde zum ersten Experten des arabisch-normannischen Baustils und man beauftragte ihn mit der Restaurierung eines Großteils der palermitanischen Normannenbauten.
5 Caronia
Die mittelalterliche Burg von Caronia, ununterbrochen bewohnt seit acht Jahrhunderten, ist eines der bemerkenswertesten Beispiele normannischer Architektur auf Sizilien, sowohl wegen ihres hervorragenden Erhaltungszustandes, als auch wegen einer Reihe von architektonischen Besonderheiten. Sie liegt auf halbem Wege von Palermo nach Messina an den Hängen der Monti Nebrodi, einen Kilometer von der Küste entfernt. Caronia wird erstmalig von Rogers Hofgeografen al-Idrisi erwähnt, der im vor 1154 erschienenen Rogerbuch (einer im Auftrag des Königs erstellten Beschreibung Siziliens) von einer kürzlich erstandenen Burg in al-Qaruniah spricht. Daraus und aus den Stilmerkmalen des Bauwerks kann mit Sicherheit gefolgert werden, dass es in der Periode Rogers II. errichtet wurde.
Der ausgewiesene Sizilienexperte Wolfgang Krönig (1904 – 1992) entdeckte dieses in privatem Besitz befindliche einmalige Ensemble und setzte sich in den 60er Jahren für dessen Restaurierung ein. Der zu dieser Zeit aktuelle Besitzer Lelio Castro (der die Burg 1939 von der adligen Familie Pignatelli erworben hatte) ließ sie von 1965 bis 1970 restaurieren, wobei die normannische Architektur freigelegt und spätere Ein- und Anbauten entfernt wurden. Untersuchungen ergaben, dass sich der Komplex auf den Resten der griechisch-römischen Stadt Kale Akte erhebt, deren Baumaterial für die Burg von Caronia wiederverwendet wurde. So sind die in großer Anzahl verbauten großformatigen Ziegel römischen Ursprungs.
Innerhalb eines unregelmäßigen, ungefähr dreieckigen Mauerrings von 80 m Länge und (in der Mitte) 60 m Breite mit drei Türmen und Anbauten aus unterschiedlichen Epochen steht ein rechteckiger Bau von bescheidenen Abmessungen von 21 x 9 m mit einem terrassenartigen Vorbau im Osten und einem Risalit im Westen. Er wurde aus relativ regelmäßigen Kalksteinblöcken für die Wände und großen römischen Ziegeln für Fenster, Gewölbe und Spitzbögen errichtet. Dieser zweistöckige Kernbau ist wegen seiner stilistischen Merkmale eindeutig als normannisch zu identifizieren.
Am Ende des Spitztonnengewölbes im Vorbau befindet sich das mehrfach abgetreppte spitzbogige Portal aus wechselnden Lagen von hellen Kalksteinblöcken und roten Ziegeln. Im Obergeschoss sind mehrere quadratische Fenster zu erkennen, die mit mehrfach gestuften Blendbögen umrahmt sind, wie sie an allen Bauten im arabisch-normannischen Stil vorkommen. Von besonderer Schönheit sind das vierfach gestufte Westfenster mit Ziegelapplikationen und die Dreifenstergruppe im Risalit.
Die drei Räume auf jeder Etage waren ursprünglich mit Gewölben gedeckt, die nur noch teilweise erhalten sind. Im Erdgeschoss befinden sich ein Vestibül und zwei fensterlose Räume mit Lüftungsschächten, höchstwahrscheinlich Depots für Lebensmittel. Das Obergeschoss stellte die eigentliche Wohnung dar, die durch die Verwendung islamischer Formen mit spitzbogigen Durchgängen gekennzeichnet ist. Die große zentrale Halle wird von einem flachen Kreuzgewölbe überspannt. Die beiden flankierenden Räume unterscheiden sich erheblich voneinander: der südliche besteht aus einem rechteckigen Raum mit einem niedrigen verputzten Kreuzgewölbe; der nördliche aus einem kreuzgewölbten rechteckigen Raum, der sich an drei Seiten in drei großen Nischen öffnet, die mit halbkuppeligen Gewölben gedeckt sind. Die beiden seitlichen mit einem persischen Faltgewölbe, die Nische in der Rückwand mit elegantem Übergang vom rechteckigen Grundriss zum halb-polygonalen Gewölbe. Vergleichbares findet sich nur in Palermo, in den Quellgrotten der Zisa und des Scibene, die ebenfalls als Dreinischensaal ausgebildet sind, aber nicht – wie in Caronia – als Residenzsaal des Gebäudes fungieren. Die wohl aus dem Iran stammenden Faltgewölbe gibt es in Palermo im Maredolce und im Scibene. Obwohl nur klein in den Abmessungen, erinnert dieser noble Raum an einen „Iwan“, den Hauptsaal islamischer Paläste.
Zur Burg gehört eine große Kapelle, die außerhalb des Kernbaus in der nordöstlichen Ecke des Mauerrings platziert ist. Zusammen mit der Cappella Palatina in Palermo ist sie das einzige Beispiel einer dreischiffigen Schlosskapelle in normannischen Bauten Siziliens. Das Mittelschiff ist fast doppelt so breit wie die beiden seitlichen, abgetrennt durch Pfeiler auf rechteckiger Basis, auf denen sich auf jeder Seite drei Spitzbögen erheben. Das Ganze wird von drei kleinen halbkreisförmigen Apsiden abgeschlossen, die nur im Inneren halbrund ausgebildet sind, während sie an der von einem Pultdach abgedeckten, geraden Außenwand nicht in Erscheinung treten. Wie in der Capella Palatina ist das Mittelschiff mit einer Balkendecke versehen, während sich Reste von Kreuzgewölben in den Seitenschiffen erhalten haben. Nach 300jährigem Ruinendasein wurde die Kapelle von Caronia bei der Burgsanierung restauriert und 1997 dem Kultus zurück gegeben.
Da Caronia in Dokumenten des 13. Jh. als zur königlichen Domäne gehörig bezeichnet ist, kann man getrost davon ausgehen, dass es sich bei der Burg um eine königliche Anlage handelte. Die Größe der Burgkapelle und der Dreinischensaal im Piano Nobile bestärken diese Annahme. Vielleicht wurde Caronia als Jagdschloss genutzt oder als Etappe auf dem beschwerlichen Landweg zwischen Messina und Palermo. Die im Vergleich mit Palermo schlichteren Schmuckformen möchten lokale Historiker gern als Indiz dafür sehen, dass die islamisierenden Räume in Caronia das Referenzmodell für den zunehmenden arabischen Einfluss auf die normannische Architektur abgaben, da die entsprechenden Bauten in Palermo erst aus der Zeit Wilhelms I. und II. stammen.
Leider ist dieses für die arabisch-normannische Architektur so bedeutsame Monument nach wie vor in Privatbesitz und nur äußerst schwer zugänglich. Die Eigner, Baronessa Castro und ihr Mann Salvatore Bordonali, emeritierter Professor der Universität von Palermo, öffnen es nur sporadisch für Veranstaltungen, so dass der durchreisende Kunstinteressierte meist vor verschlossener Tür steht.
21 Beispiele in Ostsizilien
Casalvecchio Siculo (Forza d’Agrò)
Die typischen Bauten Siziliens im arabisch-normannischen Stil konzentrieren sich auf die Hauptstadt und den Westen Siziliens. Das östlichste Beispiel ist die Burg von Caronia. Aber auch ganz im Osten Siziliens gibt es normannische Architektur, nur ist der Verschmelzungsgrad der drei Kulturkreise Byzanz, Arabien und Rom nicht so ausgeprägt wie im Westen. Der Osten blieb auch während der arabischen Herrschaft überwiegend byzantinisch, mit griechischer Sprache und orthodoxem Glauben und das änderte sich durch die normannische Rückeroberung kaum. Neu entstehende oder wieder besiedelte Klöster in dieser Region folgten der Regel des Agios Basileos und praktizierten den orthodoxen Ritus, obwohl sie von den Normannen der römisch-katholischen Kirche unterstellt wurden. Ein gutes Beispiel für solch eine Basilianerkirche ist Santi Pietro e Paolo in Forza d’Agrò in der Gemeinde Casalvecchio Siculo, deren Entstehungsgeschichte durch die vollständig erhaltene Gründungsurkunde und eine Inschrift über dem Portal gut belegt ist. Wegen dieser guten Quellenlage soll sie – stellvertretend für die Bauten der Basilianer – hier etwas ausführlicher behandelt werden.
Die Kirchengründung geht vermutlich auf die Zeit um 560 n. Chr. zurück, als Sizilien zum oströmischen Reich gehörte. Der Ursprungsbau wurde von den Arabern vollständig zerstört und erst 1117 wieder aufgebaut. Dieses Datum ist durch ein in griechischer Sprache verfasstes Dokument gesichert, das im Vatikan (Codex 8201) aufbewahrt und 1478 von Konstantinos Laskaris ins Lateinische übersetzt wurde. Es handelt sich dabei um die Schenkungsurkunde Rogers II. von 1116, aus der man entnehmen kann, dass der Herrscher (damals noch Graf und nicht König) auf einer Reise von Messina nach Palermo einen Halt auf der Burg von Sant’Alessio Siculo macht („in der Skala S. Alexii“). In dieser Situation wendet sich der Basilianermönch Gerasimo an ihn und bittet ihn als Landesherrn um die Erlaubnis und die Mittel zum Wiederaufbau („erigendi et reaedificandi“) des in „fluvio Agrilea“ gelegenen Klosters. Dieser Bitte wird entsprochen und der Mönch beginnt umgehend mit dem Bau von Santi Pietro e Paolo. Aus der Schenkungsurkunde geht auch die Ausstattung des Klosters mit festen Einkünften hervor: ausgedehnte Eichenfelder, Weiden und Obstbäume. Ihm wird sogar der vollständige Besitz eines ganzen Dorfes, des „Vicum Agrillae“ (heutiges Forza D’Agrò), zugesprochen, mit der Verfügungsgewalt der Mönche über jedes Objekt und jeden Bewohner. Insbesondere die Abgabepflichten der Dorfbewohner sind detailliert aufgelistet, „zu Weihnachten und Ostern sind zwei Hühner ins Kloster zu bringen, sowie der Zehnte an Ziegen und Schweinen“. Es wird außerdem festgelegt, dass das Kloster jedes Jahr mit acht Fässern Thunfisch aus dem Thunfischfang von Oliveri zu beliefern ist und frei von jeglicher Steuerlast bleibt.
1169 erschütterte ein starkes Erdbeben ganz Ostsizilien, wobei die Kirche wohl schwerst beschädigt wurde, denn im Jahr 1172 erfolgte ein Wiederaufbau, wie aus der Inschrift in altgriechischer Sprache auf dem Türsturz der Eingangstür hervorgeht:
„Dieser Tempel der Heiligen Apostel Petrus und Paulus wurde von Teostericto, Abt von Taormina, auf eigene Kosten erneuert. Möge Gott es nicht vergessen. Im Jahr 6680. Baumeister Gerhard der Franke“.
In der griechisch-byzantinischen Chronologie werden die Jahre vom Ursprung der Welt an gezählt, der auf 5508 vor Christus festgelegt ist, somit entspricht das genannte Jahr genau dem Jahr 1172. Die Nennung des Baumeisters beim Namen ist einmalig in Sizilien. Das Selbstverständnis des Architekten als Künstler entwickelte sich erst in der Renaissance und deshalb hatten Gerhards Zeitgenossen überhaupt keinen Grund, ihre Namen an ihrem Werk anzubringen. Sein Name gibt uns weitere Aufschlüsse: „Girardos o Phrankos“ weist sicherlich auf seine normannische Herkunft hin, sein Titel „Protomaistor“ wohl auch, dass er sich schon länger im Lande aufhält, evtl. in zweiter Generation.
Seit dieser Restaurierung hat die Kirche keine weiteren Veränderungen mehr erfahren und ist praktisch unversehrt auf uns gekommen, im Gegensatz zu den umliegenden Klostergebäuden, von denen es nur noch wenige Überreste und ein paar neuere Gebäude gibt, die erst kürzlich restauriert wurden. Die Mönche verließen nämlich 1794 das Agrò-Tal und zogen nach Messina in den Konvent der Dominikanerpatres von San Gerolamo, der beim Erdbeben von 1908 völlig zerstört wurde.
Die Kirche Santi Pietro e Paolo, so wie sie heute vor uns steht, ist eine der interessantesten basilianischen Stätten, die in Sizilien während der normannischen Ära erbaut wurden. In der Provinz Messina gibt es noch andere, weniger bedeutende Beispiele für solche Bauten der Basilianer: Santa Maria della Valle, auch bekannt als Badiazza (siehe dort), Santa Maria di Mili und Santi Pietro e Paolo di Itala, alle aus dem 12. und 13. Jh.
Der auffälligste Aspekt des hohen, rechteckigen Baus mit zwei Kuppeln ist zweifellos die spektakuläre Polychromie der Fassaden. Sie wird durch den geschickten Wechsel von Terrakottaziegeln, Lava-, Sand- und Kalkstein erzeugt, die einfache und elegante, aber auch verzwickte Muster bilden. Das hauptsächliche Element ist das Motiv der ineinander verschlungenen Bögen, die in zwei Etagen, entsprechend den Seitenschiffen und dem Mittelschiff, die gesamte Außenfläche des Gebäudes bedecken. Die unteren Bögen sind alle leicht spitz, während den oberen Bögen ein Rundbogen zwischen zwei leicht spitzen Bögen eingefügt ist. Bei der Überschneidung der Bögen ergibt sich dann ein reizvolles Motiv, das in der islamischen Kunst häufig vorkommt. (An der „Schwesterkirche“ Santi Pietro e Paolo di Itala ist dieses spezielle Motiv besser zu erkennen). Der Kranz aus verputzten Zinnen, der sich um die Dachzone herumzieht, dürfte eine spätere Zutat sein.
Im Westen springt der Eingangsbereich leicht vor, bildet einen quasi-Narthex und scheint auch als erhöhter Westriegel geplant worden zu sein, während sich die drei Apsiden an der Ostseite in Größe und Form voneinander unterscheiden. Die beiden seitlichen sind, wie gewohnt, kleiner als die zentrale und haben eine halbkreisförmige Form, sowohl außen als auch innen, während die zentrale Apsis außen eine rechteckige Form hat, aber innen die Halbkreisform beibehält. Die rechte Apsis diente als „diakònikon“, d.h. als Raum, in dem die heiligen Gewänder und Messbücher aufbewahrt wurden, während die linke Apsis „pròtesis“ genannt wird, wo die Gaben von Brot und Wein für die liturgische Handlung vorbereitet wurden.
Das Innere ist dreischiffig, ohne Querschiff, aber mit einem kleinen Sanktuarium, das von einer Kuppel mit interessantem Übergang vom Viereck ins Rund gekrönt wird. In den drei Jochen des Mittelschiffs existiert nur noch eine Kuppel, wahrscheinlich sind zwei weitere im Lauf der Zeit verschwunden.
La Badiazza
Nachdem man bei der nordwestlichen Ausfahrt aus Messina sechs (!) Autobahnbrücken passiert hat, muss man im Vorort Scala einen unbefestigten Weg (Via Torrente Badiazza) nehmen, um zur einsam gelegenen Kirche S. Maria della Valle zu gelangen, die auch den Namen „la Badiazza“ (abgeleitet von Badia = Abtei) trägt. Inmitten von zwei Flussarmen am Hang der Monti Peloritani liegt die normannische Abteikirche, einziges Relikt eines ehemaligen Zisterzienserinnenklosters. Der erste sichere chronologische Hinweis auf ihre Entstehungszeit ist eine Urkunde von 1168, in der König Wilhelm II. die Kirche zur „königlichen Kapelle“ erklärte und sie damit direkt dem Papst unterstellte. Wilhelm war zu dieser Zeit erst 15 Jahre alt und stand noch unter der Vormundschaft von Erzbischof Walter von Palermo, so dass man diese Verfügung eher Walter zuschreiben muss. Dieser veranlasste in Palermo zur gleichen Zeit den Bau von Santo Spirito (del Vespro), der im Grundriss eine verblüffende Ähnlichkeit mit der Badiazza aufweist und ebenfalls den Zisterziensern gehörte.
Berühmt wurde die Badiazza in der Normannenzeit durch ihr wundertätiges Heiligenbild, über das es eine nicht ganz glaubwürdige Legende gibt (weil ähnliche Geschichten auch an anderen Orten erzählt werden):
Ein aus Syrien kommendes Schiff, das im Hafen von Messina angelegt hatte, führte eine geraubte Ikone, die die Jungfrau Maria mit einer Himmelsleiter darstellte, mit sich. Als die Reise am nächsten Tage fortgesetzt werden sollte, war ein Auslaufen des Schiffs unmöglich. Die Matrosen, die hinter dem Problem einen göttlichen Willen vermuteten, offenbarten dem Erzbischof daraufhin die Existenz des Heiligenbildes und brachten es auf sein Geheiß an Land. Es wurde auf einen von Färsen („jungfräulichen“ Kühen) gezogenen Karren gelegt, die man anschließend gehen ließ, wohin sie wollten. Ohne jegliche Führung liefen sie bis zur Kirche Santa Maria della Valle, die die Ikone von diesem Moment an beherbergte und fortan Santa Maria della Scala genannt wurde. Der jesuitische Historiker Samperi aus Messina schrieb dem Bild, das während der Pest von 1347 in einer Prozession getragen wurde, zahlreiche Wunder zu. Die Aufwertung der Kirche durch das Heiligenbild wird sicherlich zu der aufwändigen Konstruktion geführt haben, die wir heute hier vorfinden.
Während der Vesperkriege wurde die Badiazza durch Brand schwer beschädigt und unter der Herrschaft der Aragonesen ein letztes Mal restauriert. Die gotischen Gewölbe und Portale werden wohl dieser Zeit entstammen. Friedrich II. Von Aragon ließ beim Wiederaufbau ein Mosaik in der Apsis anbringen, das ihn bei der Übergabe eines Modells der Anlage an den heiligen Petrus abbildet. Doch schon 1347 (unter anderem wegen der Pestepidemie) wurde das Kloster aufgegeben und die Nonnen zogen unter Mitnahme der Ikone in ein unter gleichem Namen neu gegründetes Kloster in Messina, das bei dem verheerenden Erdbeben von 1908 mitsamt dem Bild vernichtet wurde. Die Badiazza, einst reich an Marmor und Mosaiken, verkam und wurde bei Überschwemmungen mit Schutt aus dem Bach angefüllt. Im 19. Jh. stürzten die Kuppel und Teile der Gewölbe ein. Inzwischen haben diverse Restaurierungen das ursprüngliche Aussehen wiederhergestellt, aber das Gebäude bleibt meist verschlossen.
Das Innere weist die typisch normannische Kombination von byzantinischem Presbyterium und basilikalem Langhaus auf. Das durch Pfeiler unterteilte dreischiffige Langhaus stößt auf ein leicht erhöhtes qudratisches Presbyterium, das aus neun Jochen besteht, mit einer Kuppel über dem mittleren. In den vier Ecken des zweistöckigen Quadrats befindet sich je eine Empore mit einer Öffnung zum Altar, auf denen Ordensobere oder illustre Gäste den Gottesdienst verfolgen konnten, eine in Sizilien einzigartige Raumgestaltung!
Im Osten sind an das Presbyterium drei halbrunde Apsiden angefügt, die jeweils eine Ädikula zur Aufbewahrung liturgischer Gefäße aufweisen. An der Nord- und Südseite befindet sich jeweils ein spitzbogiges Portal, von denen das südliche einst die Verbindung zum Kloster herstellte, von dem heute nur noch wenige Spuren erhalten sind. Bemerkenswert sind die Fenster im Ostteil, die in zwei Etagen angeordnet sind. Das gesamte Gebäude ist mit Zinnen geschmückt, die dem Bauwerk den Charakter einer „ecclesia munita“ verleihen, wie es auch bei anderen Kirchen in Messina vorkommt, aber nichts mit einer Fortifikation zu tun hat.
22 Ausklang des arabisch-normannischen Stils
Die letzten Bauten im arabisch-normannischen Stil konzentrieren sich auf dem festländischen Teil des normannischen Königreichs, das sich einst über die Insel Sizilien, Apulien, Kalabrien und Kampanien erstreckte. In Salerno hatte um das Jahr 1000 der schier unglaubliche Aufstieg der Normannen begonnen: von Wegelagerern, Söldnern und Raubrittern zu legalen Grafen und Herzögen sowie schließlich zum Königtum. Mit den letzten Zeugnissen dieser einzigartigen Kultur, die erst nach dem Untergang der Normannendynastie entstanden, schließt sich der Kreis der normannischen Geschichte in Italien. Es lohnt sich, abschließend noch einen Blick auf die Jahrtausendwende in Süditalien zu werfen, als die Normannen hier erstmalig auftauchten.
1 Exkurs: Aufstieg der Normannen in Süditalien
Obwohl nominell zum oströmisch-byzantinischen Reich gehörig, war der Süden der Appeninnen-Halbinsel von vielen ganz unterschiedlichen Mächten umkämpft. Die Hauptstadt Konstantinopel lag zu weit entfernt, um eine effektive Kontrolle durch das byzantinischen Kaisertum zu gewährleisten. Der nördlich davon gelegene Vatikanstaat tat alles, um das orthodoxe Christentum aus Italien zu vertreiben und verbündete sich deshalb mit allen Gegnern von Byzanz. In der Völkerwanderungszeit hatten die Langobarden große Herzogtümer in Nord- und später auch Süditalien errichtet – mit Billigung und auch durch Legitimation des Papstes, der damit die Ausbreitung des römisch-katholischen Glaubens in seinem Lande befördern wollte. Über Karl den Großen, der sich – ebenfalls mit Billigung des Papstes – das nördliche Langobardenreich einverleibt hatte, kamen Ansprüche des Heigen Römischen Reiches dazu. Und von Nordafrika aus hatten muslimische Eroberer bereits Sizilien besetzt und verschiedene Emirate begründet, was sie dazu ermunterte, auch aufs italienische Festland überzugreifen und dessen Küsten zu attackieren. Diese wirren Zeiten waren ideal für Glücksritter vieler Nationen, die sich den verschiedenen Parteien als Söldner anboten, aber in Wirklichkeit eigene Interessen verfolgten. Und in diese Zeit fällt auch die Episode, von der Wilhelm von Apulien, der Hofhistoriograph der Normannen, berichtet.
40 normannische Ritter waren auf der Rückkehr von einer Pilgerfahrt ins Heilige Land im Hafen von Salerno gelandet. Die Stadt und ihre Umgebung wurden zu dieser Zeit beständig von arabischen Truppen attackiert, zum Zweck der Plünderung oder der Einforderung von Tribut. Der Langobardenfürst Guaimar III. von Salerno hieß die Normannen herzlich willkommen, versprach er sich doch Hilfe von ihnen gegen die Sarazenen. Diese sagten die Ritter auch gerne zu, jedoch verachteten sie zutiefst die Bereitschaft der Einwohner, den Angreifern Tribut zu zahlen und legten solches als Feigheit aus. Deshalb führten sie die Aktion gegen die Araber lieber allein durch, besiegten sie mühelos und verjagten sie dauerhaft aus der Gegend.
Der Fürst ersuchte die Ritter daraufhin, in Salerno zu bleiben, jedoch vergeblich. Reich beschenkt kehrten sie in die Normandie zurück und ihr Reisebericht löste einen regelrechten Run normannischer Söldner in den Süden aus. (In anderen Quellen heißt es, Guaimar hätte selbst Werber in den Norden gesandt, da er die normannischen Kämpfer als „Wunderwaffe“ ansah). Die Bereitschaft der einheimischen Ritter, die Normandie zu verlassen, lag daran, dass sie drei Generationen vorher – als wikingische Eroberer – das Land in unzählige, viel zu kleine Rittergüter aufgeteilt hatten, die im Erbfall nicht alle Erben ernähren konnten.
Unter den unzähligen Normannen, die jetzt nach Italien zogen, taten sich besonders die Söhne des Valvassors*) Tankred von Hauteville aus der Gegend von Coutances hervor.
*) Auch Aftervasall, unterster Rang des Adels in England und Frankreich, ein Ritter oder Grundbesitzer am unteren Ende des Rittertums und am oberen Ende des Bauernstandes.
Sie dienten sich (mit Ausnahme der Araber) allen streitenden Parteien als Söldner an, verfolgten aber stets egoistische Ziele, nämlich sich eigene Herrschaftsgebiete zu erobern. Der älteste der zwölf Söhne Tankreds, Wilhelm Eisenarm, wird als Teilnehmer des missglückten Zuges der Byzantiner unter dem kaiserlichen Strategen Georgios Maniakes gegen die Araber in Sizilien genannt. Bei der Belagerung von Syrakus erhielt er den Beinamen „Eisenarm“, weil er den arabischen Emir in der Schlacht einhändig erschlug. Wegen ausbleibender Soldzahlungen zerstritt er sich jedoch mit seinem Feldherrn und verfolgte von nun an nur noch eigene Ziele. Wie schon beim ersten Auftreten der Normannen, gewann seine Truppe die Gunst des Langobardenherrschers von Salerno (jetzt Guaimar IV.) und Eisenarm erhielt von diesem die Zusage, für selbst eroberte Gebiete mit dem Grafentitel belehnt zu werden. Mittlerweile waren noch zwei weitere seiner Brüder, Drogo und Humfred, in Süditalien eingetroffen und mit ihm als erwähltem Anführer eines kleinen Normannentrupps gelang es ihnen tatsächlich, die Herrschaft Melfi in Apulien zu erobern und den versprochenen Grafentitel zu erlangen. Da es sich bei den Gebieten um byzantinisches Gebiet handelte, zeigte auch der deutsch-römische Kaiser keine Skrupel, diese Eroberungen sofort zu legitimieren, schadete das doch schließlich dem oströmischen Konkurrenten.
Als Wilhelm Eisenarm starb, war seine Herrschaft bereits so gefestigt, dass sie ohne Probleme auf seinen Bruder Drogo überging, der sich jetzt Graf von Apulien nannte und solches auch vom deutsch-römischen Kaiser bestätigen ließ. Die guten Beziehungen zu den Langobarden von Salerno baute er aus und heiratete die Tochter Guaimars IV. Mittlerweile waren weitere Hauteville-Brüder in Italien eingetroffen, darunter Robert Guiskard und Roger aus der zweiten Ehe Tankreds. Drogo überließ Robert eine kleine Burg in Kalabrien mit der Maßgabe, sich ein Herrschaftsgebiet selbst zu erobern, wie er es ja auch getan hatte. Als letzten Schachzug seiner Laufbahn suchte er den Kontakt zum Papst, der ob der vielen Raubzüge und Überfälle der Normannen erzürnt über sie war. Ein Abkommen (an das sich der Normanne aber überhaupt nicht hielt) besiegelte den ersten Vertrag des Heiligen Stuhls mit den Normannen, eine Verbindung, die den Normannen eine Generation später die Königskrone einbringen sollte. Drogo wurde kurz nach dieser Begegnung aus ungeklärten Gründen ermordet, sein Bruder Humfred aber erbte den Grafentitel erneut problemlos. Sein größter Erfolg war der Sieg in der Schlacht von Civitate über ein kaiserlich-päpstliches Heer, das sich in dieser Koalition zusammengefunden hatte, um die weitere Ausbreitung der Normannen in Süditalien zu unterbinden. Der Papst wurde nach der Schlacht festgenommen und musste den Normannen all ihren Besitz und ihre Titel bestätigen. Da Humfreds Erbe bei seinem Tod noch minderjährig war, einigten sich die Normannen auf Humfreds Halbbruder Robert, woraus ein dynastisches Prinzip in Bezug auf die Familie Hauteville bereits ersichtlich wird. Das wird auch dadurch bestätigt, dass schon Graf Drogo in der Abtei von Venosa, nahe Melfi, eine Familiengrablege angelegt hatte. In der alten Abteikirche existieren heute noch die Originalgrabstätte der Alberada (erste Frau Robert Guiscards) und das in der Renaissance neu angelegte Sammelgrab der frühen Hautevilles.
Robert, der bereits zu seinen Lebzeiten den Beinamen Guiskard (Schlaukopf) erhielt, hatte sich vom Raubritter und Pferdedieb zum Grafen von Apulien „hochgearbeitet“, doch hatte er weit Größeres im Auge, nämlich die Vereinigung aller süditalienischen Territorien in normannischer Hand, die Vertreibung der Muslime aus Sizilien und sogar die Eroberung von Byzanz. Mithilfe seines jüngeren Bruders Roger konnte er die ersten beiden Ziele verwirklichen, wobei ihm die schwache Position des Papsttums zugute kam. Dieses hatte die militärische Überlegenheit der Normannen bereits in Civitate anerkennen müssen und suchte nun gezielt deren Schutz. In der Synode von Melfi bestätigte Papst Nikolaus 1059 nicht nur die Gebietsansprüche der Normannen, sondern machte sie auch zu seinen Lehnsleuten. Robert wurde in den Stand des Herzogs von Apulien, Kalabrien und des zukünftigen Sizilien erhoben, Roger wurde Großgraf. Damit unterstützte der Papst ausdrücklich die Rückeroberung Siziliens aus den Händen der Muslime. Robert hatte eine jährliche Abgabe zu zahlen und trug fortan das Banner des Papstes. Als dessen Vasall wurde er in den Investiturstreit zwischen Kaiser und Papst mit hineingezogen. Als Heinrich IV. nach dem Gang nach Canossa in Rom einzog um Gregor VII. abzusetzen, rief dieser Robert zu Hilfe und begab sich unter seinen Schutz. Guiskard ließ seine Leute drei Tage lang Rom plündern und führte den Papst in sein Reich nach Salerno, wo Gregor ein Jahr später im Exil starb. Zuvor war es Robert Guiskard und seinem Bruder Roger tatsächlich gelungen, die Araber in Sizilien zu besiegen, doch während sich Roger der Konsolidierung des eroberten Landes widmete (das nach seinem Tod auf seinen Sohn Roger II. überging), verfolgte Robert weiter das Ziel der Eroberung von Byzanz. Als er gerade einen Angriff auf Konstantinopel vorbereitete, starb er siebzigjährig im Jahre 1085 an Typhus.
2 Salerno
Die Burg des Langobardenfürsten Guaimar von Salerno, obwohl nur noch eine Ruine, dominiert bis heute die Stadt. Den arabisch-normannischen Stil können wir in dieser einstigen Normannenmetropole jedoch nur noch in der Kathedrale von Salerno und im Palazzo Fruscione vorfinden.
Kathedrale
Die Kathedrale geht auf die frühe Normannenzeit zurück und weist deshalb noch den traditionellen Grundriss einer T-förmigen Basilika mit drei Apsiden auf. Der arabisch-normannische Stil tritt nur im Säulenhof im Westen und im Obergeschoss des Campanile auf. Dem Kirchenportal ist ein quadratischer Hof vorgelagert, ganz ähnlich dem Sahn einer Moschee, mit arabischen gestelzten Rundbögen, die aus wechselnden Lagen heller und dunkler Tuffsteine gemauert sind. Auf drei Seiten ist ihnen eine Zwerchgalerie mit Gruppen von jeweils vier Säulchen aufgesetzt, die von Pfeilern abgetrennt werden, das Ganze ähnlich dekoriert, wie die Arkaden darunter. In den Zwickeln der Bögen befinden sich schöne Medaillons, ebenfalls aus Tuffintarsien mit arabischen Mustern.
Der ansonsten schlichte viereckige Campanile hat einen zylindrischen Aufsatz mit Kuppel, auf dem sich der arabisch-normannische Stil voll entfaltet: Rundbögen und Kreuzbögen aus wechselnden Steinlagen sowie ein Intarsienfries mit doppeltem Sternmuster. Diese obere Turmgestaltung wurde verbindlich für alle Kirchenbauten Kampaniens in normannisch-staufischer Zeit und findet sich u. A. in Ravello, Amalfi, Caserta Vecchia, Terracina und Gaeta.
Palazzo Fruscione
Der Palazzo Fruscione, benannt nach den letzten Bewohnern vor der Enteignung durch den Staat, ist kein Palast im herkömmlichen Sinne sondern eher ein mittelalterliches Wohnhaus. Es bewahrt deutlich die Überreste eines normannischen Kernbaus, der aus mindestens zwei Stockwerken und zwei Gebäuden mit verschiedenen Ebenen besteht. Er wurde in den folgenden Jahrhunderten ständig Veränderungen unterworfen und ist nach der letzten gelungenen Restaurierung, die das alles sichtbar gemacht hat, ein hervorragendes Beispiel für eine jahrhundertealte architektonische Schichtenfolge.
Die ältesten Teile, die Portale und einbogige Fenster mit zweifarbigen Intarsien enthalten, sind mit dem Dom von Salerno vergleichbar, was sie auf das 12. Jahrhundert datiert. Im 13. Jh. wurde das Gebäude umgebaut und erhielt aufwändigere Fenster. Das zweite Obergeschoss mit der arabisch-normannischen Blendarkatur wurde in einem einzigen Zug anfangs des vierzehnten Jahrhunderts aufgesetzt, entstammt also erst der Zeit der Anjou. Was den Bauherrn bewog, sich dabei sizilischer Palastarchitektur zu bedienen, konnte auch die mit der letzten Renovierung einher gehende Bauuntersuchung nicht klären.
3 Ravello
Das heute verschlafene, nur im Sommer von Touristen überlaufene Bergstädtchen war einst Sitz reicher Kaufleute. In der Blütezeit des Normannenreiches hatten sie durch Handelsgeschäfte mit dem Orient in den Küstenstädten Salerno, Amalfi und Neapel großen Profit gemacht. Mit dem Übergang der Normannenherrschaft auf die Staufer und später auf die Anjou schwand die politische Stabilität, der Handel wurde schwieriger, das unternehmerische Risiko stieg und die Einnahmen gingen zurück. Daraufhin zogen sie sich in ihre Heimatorte zurück und investierten ihr Vermögen in Landwirtschaft und in Bankgeschäfte. Die Abgeschiedenheit ihrer befestigten Bergorte garantierte ihre persönliche Sicherheit und die ihres Kapitals und so gelang es ihnen, ihren Reichtum noch weiter zu vermehren. Mit diesem Vermögen finanzierten sie den Staat und gewannen großen Einfluss. Ab dem Ende des XII. Jahrhunderts besetzten sie wichtige administrative und politische Ämter und stiegen auch in den Adel des Königreichs auf, zuerst im Dienste der Staufer und später der Anjou. Damit nahm auch ihr Selbstbewusstsein enorm zu, weshalb sie ihre Wohnorte mit religiösen Gebäuden und Kunstwerken bereicherten und Paläste errichteten, die ihrer erreichten Position angemessen waren und zwar im selben Stil, wie er früher vom Königshaus verwendet wurde. Vermutlich beauftragten sie dafür auch dieselben Künstler, die aufgrund der Krise in den Städten beschäftigungslos waren.
Palazzo Rufolo
Die Familie Rufolo aus Ravello ist ein gutes Beispiel für diesen gesellschaftlichen Wandel. Giovanni Rufolo, der erste bekannte Protagonist dieses Geschlechts, bestieg 1150 den Bischofsstuhl von Ravello und hatte diese Position bis zu seinem Tod 1209 inne. In diesem halben Jahrhundert fand der soziale Aufstieg seiner Familie statt, der einige Jahre später zur Heirat seines Nachfahren Nicola Rufolo mit Sigilgaida della Marra führte, wobei sich zwei der einflussreichsten und reichsten Familien des nunmehr staufisch gewordenen Königreichs miteinander verbanden.
In der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts entfaltete Nicola Rufolo große architektonische Aktivität in Ravello mit dem Umbau seines Palazzo im arabisch-normannischen Stil. Der steht eindeutig in der Tradition der normannischen Architektur Siziliens, was durch arabischen Dekor („maurischer Hof“, Kreuzbogenfriese und Faltkuppeln), ein arabisches Bad, Systeme zum Sammeln und Verteilen von Wasser, die Existenz von Kiosken und Türmen sowie die Anordnung der Räume belegt wird. Dieser Palast ist das Zeugnis für die Verbindung persönlichen Reichtums mit politischer Macht in den Jahren, als die Familie Rufolo eine bedeutende Position im Königreich Neapel-Sizilien inne hatte.
Sie überstand sogar den Wechsel von den Staufern zu den Anjou, denn Söhne und Neffen sowohl von Nicola Rufolo als auch von Angelo della Marra bekleideten weiterhin die gleichen Staatsämter, was die Monopolstellung der beiden Familien belegt. Während die Familie della Marra im administrativen Bereich tätig war und Zölle und Steuern verwaltete, fungierten die Rufolos als Hofbankiers: Große Geldsummen zu sehr hohen Zinsen finanzierten die riskante Politik König Karls I. von Anjou, was schließlich zum Untergang beider Familien führte. Die Krone, inzwischen bankrott und nicht mehr in der Lage, die Kredite zurückzuzahlen, inszenierte einen Prozess gegen die beiden Häuser und unterstellte ihnen Bestechung, Verrat, übelste Perversionen, Aktionen zum Nachteil der Krone und Parteinahme für die Gegner in den Vesperkriegen. Fast der gesamte Clan wurde 1283 verurteilt, einige Todesurteile (u. A. an Lorenzo Rufolo) vollzogen und das unermessliche Vermögen samt Immobilien eingezogen.
Kathedrale
Auch die kleine Kathedrale von Ravello zeugt von der einstigen Bedeutung des Orts. Ihr Patron, der heilige Pantaleon kann ebenso mit dem Wunder der Blutverflüssigung aufwarten wie sein Kollege, der heilige Januarius in der damaligen Hauptstadt Neapel. Ein kostbares Bronzeportal von Barisanus aus Trani (von dem ein weiteres den Nebeneingang des Doms von Monreale schmückt) öffnet sich zum Inneren , in dem außer der von Löwen getragenen Kanzel von 1272 ein byzantinischer Ambo (ein byzantinisches Vorlesepult) von 1130 steht. Beide Stücke sind trotz der weiten Zeitspanne von fast 150 Jahren im normannisch-arabischen Stil gehalten! Das bei einer purifizierenden Restaurierung von seinem Barockdekor befreite, nüchtern-kahle Innere folgt dem Grundriss römisch-katholischer Kirchen. Im Obergeschoss des Campanile findet sich wieder das arabische Motiv der sich überkreuzenden Blendarkaden.
5 Caserta Vecchia
Dicht beim Versailles des Königreiches Beider Sizilien, der gigantischen barocken Schlossanlage von Caserta liegt in den Bergen das mittelalterliche Städtchen Caserta Vecchia. In den Zeiten, da es blühte, war es wegen der Raubzüge von Raubrittern und Briganten, auch wegen des Durchzugs feindlicher Heere angebracht, die Städte in unwegsamer Lage, meist im Gebirge und im Schutze einer Burg zu errichten. Zu Beginn der Neuzeit, mit dem Bau von Überlandstraßen und Eisenbahnen geriet solch ein geschützter Standort zum Nachteil. Viele mittelalterliche Bergorte verödeten, weil die Bevölkerung es vorzog, in die Ebene, nahe von Fernstraßen oder Eisenbahnhaltestellen zu ziehen. Genauso erging es Caserta Vecchia, das von seiner Bevölkerung verlassen wurde, weil es sich am Fuß der Berge, wo der König seine Palastanlage errichtet und seinen Hofstaat angesiedelt hatte, viel besser leben ließ. Caserta Vecchia verfiel und mit ihm ein Juwel des arabisch-normannischen Stils, seine Kathedrale. Bei ihrer letzten Erneuerung in der Stauferzeit bachte man an der Fassade, am Glockenturm und insbesondere an der Kuppel für ein letztes Mal überbordende Dekorationen und Einlegewerk in diesem Stil an.
23 Nachwirkungen in der Gotik
Palazzo Chiaramonte
Das Zeitalter nach dem Untergang der Staufer bezeichnet man in Sizilien auch als Ära Chiaramonte. Auch die sizilianische Form der Gotik ist (zur Unterscheidung von der katalanischen Ausprägung dieses Stils) nach dieser Familie benannt. Der Stil zeichnet sich durch das Festhalten an arabisch-normannischen Schmuckformen wie Blendbögen, Steinintarsien und Zickzackmustern aus, allerdings adaptiert an den Kanon der Gotik.
Das ursprünglich aus dem nordfranzösischen Clermont stammende, äußerst begüterte Adelsgeschlecht der Chiaramonte verblieb nach der sizilianischen Vesper auf der Seite des vertriebenen Hauses Anjou. Der sizilianische Adel war zu dieser Zeit in zwei Parteien gespalten, eine französische und eine aragonesische. Während sich die „Franzosen“ auf den Papst als Autorität beriefen, der das Stauferreich an Karl von Anjou als Lehen vergeben hatte, beriefen sich die „Spanier“ auf das mittelalterliche Erbrecht, weil Peter von Aragòn Ehemann der Tochter des letzten Stauferkönigs Manfred war. Beide Parteien bekämpften sich erbittert, was Sizilien nach Vertreibung der Anjous in ein Chaos stürzte. Die Chiaramonte nutzten diese Situation dazu aus, ihre Machtposition auszubauen und später ganz unverhohlen selbst den Königtitel anzustreben.
Als Zeichen seiner Macht legte Manfred I. Chiaramonte ab 1307 in Palermo, nicht weit vom Hafen, ein befestigtes Kastell an. An diesem Bauwerk wird der arabisch-normannische Baustil zum letzten Mal ganz ausgiebig verwendet. In den wehrhaften Außenmauern öffnen sich in den beiden Obergeschossen üppig mit Intarsien geschmückte Doppel- und Drillingsfenster. Ansonsten gibt es außen nur sparsamen Schmuck, nämlich vier Gesimse, die die Fenster quasi zusammenbinden. Als Wehrbau war das Gebäude im Erdgeschoss fensterlos, hier waren die Wachen und Bedienstete untergebracht. Das Innere der beiden Wohngeschosse wurde dagegen mit aller Pracht ausgestattet. Der große Saal erhielt eine Holzdecke im als „mudéjar“ bezeichneten arabisierenden Stil, die später von führenden sizilianischen Künstlern ausgemalt wurde. In Palermo noch vorhandene Säulen mit eingemeißelten Koranversen wurden zusammengetragen und zur Verschönerung der Innenräume des Palastes verbaut.
Die nachfolgenden Chiaramontes, obwohl gegen die Aragonesen eingestellt, bekleideten hohe Staatsämter und saßen im Rat der Barone. Andrea Chiaramonte stellte sich in einer dynastischen Schwächeperiode der Aragonesen an die Spitze der Barone und wagte die offene Rebellion, König Martin der Ältere von Aragòn schlug diese jedoch nieder und ließ Andrea 1392 vor dem Palast enthaupten, der anschließend konfisziert wurde. Nun diente er zunächst als Sitz des Königs und später des Vizekönigs, bevor man ihn als Gerichtsgebäude und Anfang des 17. Jh. als Sitz der Inquisition nutzte (einige Zellen und Graffiti der Insassen sind bis heute erhalten). Nach 180 Jahren dieser Schandjustiz löste man das Inquisitionsgericht auf und richtete im Palazzo den Gerichtshof ein, bis 1958 beschlossen wurde, das völlig heruntergenutzte Gebäude endlich zu restaurieren. Das dauerte leider einige Jahrzehnte, wie bei so vielen Renovierungsprojekten in Palermo, aber heute ist das Gebäude fertig, dient als Rektorat der Universität und kann in Teilen sogar besichtigt werden.
Palazzo Sclafani
Im Jahre 1330, mehr als 140 Jahre nach dem Untergang des Normannenreiches, ließ sich Matteo Sclafani, einer der führenden Adligen im jetzt aragonesischen Königreich Sizilien diesen Stadtpalast in Palermo erbauen. Obwohl der Bauherr der „spanischen“ Partei im zerrissenen Sizilien nach den Vesperkriegen angehörte, ließ er das Gebäude nicht im Stil der katalanischen Gotik errichten, sondern bediente sich immer noch arabischer und normannischer Stilelemente. Biforenfenster mit wechselnden Lagen heller und dunkler Steine und sich überkreuzende Blendarkaden in demselben Dekor überzogen die Fassaden, von denen nur noch eine sichtbar ist. Im Innenhof befinden sich im Erdgeschoss (wohl später umgebaute) rundbogige Arkaden aber im Obergeschoss eine spitzbogige Loggia, die noch an den normannischen Stil erinnert.
Nach dem Aussterben der Familie Sclafani erwarb das Königshaus den Palast und man beschloss, ihn zum großen Hospital auszubauen, was es in dieser Zeit in Palermo noch nicht gab. Gleichzeitig wurde im Innenhof das riesige Fresko Triumph des Todes angebracht, eines der beeindruckendsten Gemälde dieser Art im Mittelalter. Bis zu den schweren Beschädigungen des Gebäudes im Zweiten Weltkrieg verblieb es an dieser Stelle und wurde dann in die Galleria Regionale della Sicilia im Palazzo Abatellis verbracht. In diesem Palast in rein katalanischer Gotik ist es jetzt eines der beiden Prunkstücke.
Glossar
- Ambo – Vorlesepult in einer Kirche
- Apsis – Halbrunder Anbau im Osten der Kirche
- Arkaden – Bogenreihe
- Blendbögen, Blendarkaden – vorgeblendetes Schmuckelement
- Bossen – kissenartig zugehauene Steinquader
- byzantinisch – Kunst aus Byzanz (Konstantinopel)
- Intarsien – Einlegearbeiten mit verschiedenfarbigem Material
- Kreuzbögen – sich durchschneidende Rundbögen als Dekoration
- Kreuzgang – Geviert in der Klausur mit Säulengang und Garten in der Mitte
- Kreuzgewölbe – entsteht durch die Kreuzung zweier Tonnengewölbe
- Kreuzkuppelkirche – Kirche mit vier Kreuzarmen und einer Kuppel im Zentrum
- Langschiff, Langhaus – Hauptschiff einer Kirche
- Mosaik – Bild, aus verschiedenfarbigen Steinchen zusammen gesetzt
- Obergaden – obere Wandzone des Schiffs
- Presbyterium – das Allerheiligste, in dem sich nur der Priester aufhalten durfte
- Querschiff, Querhaus – Das Langhaus kreuzender Teil
- Sanktuarium – das Allerheiligste, wo sich nur der Priester aufhalten durfte
- Tonnengewölbe – Aneinanderreihung von Rund- oder Spitzbögen
- Transennen – durchbrochene Fensterfüllungen aus Stuck oder Alabaster
- Trompen – Zwickel, die beim Kuppelbau vom Quadrat in den Kreis überführen
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