Von Joachim Werner
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Das Buchregal
Das Buchregal in meinem zugerümpelten ehemaligen Arbeitszimmer war ein Überbleibsel der fast 60 Jahre zurück liegenden Einrichtung meines Studentenzimmers. Es bestand aus teakfurnierten Bücherbrettern in einem schwarzen Stahlrahmen, in den außer den Brettern zwei mit Schiebetüren versehene Teakholzkästen eingehängt waren. Darin moderten Relikte meines Anglistikstudiums: Bücher wie der Oxford Companion to Literature, Literaturgeschichten, Grammatiken, ausgewählte Beispiele angelsächsischer Literatur, das Ganze wegen jahrelanger Nichtbenutzung völlig staubbedeckt. Dazu hatten sich im Laufe der Jahrzehnte andere ausgemusterte Zeugnisse meines Lebens gesellt, Tonbänder, die vom Beginn meiner Musikertätigkeit zeugten, Super-8 Filme aus 20-jähriger Hobby-Filmer-Zeit, deren elektronische Nachfolger im Video-8-Format und ein Stapel Video-Bänder mit den bevorzugten Filmen meines Lebens. Eines Tages war der Entschluss gefasst, mich von diesen mittlerweise unzugänglichen und auch schon lange nicht mehr benutzten Zeugnissen meines Lebens zu trennen, denn die entsprechenden Abspielgeräte hatten schon längst ihren Geist aufgegeben, den Inhalt der Bücher dagegen hatte ich hinreichend im Kopf.
Am leichtesten war die Entsorgung der Videobänder, da man ihren Inhalt staubsicher und platzsparend auf der Festplatte des Computers unterbringen konnte. Schwieriger war es mit den Ton- und Filmdokumenten, die ich mir nur zu gern noch einmal angehört und angesehen hätte, wären bloß ein Wiedergabegerät und ausreichend Zeit dafür vorhanden gewesen. Ich tröstete mich mit der Vorstellung, die Dokumente erst einmal in Kisten zu verpacken um sie später von professioneller Hand auf ein neues, zeitgemäßes Medium übertragen zu lassen. Ganz schnell war ein Umzugskarton gefüllt und das Ausräumen der Fächer mit den Schiebetüren konnte beginnen.
Die aufgezogene Schiebetür gab den Blick frei auf zwei über und über mit Staub bedeckte Totenschädel, deren Unterkieferknochen aufgrund nicht übereinstimmender Proportionen deutlich erkennen ließen, dass sie nicht zugehörig waren. Schlagartig war die Erinnerung wieder da, an das Jahr 1968 und meine ersten Lehrerferien. Der Elternvertreter meiner allerersten Schulklasse, angetan von meiner ansteckenden Geschichtsbegeisterung, die sich in den Erzählungen seiner Tochter über den Unterricht zu Hause widerspiegelte, hatte mir empfohlen, den Monte Gargano in Apulien als italienisches Urlaubsziel ins Auge zu fassen. Mehr interessante Geschichte auf engstem Raum würde man nirgendwo anders finden und falls man sich auf einen gemeinsamen Urlaub auf dem Campingplatz Manacore del Gargano einigen könnte, wäre er bereit, den Cicerone zu ganz hervorragenden, ja einmaligen historischen Stätten zu spielen.
Die Reise zum Monte Sacro
Zwei meiner Freunde – ebenfalls Junglehrer, Besitzer einer Camping-Ausrüstung und eines Wagens – konnte ich als Mitreisende gewinnen und somit konnte die Verabredung in die Tat umgesetzt werden. Der Elternvertreter E. und seine Familie waren schon da, als wir drei Lehrer in Manacore eintrafen. Schnell machten wir uns an die Besichtigung der Sehenswürdigkeiten, die in allen Reiseführern beschrieben werden: Monte S. Angelo mit der Grotte des Erzengels Michael, die mittelalterlichen Orte Vieste und Peschici und zwei Tagestouren zu den apulischen Kathedralen und zum Stauferschloss Castel del Monte. Dann aber war es an Herrn E., uns drei zu den von ihm vorgeschlagenen, höchst spannenden und in keinem Reiseführer genannten Orten zu führen. Er hatte die Informationen dazu einem esoterischen Buch des Anthroposophen Graf Kayserlingk entnommen, in dem dieser den Spuren des Erzengels Michael im Monte Gargano und seinen an diesen Orten angeblich noch heute wirkenden Kräften nachgegangen war.
Der erste Ausflug führte zu den Eremitagen von Pulsano und war ein atemberaubendes Erlebnis: Nach einstündigem Fußmarsch durch unwegsames, einsames Gelände im Bergland von Monte S. Angelo ging es in ein schmales Tal mit steil abfallenden Wänden. Auf stellenweise nur fußbreiten, in den Felsen gehauenen Pfaden musste unsere Gruppe – unter strikter Vermeidung schwindelerregender Blicke in den Abgrund – zu den in großem Abstand voneinander befindlichen Eremitagen hin balancieren. Deren Bewohner, Vorläufer der Klosterbrüder, hatten sich ihre Wohnhöhlen selbst aus dem Felsen geschlagen um hier ein von Entbehrung gezeichnetes kontemplatives Leben zu verbringen, geprägt von Einsamkeit, Bedürfnislosigkeit, Hunger und Durst. Für uns hedonistische Angehörige der Generation 68 war solch eine zurück gezogene Lebensform, im Winter unter Nässe und Kälte, im Sommer bei unerträglicher Hitze (die man als einziges noch nachempfinden konnte) weder vorstellbar noch die Motivation der Eremiten nachvollziehbar. Dennoch gehörte dieser Tag in der stillen Bergeinsamkeit angesichts der Zeugnisse absonderlicher Frömmigkeit zu den stärksten Eindrücken, die wir bisher erfahren hatten.
Der Besuch der Ruinen des Klosters Santissima Trinità auf dem Monte Sacro bei Mattinata sollte diese Erfahrung noch übertreffen. Der Berg und die als Ruinenstätte gekennzeichnete Abtei waren in den Karten des Gargano zwar eingezeichnet, doch führte weder ein Weg dahin, noch gab es irgendwelche einheimischen Informationen über das Kloster. So waren wir Junglehrer wieder auf Herrn E. und seine obskure Quelle Graf Kayserlingk angewiesen. Nach dessen Angaben war das Kloster im 12. Jh. hoch berühmt, reich begütert und ein Hort mönchischer Gelehrsamkeit. Aus ungeklärten Gründen wurde es vor 400 Jahren zerstört und nicht wieder aufgebaut. Man weiß nur, dass die Mönche ihre Bibliothek mitnahmen und sich auf andere Klöster in Apulien verteilten. Den Weg zum ehemaligen Kloster, querfeldein und ohne Pfade, musste unsere Gruppe anhand der ungefähren Lage der Ruinenstätte in der Karte selbst herausfinden. Zuerst wurde eine Zone dichter Macchia durchquert, dann ging es über Felsen steil aufwärts. Nach dreistündiger Anstrengung in großer Hitze waren die Reste der Abtei erreicht.
Gut sichtbare Umfassungsmauern, eine Vorhalle mit drei Kuppelgewölben und jede Menge Ruinen unidentifizierbarer Gebäude boten sich unseren Blicken dar. Graf Kayserlingk hatte seinen esoterischen Ergüssen glücklicher Weise einen Lageplan mit hypothetischer Zweckbestimmung der Gebäudereste beigegeben, so dass wir zunächst eine Zisterne mit herrlich kühlem, klarem Wasser ausfindig machten. Ein bereit liegender Eimer, ein Seil und jede Menge Ziegenköttel machten deutlich, dass das Gelände jetzt von Hirten genutzt wurde. Dennoch wurden wir auf der gesamten Wanderung (wie auch schon auf der Tour zu den Eremitagen) keines einzigen anderen Menschen ansichtig. Nach der Stärkung mit mitgebrachtem Brot und Käse sowie dem einheimischen Wasser ging die Erkundung weiter. Eine von Kayserlingk angeführte Beinkammer erregte unser Interesse und tatsächlich fanden sich am angegebenen Ort tausende übereinander geworfene menschliche Knochen.
Es mag unserem jugendlichen Leichtsinn oder der althergebrachte Normen ablehnenden 68er-Zeit geschuldet sein, dass wir jegliche Pietät vernachlässigten und so lange in den Knochen wühlten, bis jeder von uns einen ihm konvenierenden Schädel inclusive mehr oder weniger passendem Unterkiefer zusammengescharrt hatte. Das Ganze sollte als Souvenir oder besser als Trophäe nach Berlin mitgenommen werden – eingewickelt in gebrauchte Wäsche traten die Mönchsknochen ihre Reise nach Norden an. Auf diese Weise hatte der erste Schädel seinen Weg in mein Buchregal gefunden, doch sollte sich ihm bald noch ein Genosse dazu gesellen.
Zweite Reise
Sechs Jahre später plante ich, durch meine neue Lebensgefährtin sozialer Vater dreier munterer Knaben geworden, eine Neuauflage dieser erlebnisreichen Apulienreise. Neben dem Zelten auf dem schönsten Campingplatz Italiens und dem Baden in der Adria sollte insbesondere die Wanderung zu den Eremitagen und der Aufstieg auf den Monte Sacro für die 8, 12 und 13 Jahre alten Jungen ein ähnlich starkes Erlebnis bescheren, wie damals uns Junglehrern.
Ohne Murren nahmen die Jungen die Anstrengung des Wegs zu den Eremitagen in Kauf, nachdem sie mitbekommen hatten, dass es sich hierbei um ein einmaliges Erlebnis handelte, welches ihren Zehlendorfer Klassenkameraden, deren Eltern nur Katalogurlaub machten, niemals zuteil wurde. Lediglich die Mutter der Knaben konnte nicht von der Einmaligkeit der Unternehmung überzeugt werden, da sie von Höhenangst daran gehindert wurde, schmale Fußwege über schwindelnde Abstürze zu genießen. An einer schattigen Stelle in der Bergeinsamkeit blieb sie zurück und vertrieb sich die vielen Stunden, die wir anderen auf dem Weg zu den Eremitagen verbrachten, mit der Beobachtung eines Ameisentrupps, der eine erbeutete Raupe mühselig zu seinem weit entfernten Bau transportierte. Alle Beteiligten bis auf sie waren so fasziniert von dem Erlebnis, dass Hunger und Durst vollkommen vergessen wurden. Erst auf dem Rückweg zum Auto fiel uns ein, dass dort ja unser Picknick lagerte. Der Verzehr einer 40 Grad heißen Wassermelone erschien uns in dieser Situation als unvergleichliche Köstlichkeit.
Aufgrund des starken Erlebnisses der Wanderung zu den Eremitagen waren die Jungen auch willig, den Aufstieg auf den Monte Sacro mitzumachen, nicht zuletzt, weil ich ihnen ebenfalls die Mitnahme einer Trophäe zusagte. Zunächst musste aber der Weg auf den Berg rekonstruiert werden, was mit Hilfe einer Super-Direttissima-Route zwar gelang, die Teilnehmer aber ziemlich zerkratzt von Dornen und der Macchia ankommen ließ. Oben waren jetzt keine Spuren eines Hirten mehr zu finden, aber die Überreste des Klosters und der Beinkammer waren unverändert erhalten. Und so kam es, dass sich die Schädel mehrerer Mönche der Abbazia della Santissima Trinità auf dem Monte Sacro übers nördliche Mitteleuropa verteilten.
Die Mönche in Berlin
Meine beide Exemplare verbrachten viele Jahre eine ruhige Existenz in besagtem Bücherschrank, mit Ausnahme der Klassenfahrten, auf denen ich immer einen von ihnen mitnahm, damit er als Unterlage einer Kerze während der nächtlichen Vorlesestunde von Gruselgeschichten diente. Lediglich einmal im Verlaufe ihres 40-jährigen Berlin-Aufenthaltes wurde ihre kontemplative Ruhe durch einen außergewöhnlichen und aufregenden Vorfall unterbrochen: Während wir auf einem Konzertbesuch waren (die Kinder waren da schon längst aus dem Haus) hatten Einbrecher einen dicken Pflasterstein durch die gläserne Balkontür auf der Rückseite des Hauses geschleudert und, nachdem sich drinnen nichts gerührt hatte, begonnen, die einzelnen Zimmer nach Wertsachen zu durchwühlen. Alle Regale wurden geleert, alle Schubladen herausgerissen und durchsucht. Eine Spur der Verwüstung zog sich durch alle Zimmer des Erdgeschosses, die Treppe hinauf in zwei Zimmer des Obergeschosses. Erst als sie mein Arbeitszimmer erreicht hatte, endete sie abrupt, nämlich direkt vor der aufgezogenen Schiebetür des Bücherschranks, aus dem die zwei Schädel herauslugten. Ob die Einbrecher glaubten, im Haus eines mehrfachen Mörders gelandet zu sein, von dem Schlimmes zu befürchten wäre und deshalb die sofortige, kopflose Flucht antraten, bleibt mir bis heute unerschlossen.
Als Resultat des Aufräumens dieses Bücherschranks sowie der Entsorgung nicht mehr gebrauchter Zeugnisse vergangener Zeiten ergaben sich auch Überlegungen über das weitere Schicksal der beiden Herren vom Monte Sacro. Sie in den Müll zu geben oder auf dem Trödel zu verhökern, wie es einer unserer Söhne bereits getan hatte, kam mir aufgrund der im Verlauf der letzten 40 Jahre gewachsenen Skrupel nicht in den Sinn. Da traf es sich ausgesprochen gut, dass meine geschätzte Kollegin B., italophil und Besitzerin eines Ferienhauses in den Marken, den Vorschlag einer gemeinsamen Apulienreise zusammen mit ihrem Mann und meiner Lebensgefährtin machte. Welche Lösung wäre besser als die feierliche Rückführung der beiden Fremden an ihren originalen Ort? Die ursprünglichen Reisepläne ließen das Vorhaben als sehr einfach durchführbar erscheinen: Mit dem Auto, in dem die beiden in einer Pappkiste wohlversteckt unter übrigem Reisegepäck lägen, ginge es – dank dem Schengener Abkommen – unkontrolliert über den Brenner nach Apulien und nach einem erneuten Aufstieg auf den Monte Sacro hätte man das damalige Unrecht wieder gut gemacht.
Leider ergaben sich aber Komplikationen, die dieses einfache Konstrukt zunichte machten und einen Flug nach Neapel und die anschließende Reise im Mietwagen erforderten. Plötzlich stellte die Einfuhr der Mönche nach Italien ein ernstes Problem dar. Welche Ausreden sollte man gebrauchen, um beim Durchleuchten plötzlich entdeckte Totenköpfe im aufgegebenen Reisegepäck zu erklären? Die Mitnahme im Handgepäck verbot sich aus denselben Gründen von selbst. Befreundete Autofahrer mit dem Ziel Italien waren zu dieser Jahreszeit nicht aufzutreiben, da sie bereits im Land ihrer Sehnsucht angekommen waren, so dass der Transport in Form von mitgegebenem Gepäck ebenfalls entfiel. Rettung brachte die Erinnerung an den von Kollegin B. initiierten Schulaustausch mit Neapel. Mit den daran beteiligten neapolitanischen Kolleginnen war B. so gut befreundet, dass man ohne Weiteres anfragen konnte, ob es möglich sei, ein Paket zur Aufbewahrung an eine ihrer Adressen zu schicken. Selbstverständlich und fairer Weise wurden auch Angaben über den Inhalt des Pakets gemacht und erfreulicher Weise erklärte sich Signora R., eine der Neapolitanerinnen, bereit, mitzumachen, sofern man von ihr nicht verlangte, das Paket auszupacken.
Ich verstaute also die Schädel der Mönche in ein mit Schaumgummi ausgekleidetes Normpaket der Deutschen Post und wollte die Fracht aufgeben. Die Frage, was denn ein Paket nach Neapel koste, beantwortete die Postangestellte mit 96 Euro. Aufgrund meiner Verwunderung über solch einen hohen Preis für ein relativ nahes Ziel in Italien sah sie noch einmal nach, diesmal unter Italien anstelle von Nepal. Der Preis ermäßigte sich dadurch enorm und ich klebte zur Tarnung und der Sicherheit der Empfängerin noch das Schildchen „Per ricerche mediche“ (Für medizinische Forschungen) auf die Sendung. In Neapel wurde sie von Signora R. schon dringend erwartet, weil sie in Urlaub gehen wollte und während ihrer Abwesenheit gerade dieses Paket nicht in die Hände der Nachbarn fallen sollte. Als es eintraf, war sie jedoch für ein paar Minuten ausgegangen, worauf es dann doch bei einem Mitbewohner des Hauses landete. Dessen neugierige Fragen nach Herkunft und Inhalt wurden kalt abgewehrt und das inkriminierte Objekt schließlich in einem verriegelten Kellerverschlag deponiert. Der erfolgreiche Abschluss dieser Transferaktion wurde über eine SMS mit dem Text: Pippo e Mimmo sono arrivati! nach Norden gefunkt.
Die Heimkehr
Unsere zwei Wochen später erfolgende Expedition zur Abholung der Mönche aus ihrem neapolitanischen Keller begann mit zwei Tagen südländischer Gastlichkeit im schönen Neapel und machte sich dann auf den Weg zu ihrem Ziel nach Apulien. Die Internet-Recherche hatte ergeben, dass auf dem Hang des Monte Sacro mittlerweile ein Agriturismo existierte, der die in Italien so populären Ferien auf dem Bauernhof anbot. Auf der Website des Agriturismo Monte Sacro war sogar ein direkter Wanderweg zur Santissima Abbazia della Trinità angegeben. Das war Grund genug, die Erkundung des Gargano und die Rückführung der Heiligen von diesem Standquartier aus vorzunehmen. Einige Tage mussten die Hauptprotagonisten der Reise jedoch noch in ihrem Paket im Hotelzimmer ausharren, weil erst das Besichtigungsprogramm inklusive ausgiebigem Baden durchgezogen wurde. Am Tag vor der Expedition zu ihrem Bestimmungsort befreite ich sie aus ihrem Paket, stellte sie den Mitreisenden erstmals vor und packte sie in zwei Wohlthat Cultur Tragetaschen um. Dann ging es an den Aufstieg, viel kürzer und durchaus komfortabler als vor 40 Jahren: Ein kleiner Saumpfad, keine Macchia, aber ähnlich heiße Temperaturen wie damals.
Die Zeiten der Bergeinsamkeit und völligen Vergessenheit der Abtei waren ebenfalls vorbei: Auf dem Weg zum Kloster wurden Wanderer aus Freiburg angetroffen, die einen Müller-Wanderführer mit ausführlicher Beschreibung der Ruinen mit sich führten. Aus der Internet-Recherche hatte ich schon in Berlin entnommen, dass die Klosterruine inzwischen denkmalpflegerisch restauriert und wissenschaftlich untersucht worden war. Würde es überhaupt noch möglich sein, die Mönche an „ihrem“ Ort wieder abzulegen? Ein weiteres Hindernis kam hinzu: Die Zahl der Expeditionsteilnehmer schrumpfte. Meine Lebensgefährtin begehrte, wie schon vor 40 Jahren bei den Eremitagen, an einem schattigen Plätzchen zurück gelassen zu werden. Doch für die unverzagt Weitergehenden kam das Ziel bald in Sicht. Der ganze Komplex hatte noch den gleichen Zauber wie damals – abgesehen von den störenden vier Personen aus Freiburg, die aber schnell mit einer dringenden Botschaft an meine Lebensgefährtin hinweggelotst wurden. Kaum allein, begann die Suche nach der Beinkammer. Nach dem alten Plan von Kayserlingk ließ sich die Stelle gut identifizieren – doch Knochen waren in dem kleinen Raum keine mehr zu entdecken. Ich äußerte die Vermutung, dass man sie bei der Restaurierung der Ruine wohl begraben hätte. Also dasselbe mit den „Berliner“ Mönchen! Umsichtig hatte ich vorher in einem italienischen Gartencenter eine kleine Grabehacke mit integrierter Schaufel erstanden, die jetzt zum Einsatz kam. Zwar war es schwer, in dem steinigen Boden ein ausreichend tiefes Loch für einen Schädel zu graben, doch mit Hilfe von ein paar abdeckenden Steinen gelang es, eine hinreichend würdige Grabstelle zu kreieren. Fehlten nur noch ein mit Grashalmen zusammengebundenes Kreuz, ein paar Blümchen und einige Erinnerungsfotos, dann war die 40-jährige Odyssee der Mönche beendet.
Zurückschauend kann ich nur sagen, dass der Akt jugendlichen Leichtsinns von damals doch wunderbare Folgen hatte (mal abgesehen von dem Einbruch) und ich frage mich, ob es glücklichere Umstände geben kann, abenteuerliche Reisen anzutreten, als die hier geschilderten.